»Komm her!«, kreischte sie. Die Tur schlug zu, aber diesmal einen Moment zu spat. Sie traf mich an der Schulter und brachte mich aus dem Gleichgewicht, doch ich konnte mich wieder fangen. Hinter mir horte ich Kezia so schreien, dass meine Ohren schmerzten, wahrend plotzlich das Madchen zu heulen begann.

»Es regne Glas, es regne Scherben!«, schrie Kezia Mason, und augenblicklich wurden alle Drucke und Gemalde von der Wand gerissen, um in einem Sperrfeuer aus scharfkantigen Rahmen und Glassplittern auf meinen Kopf, mein Gesicht und meine Schultern niederzuprasseln. Irgendwie gelang es mir, nur ein paar Schnitte abzubekommen, dann hatte ich das Ende des Flurs erreicht und sturmte mit einer Energie die Treppe hinauf, die mich selbst in Erstaunen versetzte.

Ich erreichte den Treppenabsatz und die Tur zum Dachboden. Einen Moment lang war ich versucht, gleich nach oben auf den Speicher zu rennen. Doch ich nahm an, dass ich damit immer noch in der Zeit von Brown Jenkin sein wurde. Um in meine eigene Zeit zuruckkehren zu konnen, musste ich die Klapptur benutzen, durch die ich auch hergekommen war.

Ich horte Brown Jenkin durch den Flur rennen, ich horte Kezia Mason schreien. »Hol ihn zuruck, Jenkin, du verdammter Tolpel, sonst hole ich mir dein Gekrose!«

Ich erreichte mein Schlafzimmer, schlug die Tur hinter mir zu und drehte den Schlussel um. Das wurde mir die ein oder zwei Minuten geben, die ich brauchte. Ich schnappte nach Luft und setzte das Madchen ab, das mich mit aufgerissenen Augen zitternd ansah.

»Es ist alles in Ordnung«, sagte ich. »Du bist, gleich in Sicherheit.«

Ich zog den Stuhl heran und stieg auf ihn, um dann das Madchen hochzuheben. »Hier, versuch mal, die Klapptur zu fassen ... genau so ... halt dich fest.«

Das Madchen wimmerte, wahrend es versuchte, durch die Klapptur zu klettern. »Komm schon«, drangte ich. »Du musst dich nur hochziehen.«

Das Kind bemuhte sich noch immer, als ich im Korridor das laute Scharren von Klauen horte, gefolgt von einem gewaltigen Knall, als sic h Brown Jenkin mit aller Kraft gegen die Tur warf. Der Turrahmen bebte, und der Schlussel fiel aus dem Schloss.

»Ouvrez! Ouvrez!«, kreischte Brown Jenkin. »Mach die Tur auf, fucker-fucker!«

Das Madchen verkrampfte sich und verlor den Halt, rutschte zu einer Seite weg und hatte mich fast vom Stuhl geworfen.

»Open up bastard merde!«, tobte Brown Jenkin, wahrend er brutal am Turgriff riss und gegen das Holz trat. Als eine der unteren Vertafelungen zersplitterte und nachgab, trat Brown Jenkin noch einmal dagegen.

»Beeil dich!«, trieb ich das Madchen an und hob es wieder hoch. Das Kind war vielleicht zehn oder elf Jahre alt und ziemlich unterernahrt, trotzdem war es schwer genug, um mich au?er Atem zu bringen.

»Ich rei?e deine Speiseruhre raus, Bastard!« Brown Jenkin bearbeitete mit brutaler Gewalt die Tur, bis auch eine der oberen

Vertafelungen zu splittern begann. In dem Augenblick dankte ich Gott dafur, dass er viktorianische Turen so stabil hatte konstruieren lassen.

Das Madchen versuchte nochmals, sich durch die Klapptur nach oben zu ziehen. Ich hob es so hoch, wie ich konnte, wahrend sein Unterrock mich fast erstickte, der su?lich sauer nach Lavendel und angespitzten Bleistiften roch.

»Mach schon«, flehte ich das Kind an. »Du kannst es, wenn du dir wirklich Muhe gibst!«

Es schien aber vollig kraftlos und willenlos zu sein. Als Brown Jenkin dann die nachste Vertafelung zerschmetterte, lie? das Madchen die Arme schlaff herabhangen und senkte den Kopf, als habe es sich bereits damit abgefunden, in Stucke gerissen zu werden.

»Versuch es, um Gottes willen«, brullte ich es an. »Sonst fangt er uns!«

Bauz! Da geht die Ture auf, Und herein in schnellem Lauf, Springt der Schneider in die Stub'.

Ich sah, dass Brown Jenkins Krallen sich durch das splitternde, berstende Holz bohrten. Er ging fast selbstmorderisch daran, uns einzuholen. Ich wusste, dass er uns noch schlimmer behandeln wurde als Reverend Pickering. Er wurde uns gnadenlos in Stucke rei?en.

»Versuch es doch bitte!«, sagte ich zu dem kleinen Madchen, aber es reagierte nicht. Viel langer wurde ich es nicht mehr halten konnen. Ich dachte an Danny, Janie und auch an Liz. Der unwurdige und feige Gedanke kam mir in den Sinn, dass ich das Kind wurde zurucklassen mussen, um wenigstens mein eigenes Leben zu retten.

Immerhin: Was hatte Dennis Pickering noch gleich gesagt? >Wenn wir es mit ins Jahr 1992 nehmen, ware es dort uber hundert Jahre alt. Vielleicht bringen wir es im Grunde ebenso um, wie Kezia Mason es macht! Vielleicht sogar auf noch grausamere Weise !<

Ein Teil der Tur wurde herausgeschlagen, und als ich mich umdrehte, sah ich, wie Brown Jenkin aus der Dunkelheit des

Korridors zu mir heruberblickte. Die Augen wie Pfeilspitzen, die Zahne wie zerbrochene Milchflaschen. Seine Klaue schob sich durch das Loch in der Tur und begann, nach dem Griff zu suchen. »Mach schon«, schrie ich das kleine Madchen an. »Um Himmels willen, mach endlich!«

In dem Augenblick geschah ein Wunder. In der Klapptur uber mir tauchte Liz' Gesicht auf. »David?«, fragte sie. »Was ist los? Ich habe dich schreien gehort.«

»Hilf ihr rauf«, sagte ich, wahrend Brown Jenkin wie wild an dem Turgriff riss.

»Was?«

»Sie kann nicht raufklettern, sie hat die Nerven verloren! Bitte, zieh sie rauf!«

Liz schob sich vor und bekam die Handgelenke des Madchens zu fassen. »Na komm«, sagte sie aufmunternd. »Du kannst das.«

»Liz!«, brullte ich sie an. »Beeil dich doch!«

»Ich tue, was ich kann«, schrie sie zuruck. »Ich bin nicht Arnold Schwarzenegger!«

Wie ein Sack Reis lie? sich das Madchen von Liz hochziehen, wahrend ich Liz die Arbeit ein wenig erleichterte, indem ich das Kind nach oben hob, um sein Gewicht zu verringern. Einen Moment lang befurchtete ich, Liz konnte es nicht schaffen, immerhin war sie selbst nicht viel gro?er und schwerer als das Kind. Aber dann lie? sie sich nach hinten fallen und zog das Madchen nach oben, das sich zwar an der Klapptur die Knochel abschurfte, aber in Sicherheit und am Leben war.

»Bastard - cunt - ich - tote — dead - you - now!«, kreischte Brown Jenkin.

Ich sprang hoch und bekam den Rahmen zu fassen. Einige Sekunden lang schaukelte ich hin und her und fuhlte mich zu alt und zu ungeubt, um mich nach oben zu ziehen. Als ich gerade meine Ellbogen auf dem Rahmen aufstutzen konnte, gab die Tur mit einem grasslichen Gerausch nach. Brown Jenkin sturmte in das Zimmer und schlug mit seinen Klauen nach mir. Ich hatte nichts gemerkt, aber als ich nach unten sah, bemerkte ich, dass seine Klauen sich seitlich durch meinen braunen Doc-Marten's-Stiefel gebohrt hatten und mein Blut auf den Stuhl und auf Brown Jenkin tropfte.

Ich trat um mich, wahrend Brown Jenkin auf den Stuhl sprang und versuchte, meine Beine aufzurei?en. Wieder trat ich um mich, und diesmal verlor er das Gleichgewicht, um mit einem lauten Knall auf den Speicherboden zu sturzen.

»Je tue you bastard, have no Zweifel!«

In der Zwischenzeit schaffte ich es, ein Knie auf den Speicherboden zu bekommen, und hatte endlich genug Halt, um mich seitlich wegrollen zu lassen. Sofort sprang ich auf und lie? die Klapptur zufallen, verriegelte sie, ohne noch einen Blick in das Zimmer darunter zu werfen.

Im gleichen Moment war der Speicher in Finsternis getaucht. Ich kniete noch immer neben der Klapptur, hatte aber bereits wahrgenommen, dass der Dachboden wieder mit allem Gerumpel voll gestellt war, das ich zuvor schon gesehen hatte. Vielleicht wurde die Tur ins Jahr 1886 nur geoffnet, wenn die Riegel der Klapptur zuruckgezogen wurden, vielleicht auch erst, wenn man die Klapptur anhob. Was immer es auslosen mochte ... ich wollte es gar nicht wissen. Ein Besuch in der Welt von Brown Jenkin und Kezia Mason und Mr. Billings war mehr als genug gewesen.

Erschopft stand ich auf, atmete einmal tief durch und schleppte mich dann zur Treppe. Zum Gluck war es

Вы читаете Die Opferung
Добавить отзыв
ВСЕ ОТЗЫВЫ О КНИГЕ В ИЗБРАННОЕ

0

Вы можете отметить интересные вам фрагменты текста, которые будут доступны по уникальной ссылке в адресной строке браузера.

Отметить Добавить цитату
×