Ersatzteile.«

»Oh, Schei?e«, erwiderte ich.

Er trat gegen einen der platten Reifen. »In meiner Werkstatt steht ein 78er Ford Cortina, den konnen Sie fur dreihundert haben. Er ist nicht im Bestzustand, aber fahrbereit.«

»Ich wei? nicht. Ich habe keine dreihundert Pfund ubrig, jedenfalls nicht im Moment.«

Der riesige Kerl zuckte mit den Schultern. »In dem Fall kann ich Ihnen auch nicht helfen.«

Er fuhr mit seinem Pick-up fort und hinterlie? eine Ru?wolke. Eine Weile stand ich dort in der Dammerung und lauschte den Baumen und dem Flattern der Fledermause. Schlie?lich ging ich zuruck ins Haus, wo Liz in der Kuche auf mich wartete. Sie bereitete eine Huhnchenkasserolle vor, die kostlich duftete. Aber ich war nicht sicher, ob ich wirklich Hunger hatte. Ich lauschte, ob ich ein Kratzen und Schlurfen horte oder ferne Gerausche und Stimmen, die nicht menschlichen Ursprungs waren. Ich erschrak uber mein eigenes Spiegelbild in den Fensterscheiben und in den gerahmten Fotos im Flur.

Danny kniete auf einem der Kuchenstuhle und malte mit Buntstiften ein Bild. Ich beugte mich uber ihn und sah, dass er ein mageres Madchen in einem wei?en Nachthemd gemalt hatte, mit dunnen roten Faden auf dem Kopf und blassgrunen Wangen. Sweet Emmeline.

»Komm und spiel mit uns«, ahmte Danny ihre hohe Stimme nach. »Wir sind so viele und wir konnen so viel Spa? haben.

»Danny«, warnte ich ihn. »Nicht.«

Er sah mich mit weit aufgerissenen Augen an, die so sonderbar leuchteten, als habe er geheult. Nach einem langen Moment des Schweigens widmete er sich wieder seinem Bild. Ich betrachtete ihn mit einem Gefuhl der Hilflosigkeit, als sei er aus irgendeinem Grund meiner Kontrolle entglitten.

Liz schob den Schmortopf zuruck in den Ofen und sagte: »Und?« Ihr Ton hatte etwas von einer Ehefrau, die von ihrem Mann eine Information erwartete.

»Und was?«

»Und was kann er mit dem Wagen machen?«

»Oh, der Wagen. Nichts, was nicht wenigstens dreihundert Pfund kostet. Er meinte, ich solle mir besser einen neuen kaufen.«

»Und was wirst du jetzt tun?«

»Was soll ich schon tun? Ich muss so lange weiterarbeiten, bis ich mir einen neuen leisten kann.«

»Ich meine immer noch, dass du zur Polizei hattest gehen sollen. Dieser Brecher, oder wie der Typ hei?t, gehort hinter Gitter.«

»Belcher«, berichtigte ich sie. Ich ging zum Kuhlschrank, nahm eine gro?e Flasche Soave heraus und goss uns zwei Glaser ein.

»Vielleicht hast du Recht. Aber das hatte mir ein paar Unannehmlichkeiten bescheren konnen. Zum Beispiel die Frage, warum die Steuerplakette abgelaufen war. Und warum der Wagen nicht versichert war.«

»Nicht versichert?«, wiederholte Liz unglaubig.

»Konnte ich mir nicht leisten. Janie hatte das Geschaftskonto komplett geplundert.«

»So eine Kuh.«

»Ja, so eine Kuh. Aber vielleicht habe ich das ja auch so verdient. Ich habe sie nicht sehr gut behandelt.«

Liz nahm einen Schluck Wein und sah mich mit Augen an, die alter schienen, als sie selbst an Jahren zahlte. »Du hast sie doch nicht geschlagen?«

»Nein, ich habe sie ignoriert. Ich glaube, manchmal ist es schlimmer, jemanden zu ignorieren, als wenn man ihn schlagt.«

»Vielleicht hattest du sie schlagen sollen.«

Ich setzte mich hin. »Keine Ahnung. Vielleicht habe ich sie auch gar nicht richtig geliebt. Wenn ich so druber nachdenke, bin ich gar nicht mal so sicher, ob ich wei?, was Liebe eigentlich ist. Du wei?t schon, richtige Liebe. Die Liebe, fur die man sogar sein Leben geben wurde.«

»Ich glaube, das geht den meisten so«, sagte Liz. Sie lachelte, dann sprach sie weiter. »Ich war so etwa neun Jahre alt, als ich einen Goldfisch hatte. Ich habe ihn wirklich geliebt. Er hie? Billiam. Ich sagte meiner Mutter, dass ich mich umbringen wurde, wenn Billiam eines Tages sturbe. Als er dann wirklich starb, hat meine Mutter mir nichts davon gesagt. Stattdessen hat sie mir erzahlt, er sei abgehauen. Ich war so dumm und habe ihr geglaubt. Ich habe allen meinen Klassenkameraden erzahlt, dass derjenige zehn Pence Finderlohn bekommt, der ihn mir wiederbringt. Und die waren sogar so dumm, dass sie nach ihm gesucht haben.«

»Und was willst du mir damit sagen?«, wollte ich wissen. »Dass man sich in nichts und niemanden verlieben soll? Nicht mal in einen Goldfisch?«

Sie zuckte mit den Schultern, sagte »Keine Ahnung« und begann zu lachen.

In dem Moment kam Danny zuruck in die Kuche. Ich hatte nicht mal gemerkt, dass er hinausgegangen war. Er trug sein Malbuch unter dem Arm und machte einen irritierten Eindruck.

»Wo ist der Mann hin?«, fragte er verwundert.

»Du meinst den Mann von der Werkstatt?«

»Nein, den Mann auf dem Bild.«

»Auf welchem Bild?«

»Drau?en. Ich male ein Bild von Sweet Emmeline und von dem Mann mit dem Schornsteinhut. Ich wollte auf dem Bild nachsehen, wie er aussieht, damit ich ihn richtig male. Aber

er ist weg.«

Ich erschrak. Es geht wieder los ... das Haus bewegt sich ... Schatten zucken umher ... leise Stimmen murmeln etwas in den Zimmern im Obergeschoss. Aus irgendeinem Grund kam mir ein langst vergessener Reim in den Sinn. »Die: Wande samt bespannt, so schwarz wie Sunde und so fein ... Und kleine Zwerge kriechen raus und kriechen rein.«

Als kleiner Junge glaubte ich immer, der Reim wurde das beschreiben, was mit meinem Schrank passiert, sobald es dunkel ist. Ich hatte mich immer entsetzlich gefurchtet. Kleine bose Leute trieben ihr Unwesen zwischen meiner Kleidung. Jeden Abend uberprufte ich zweimal, ob die Tur zu meinem Kleiderschrank auch wirklich zu war und dass der Stuhl sie zusatzlich blockierte. Und selbst dann konnte ich horen, wie sich die kleinen Zwerge in meinem Schrank bewegten und wie sie die Kleiderbugel ganz sanft schaukeln lie?en.

Ich war der Ansicht gewesen, dass ich dieses Gefuhl der Hilflosigkeit lange hinter mir gelassen hatte, das jene Worte damals in mir ausgelost hatten. Aber als Danny »Er ist weg« sagte, da brach die Erinnerung uber mich herein, und einen Moment lang konnte ich nichts sagen.

»Er kann nicht weg sein«, brachte ich schlie?lich muhsam hervor. Meine Zunge schien angeschwollen, mein Hals war trocken.

»Er ist nicht mehr auf dem Bild.«

Ich folgte ihm in den Flur und schaltete das Licht an. Am anderen Ende des Flurs hing das Foto. >Fortyfoot House, 1888<. Ich ging darauf zu, Liz dicht hinter mir, und beugte mich vor.

Danny hatte Recht. Der junge Mr. Billings war nicht mehr zu sehen. Sein Schatten war allerdings noch da und lag wie ein achtlos weggeworfener Umhang auf dem Rosenbeet, aber von dem Mann war nichts mehr zu sehen.

»Das ist doch irgendein Trick«, sagte ich. »Leute verschwinden nicht einfach aus einem Foto, das ist schlicht unmoglich.«

»Komm, wir sollten uns das bei mehr Licht ansehen«, schlug Liz vor, nahm das Bild von der Wand und brachte es in die Kuche. Dort angekommen blieb sie unter der hellen Deckenlampe stehen. Wir starrten eindringlich auf die Stelle, an der bis vor kurzem noch der junge Mr. Billings gestanden hatte. Das Glas uber dem Foto war verstaubt und praktisch frei von Fingerabdrucken, abgesehen von Liz' und von meinen. Als ich das Bild umdrehte, gab es keinen Hinweis darauf, dass das braune Papierklebeband, mit dem das Bild im Rahmen gehalten wurde, aufgeschnitten worden war. Das gravierte Schild des Rahmenbauers war auch immer noch dort: Rickwood & Sons, Picture Framers & Restorers, Ventnor, Isle of Wight.

Ich drehte das Bild wieder um, und wir betrachteten das Foto eine Weile, bis Danny plotzlich sagte: »Guck mal! Was ist das?«

Kinderaugen sehen immer mehr und besser. Sie konnen Formen, Zeichen und Omen viel besser erkennen

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