als ein Erwachsener. Ich sah auf die Stelle, auf die Danny zeigte, und erkannte etwas. Dort, wo der Rasen in Richtung Gartentor und See abfiel, war gerade eben das leicht gekippte schwarze Rechteck eines Zylinders zu sehen. Der junge Mr. Billings war noch immer auf dem Foto, aber er hatte einen Spaziergang unternommen.

Liz schuttelte ihren Kopf. »Ich glaube das nicht. Das muss ein Trick sein. Ich mochte wetten, dass es mehrere Fotos mit der gleichen Ansicht gibt und dass irgendjemand sie austauscht.«

»Wer?«, fragte ich. »Und vor allem: Warum?«

»Hausbesetzer«, sagte Liz. »Ich hab dir doch gesagt, dass bestimmt Hausbesetzer oder obdachlose Kinder oben auf dem Dachboden leben. Vermutlich haben sie auch Harry Martin so zugerichtet.«

»Schhh«, machte ich und deutete auf Danny. Zum Gluck schien er ihre Bemerkung entweder nicht gehort oder deren Bedeutung nicht verstanden zu haben.

»Du meinst, sie wollen uns aus dem Haus jagen?«, fragte ich. »So wie in einem dieser Filme mit Bette Davis, in dem die Kinder versuchen, sie in den Wahnsinn zu treiben, damit sie alles von ihr erben?«

»Naja, moglich ware es doch, oder? Klingt jedenfalls plausibler als Geister. David, ich habe immer wieder daruber nachgedacht. Wie sollten es Geister gewesen sein? Es gibt keine Geister.«

»Und die Gerausche? Und die Lichter?«

»Tonbander? Halogenscheinwerfer?«

»Also gut. Nehmen wir mal an, es ware ein Trick. Wo sollen dann diese Hausbesetzer sein? Die Polizei hat das ganze Haus abgesucht, auch den Speicher.«

»Sie haben nicht das zugemauerte Stuck neben deinem Schlafzimmer durchsucht.«

»Aus einem einfachen Grund: Dort kann niemand hineinkommen. Und auch nicht herauskommen.«

»Vielleicht gibt es eine Geheimtur.«

»Ach, Liz, hor auf. Da ist nirgendwo Platz fur eine Geheimtur. Und selbst wenn, wohin sollte sie fuhren?«

Sie richtete sich auf. »Dann bist du also uberzeugt, dass es Geister sind.«

»Ich wei? es nicht. Vielleicht nicht gerade Geister in dem Sinn, dass sie mit einem Laken uber dem Kopf herumlaufen. Aber ich bin sicher, was diese Sache mit der Zeit angeht. Jemand hat mal gesagt, dass Geister nicht wirklich Geister sind, sondern Menschen, die man nur vage sehen kann, wenn sich das Heute und das Gestern sozusagen uberlappen. Das wurde doch Sinn ergeben, nicht wahr?«

Liz nahm wieder das Foto an sich. »Wenn das Sinn ergeben soll, dann tut es mir Leid. Dann muss ich dir namlich sagen, dass du Unsinn redest. Ich glaube nach wie vor, dass uns jemand hier raustreiben will. Ein menschlicher Jemand, kein Geist. Das kommt mir alles viel zu sehr wie in mysteriosen Spielfilmen vor.«

Nachdem Danny ins Bett gegangen war, hatten wir den Wein fast ausgetrunken und uns aufs Sofa geflegelt, um John Hiatts Stolen Moments anzuhoren. Ich fuhlte bei dem Song ein gewisses Mitleid mit den sieben kleinen Indianern, die in einem Ziegelsteinhaus an der Central Avenue lebten, wo -allen erbaulichen Geschichten ihres Vaters zum Trotz, die davon erzahlten, dass sich alles zum Guten wenden werde -»immer das Gefuhl vorherrschte, als wurde sich jemand nahern, der sie toten will«.

Es war so gegen elf Uhr, als ich mit leichten Kopfschmerzen und dem Geschmack von zu viel Soave aufstand und sagte: »Ich gehe ins Bett. Kommst du?«

»War das eine Einladung?«

Ich sah sie an, lachelte und sagte: »Ja.« Ich schaffte es gerade noch rechtzeitig, mir ein »wenn du willst« zu verkneifen.

Ich ging in die Kuche, um die tropfenden Wasserhahne zuzudrehen und das Licht auszumachen. Das Foto >Fortyfoot House, 1888< lag noch immer mit dem Glas nach unten auf dem Tisch. Ich griff danach, unmittelbar bevor ich den Lichtschalter umlegte, und klemmte es unter den Arm. Ich wollte es auf dem Weg nach oben wieder im Flur an die Wand zuruckhangen. Aber mit einem Mal schaltete ich das Licht wieder an und hielt das Foto hoch, um es mit wachsendem Entsetzen zu betrachten.

Der Kopf des jungen Mr. Billings war nun zu sehen, so als wurde er sich allmahlich nahern. Direkt neben ihm befand sich irgendeine kleine dunkle Gestalt mit zwei Auswuchsen, die wie spitze Ohren aussahen.

Ich kniff die Augen zu, dann offnete ich sie wieder, nur um sicher zu sein, dass sie mir keinen Streich spielten. Aber das Foto hatte sich nicht verandert. Der Rosengarten, in dem der einsame Schatten des jungen Mr. Billings noch immer wie hingeworfen dalag, die Sonnenuhr, der abfallende Rasen. Und das deutlich erkennbare Gesicht des Hausherrn, der von einem Spaziergang am Meer zuruckkehrte - in Begleitung von ... was nur?

»Kommst du oder bleibst du heute Nacht in der Kuche?«, rief Liz. »Auf dem Treppenabsatz ist das Licht kaputt.«

»Ich komme«, sagte ich nachdenklich. Wieder knipste ich das Licht in der Kuche aus, ging durch den Flur und hangte das Bild zuruck an seinen angestammten Platz. Ich wei? nicht, warum, aber ich hatte das Gefuhl, dass es das Sicherste sei, was ich machen konnte. Nein, um ganz genau zu sein, hatte ich das Gefuhl, dass es das war, was der junge Mr. Billings bevorzugt hatte. Und ich hatte kein Verlangen danach, den jungen Mr. Billings zu verargern, erst recht nicht wegen einer so albernen Sache wie der, ihn mit dem Gesicht nach unten auf dem Kuchentisch zuruckzulassen.

Gutiger Gott, schoss es mir durch den Kopf. Ich verliere den Verstand. Ich hange ein Bild an die Wand, nur weil ich glaube, dass es den Leuten auf dem Bild so lieber ware!

Liz beugte sich uber das Gelander, ihre Bruste druckten gegen den Handlauf. »Nun komm schon. Baden konnen wir auch morgen fruh.«

Ich schaltete das Licht im Flur aus, im gleichen Moment lag die Treppe in volliger Dunkelheit da. Und kleine Zwerge kriechen raus und kriechen rein. Ich tastete mich die Treppe hinauf, wahrend ich vor mir Liz horen konnte, wie sie an den Gelanderslangen entlangstrich, um zu merken, wohin sie gehen musste.

»Ich will nur hoffen, dass wir heute Nacht nicht schon wieder dieses Stohnen horen werden«, sagte sie. »Sonst ziehe ich wirklich aus, das sage ich dir.«

Als ich die Kehre der Treppe erreicht hatte, sah ich den fahlen silbrigen Schein des Spiegels. Ich zogerte und verlor in der Dunkelheit fast das Gleichgewicht. Wahrend ich stolperte, horte ich hinter der Fu?leiste ein Kratzen und dann ein hastiges Schlurfen, das sich uber die gesamte Lange des Hauses zog.

»Hast du das gehort?«, fragte ich Liz.

Sie hatte die oberste Stufe erreicht und blieb stehen. Ich wusste, dass sie sich auf dem Treppenabsatz befand, weil sie den Lichtschein des Spiegels blockierte.

»Nein ... ich hab nichts gehort.«

»Dann hab ich's mir wohl nur eingebildet.«

»Solange es weiter nichts ist.«

Wir tasteten uns durch den Korridor voran. Ich hatte schon wieder vergessen, eine verdammte Taschenlampe zu kaufen. Im Kuchenschrank gab es ein paar Kerzen, aber ich war nicht auf die einfache Idee gekommen, eine von ihnen anzuzunden und mit nach oben zu nehmen. Das allmahliche Nahen des jungen Mr. Billings und seines haarigen Gefahrten hatte mich zu sehr beschaftigt. Und die kleinen Zwerge aus meiner Kindheit hatten auch noch ihren Teil dazu beigetragen. Ich fragte mich, ob meine Mutter etwas davon gewusst hatte, welche Panik ich vor den elenden kleinen Kreaturen empfand, die nachts meine Kleidung heimsuchten. Ich verfluchte es, dass die Erinnerung mich eingeholt hatte, und ich wunschte, diese Gedanken endlich wieder verdrangen zu konnen.

Schlie?lich aber hatten wir es bis zu meinem Schlafzimmer geschafft. Durch die Vorhange schien ein schwaches Licht, das vom Meer reflektiert wurde und das Zimmer gerade genug erhellte, um das Bett und die Garderobe zu erkennen.

»Ich sehe nur noch mal schnell nach Danny«, sagte ich zu Liz, die gerade ihr T-Shirt uber den Kopf zog und dabei fur einen kurzen Moment ihre Bruste anhob, die auf eine erregende Weise zuruckfielen.

»Mach nicht zu lange«, erwiderte sie. »Und wenn du irgendwelche Gerausche horst, ignorier sie einfach.«

Ich uberquerte den Korridor und sah in die alles verschluckende Finsternis von Dannys Zimmer. Ich konnte

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