»Ich werde sie fortschaffen«, versprach ich ihm.

»Haben wir schon erledigt«, sagte er. »Jones ... sorgen Sie dafur, dass die Dinger vom Dachboden geholt werden?«

»Sofort«, sagte der Detective Constable und eilte zuruck ins Haus.

Detective Sergeant Miller sagte nichts, bis Jones verschwunden den war. Er sah hinuber zu der verfallenen Kapelle, zu den Grabsteinen, zur See, zur Zeder. Schlie?lich sagte er: »Wissen Sie, ich habe schon einige Geschichten uber dieses Haus gehort. Ich bin aber noch nie zuvor drinnen gewesen.«

»Was fur Geschichten?«

Er zuckte mit den Schultern und grinste fast ein wenig albern. »Oh, nichts ... mein Cousin sagte immer, es sei verflucht.«

»O ja, das habe ich auch gehort.«

Er nahm seine Brille ab und steckte sie in seine Brusttasche. »Ich wollte Ihnen nur sagen, Mister, dass wir nicht ganz dumm sind.«

»Wie bitte?«

»Wir sind nicht ganz dumm«, wiederholte er. »Wir kennen alle Geschichten uber das Fortyfoot House, vor allem uber die Gerausche, die Lichtblitze und die verschwundenen Kinder. Aber man kann ein Gerausch ebenso wenig verhaften wie einen Lichtblitz. Und wenn ein Kind verschwindet und es nicht einmal einen einzigen Fu?abdruck gibt ... was soll man dann machen? Fur die Ermittlungen in einem Mordfall werden uns 20.000 Pfund genehmigt. Wenn das Geld aufgebraucht ist, werden die Untersuchungen abgebrochen. Und wenn wir Geister suchen wollen, bekommen wir keinen Penny.«

Ich war sprachlos. Eben erst hatte er beteuert, dass Harry einen Unfall erlitten habe, und jetzt spekulierte er daruber, dass Harry etwas Ubernaturlichem zum Opfer gefallen sein konnte. So hatte ich einen Polizisten noch nie reden gehort.

»Sie haben die vermissten Kinder mit dem Fortyfoot House in Verbindung gebracht?«, fragte ich. »Tatsachlich'?«

»Ja, tatsachlich. Harry Martin hat genug Beschwerden eingereicht. Zwei unserer Leute haben auf ihren dienstfreien Abend verzichtet, um das Haus zu beobachten.«

»Und?«

»Nichts war. Die Polizei hat das Fortyfoot House in den letzten drei Jahren zweimal von oben bis unten durchsucht.

Wenn Sie sich die Unterlagen seit dem Krieg ansehen, dann kommen noch sechs oder sieben weitere Durchsuchungen hinzu. Wir sind auch auf dem Dachboden gewesen, ohne Ergebnis. Jedenfalls ohne greifbares Ergebnis. Es gibt da oben nichts, dem man einen Zettel mit der Aufschrift >Beweisstuck A< aufkleben kann. Aber das hei?t nicht, dass wir es aufgegeben haben. Das hei?t nicht, dass wir dumm sind. Das hei?t nur, dass wir Beweise haben mussen, bevor wir etwas unternehmen konnen.«

Ich schuttelte langsam den Kopf. »Wollen Sie mir wirklich sagen, dass Sie an das Ubersinnliche glauben?«

Er blinzelte mich auf eine fast herausfordernde Weise an: »Warum nicht?«

»Sie sind Polizist.«

»Viele Polizisten sind Freimaurer, Mister. Sie glauben an den gro?en Schopfer. Viele Polizisten sind Fundamentalisten. Sie glauben an Feuer und Schwefel und an die Wiederkunft Christi. Ich bin kein Freimaurer und kein Fundamentalist, aber ich glaube daran, dass man fur alles offen sein muss.«

Ich sagte nichts, sondern stand nur da im warmen Wind und wartete, dass er weitersprach.

»Wurde ich das Ubersinnliche vollig ausschlie?en«, sagte Miller in einem uberzeugten Tonfall, »dann wurde ich nicht meinen Pflichten genugen. Naturlich nicht in Bezug darauf, was die Handbucher besagen, wenn Sie wissen, was ich meine. Aber ein guter Officer macht mehr, als nur den Handbuchern zu folgen. Ein guter Detective kombiniert Fakten, Logik und Schlussfolgerungen mit Fantasie und Inspiration.«

»Ich muss sagen, ich bin beeindruckt.«

Detective Sergeant Miller schnauzte wieder seine Nase. »Seien Sie das besser nicht. Der gro?te Teil der Polizei besteht nach wie vor aus Schurken und Idioten und Nestbeschmutzern. Aber hin und wieder findet man auch mal einen Profi. Es gibt immer mal ein oder zwei, bei denen befindet sich oberhalb der Schultern tatsachlich ein Gehirn. Allerdings trifft das nicht auf die Ubergeordneten zu.«

»Das hei?t, Sie konnen nicht zu Ihren Vorgesetzten gehen und den Gedanken ins Spiel bringen, dass Harry Martin von etwas angegriffen wurde, das nicht von dieser Welt ist.«

Er lachte verbittert. »Mein Chief Inspector glaubt nicht mal seinem Spiegelbild.«

»Aber was wurden Sie ihm sagen, wenn Sie so konnten, wie Sie wollten?« Mich interessierte, was Miller wirklich uber den grauenhaften Zwischenfall auf dem Dachboden dachte. Hatte sich Harry wirklich in einem Haken verfangen und sich durch sein eigenes Korpergewicht die Haut vom Kopf geschalt? Oder gab es etwas Bosartiges auf dem Dachboden? Etwas, das entsetzlich heftig reagierte, wenn es gestort wurde?

»Ich wurde ihm einfach sagen, dass Mr. Martin keinen Unfall im ublichen Sinne erlitten hatte und dass es auch kein Angriff im ublichen Sinne war. Mehr nicht.«

»Sie wurden keine Theorien entwickeln?«

»Nicht in diesem Stadium.« Er hielt sich zuruck. »Es ware nicht hilfreich.«

»Und was ist mit Ihrem Kollegen? Detective Constable Jones? Werden Sie ihm erzahlen, was Sie glauben?«

Miller schuttelte den Kopf. »Jones versteht nur das, was er essen, trinken oder schlagen kann.«

»Das hei?t also, Sie wissen, was nicht geschehen ist, aber Sie haben auch keine Ahnung, was passiert ist?«

Er sah mich mit seinen blassen ausdruckslosen Augen an. »Ein guter Ratschlag, Mister. Ich bin hier in der Gegend aufgewachsen. In Whitwell, um genau zu sein. An Ihrer Stelle ware ich vorsichtig, was das Haus angeht. Als mein Cousin sagte, es sei verflucht ... na ja, das waren nicht nur Geschichten.«

»Glauben Sie, dass es Brown Jenkin wirklich gibt?«

»Ich wei? nicht, was es mit Brown Jenkin auf sich hat. Aber uber die Jahre hinweg hat es so viele unerklarliche Zwischenfalle rund um Fortyfoot House gegeben, dass irgendetwas nicht stimmen kann. Kein Rauch ohne Feuer, wenn Sie wissen, was ich meine.«

»Nun ... Danke fur die Warnung.«

In dem Moment kam Detective Constable Jones uber den Rasen spaziert. Miller sagte: »Es war ein Unfall, mehr nicht. Ein verdammt hasslicher Unfall, das kann man wohl so sagen. Und ein sehr ungewohnlicher dazu. Aber es war ein Unfall, weiter nichts.«

Er holte eine Visitenkarte aus der Jacke und reichte sie mir. »Sie konnen mich anrufen, wenn Sie wollen. Diese Woche bin ich tagsuber zu erreichen, nachste Woche habe ich Nachtdienst.«

Detective Constable Jones schnaufte. »Ich habe gerade eine Nachricht vom Krankenhaus erhalten, Sarge. Mr. Martin war bereits tot, als er eingeliefert wurde.«

Miller setzte seine Brille wieder auf. »Ich verstehe. Sehr bedauerlich. Wieder ein Original weniger.«

»Soll ich mit Mrs. Martin sprechen?«, fragte ich. Ich fuhlte mich entsetzlich schuldig, weil ich Harry auf den Dachboden gelassen hatte.

»Nein, das erledigen wir schon«, sagte Miller. »Wir schicken jemanden hin, der in solchen Dingen gut ist. Tee und Mitgefuhl.«

»Gut, ich ...«

»Es wird eine Untersuchung geben«, unterbrach mich Miller. »Wahrscheinlich werden Sie eine Zeugenaussage machen mussen. Ich werde Sie das fruhzeitig wissen lassen.«

»Ja«, sagte ich nur und sah zu, wie sie fortgingen. Liz kam aus dem Haus, nachdem die beiden gegangen waren. Sie brachte zwei Dosen Bier aus dem Kuhlschrank mit, hatte einen wei?en Schal um den Kopf gebunden und trug ein tief ausgeschnittenes schwarzes T-Shirt, dazu eine schwarze Radlerhose. Seite an Seite sa?en wir auf der niedrigen Gartenmauer und offneten unsere Bierdosen, dann tranken wir.

»Harry ist tot«, sagte ich nach einer Weile.

»Ja, der Detective hat es mir gesagt. Ich kann es nicht glauben.«

»Detective Sergeant Miller glaubt, es war ein Unfall.«

Вы читаете Die Opferung
Добавить отзыв
ВСЕ ОТЗЫВЫ О КНИГЕ В ИЗБРАННОЕ

0

Вы можете отметить интересные вам фрагменты текста, которые будут доступны по уникальной ссылке в адресной строке браузера.

Отметить Добавить цитату
×