Liz machte unterdessen mit diesem Muster weiter: »Ich habe immer meinen Bruder gehort, wenn er sang: >Tu, ta, ti; bu, ba, bi ... ubanu, am-matu, ganu, ashlu.<«

Ich schlief, aber ich horte noch immer ihre Stimme. Es war, als konnte sie ihre Stimme in meinem Kopf ertonen lassen, ob ich nun schlief oder wach war. Ich traumte, dass ich wieder an einem dusteren und windstillen Tag uber den Ozean glitt. Liz stand am Strand, und obwohl ich ziemlich schnell flog, blieb sie immer gleich weit von mir entfernt und redete weiter, wahrend ihr Gesicht halb unter Verbanden verdeckt war. »Tu, ta, ti; bu, ba, bi...«

Dann - ohne Vorwarnung — war es Morgen, die Sonne schien unbarmherzig grell ins Zimmer. Liz schlief noch, sie hatte den Mund geoffnet, ihr Haar war zerzaust. Ich verlie? vorsichtig das Bett und ging zum Fenster. Die See glitzerte im Schein der Sonne.

Wahrend ich dastand und aus dem Fenster sah, war ich fast im Begriff, mir einzureden, dass es ein Verbrechen ware, Fortyfoot House niederzubrennen. Aber so schon es auch gelegen war, so war das Haus selbst bosartig und beunruhigend. Und es hatte die entsetzlichsten Folgen fur jeden, der versuchte, etwas dagegen zu unternehmen. Ich war sicher, dass ich das nachste Opfer sein wurde, wenn ich es nicht in Brand steckte.

14. Unter dem Fu?boden

Nach einer Portion Musli und einem Becher unglaublich schwarzen Kaffee ging ich nach drau?en, um zu sehen, ob ich den Wagen vielleicht doch irgendwie zum Laufen kriegen konnte. Obwohl er nicht mal richtig laufen musste. Es hatte schon genugt, wenn er gehumpelt ware. Liz hatte sich bereits auf den Weg zum Tropical Bird Park gemacht. Sie trug ein sehr enges schwarzes T-Shirt, dazu einen au?erst kurzen kanariengelben Rock und gelbe hohe Stiefel. Ich wusste nicht, ob sie mich scharf machen oder ob sie mir zeigen wollte, dass ich mindestens zehn Jahre alter war als sie. Vielleicht war sie auch einfach nur pervers.

An der Kuchentur hatte sie mir dann aber einen Kuss gegeben, ohne die Augen zu schlie?en, und mir in den Schritt gegriffen, wahrend sie >danke< hauchte. Ich blieb mit dem Gefuhl zuruck, dass ich ihr irgendetwas gegeben hatte, was sie hatte haben wollen.

Ich sah nach Danny und Charity. Beide schliefen immer noch fest. Nachdem ich Charity gebadet und ihr die Haare gewaschen hatte und sie eine Bluse von Liz trug, sah sie nicht mehr wie aus einem anderen Jahrhundert aus. Fast kam es mir unmoglich vor, dass ich sie aus dem Jahr 1886 hergeholt hatte.

Ich ging aus dem Haus, und das Erste, was mir in die Augen fiel, war der Renault von Dennis Pickering, der neben meinem demolierten Audi geparkt war. Oh Gott! Ich hatte seinen Wagen vollig vergessen! Ich fuhlte mich schrecklich schuldig und entsetzt. Schuldig, weil seine Frau langst au?er sich sein musste, da er noch nicht nach Hause gekommen war. Entsetzt, weil die Polizei unweigerlich den vor Fortyfoot House geparkten Wagen sehen und zwangslaufig (und in gewisser Weise sogar zu Recht) auf den Gedanken kommen wurde, dass Liz und ich etwas mit seinem Verschwinden zu tun haben konnten.

Ich ging um den Wagen und stellte fest, dass er nicht abgeschlossen war. Die Schlussel hatte Pickering aber nicht stecken lassen. Ich hatte die Handbremse losen und den Wagen au?er Sichtweite schieben konnen, aber was hatte ich dann mit ihm anfangen sollen? Ich hatte keine Ahnung, wie man einen Wagen kurzschlie?t. Und abgesehen davon musste die gesamte Bevolkerung von Bonchurch und Ventnor den Wagen kennen. Ich hatte keine hundert Meter mit ihm fahren konnen, ohne von irgendeinem Aufpasser gesehen zu werden.

Ich versuchte noch immer, eine Losung fur das Problem zu finden, als uberraschend der Rover von Detective Sergeant Miller in der Einfahrt auftauchte. Miller stieg aus. Er hatte ein Hemd mit kurzen Armeln an und trug eine Sonnenbrille. Als er sie abnahm, wirkte er so erschopft wie nach drei Tagen ohne Schlaf. Detective Constable Jones folgte ihm auf dem Fu? und wirkte munter. Er roch intensiv nach Brut 33.

»Aha, hier halt sich also der vermisste Mr. Pickering auf«, sagte Miller, ging zum Renault und trat gegen das Hinterrad.

»Tja, also ... genau genommen ist er nicht hier«, erwiderte ich. Ich wusste, dass ich meine Worte sorgfaltig wahlen musste.

»Wie bitte?«, fragte Miller in einem seltsamen Tonfall.

»Er kam her, das ist richtig. Aber er ist jetzt nicht hier.«

»Sein Wagen ist aber noch hier«, bemerkte Jones.

»Ja«, erwiderte ich.

»Aber er nicht?«

»Nein, er hatte gestern Abend ... ein paar Glaser getrunken. Er wollte zu Fu? nach Hause gehen.«

»Wie viel sind >ein paar Glaser<?«, hakte Miller nach.

»Vielleicht sechs oder sieben Glaser Wein. Wir haben uns unterhalten, wir haben alle etwas zu viel getrunken. Ich glaube, keiner von uns hat wirklich mitgezahlt.«

»Oh«, sagte Miller. »Das ist schade. Wann ist er denn aufgebrochen? «

»Schwer zu sagen. Vielleicht um halb elf.«

Miller setzte seine Sonnenbrille wieder auf und stand da, die Arme in die Huften gestemmt, und schien Locher in die Luft zu starren. Obwohl die Sonne schien, wirkte Fortyfoot House hinter ihm kalt und dunkel und in sich gekehrt, so wie ein alter Verwandter, der bei einer Familienfeier wortlos dasitzt und nur an fruher und an die denkt, die damals lebten, die er kannte und die ihn liebten und die alle seit langer Zeit tot waren.

»Mr. Pickering hatte seiner Frau versprochen, dass er sie gegen elf Uhr anrufen wollte«, sagte Miller.

»Tatsachlich?«

»Er hatte ihr gesagt, dass er erst hierher kommt und dann nach Shanklin Old Village gehen wollte, um Mrs. Martin zu besuchen.«

»Davon hat er mir nichts gesagt.«

Miller nickte, sagte aber weiter nichts. Jones versetzte dem Reifen des Renault noch einen Tritt, was Miller mit einem missbilligenden Blick konterte. »Sieht ein bisschen platt aus«, erklarte Jones und errotete ein wenig.

In dem Moment tauchten Danny und Charity an der Tur auf. Danny trug seinen Schlafanzug, Charity hatte Liz' Bluse an.

»Daddy!«, rief Danny. »Charity mochte wissen, was sie anziehen soll.«

»Einen Augenblick bitte«, sagte ich zu Miller.

»Keine Ursache. Sie haben ja wohl alle Hande voll zu tun. Wer ist denn die Kleine?«

»Meine Nichte«, log ich. »Die jungste Tochter meiner Schwester.«

»Tja, es geht nichts uber einen Urlaub am Meer mit einem Onkel«, sagte Miller und wandte sich ab. »Sie melden sich doch, wenn Mr. Pickering kommt, um seinen Wagen abzuholen? Ich vermute, er ist einfach abhanden gekommen. Offenbar hat er das schon fruher gemacht. Mrs. Pickering sagt, er hatte schon mal Schwierigkeiten mit seiner sexuellen Identitat.«

»Ein heimlicher Transvestit, mit anderen Worten«, warf Jones ein.

Miller warf ihm einen fluchtigen verargerten Blick zu. »Mrs. Pickering sagte uns, er spaziere am Strand auf und ab und rede mit Gott.«

»Und dabei versucht er, nicht an die knackigen Arsche seiner Chorknaben zu denken«, sagte Jones und ergab sich ganz seinen Vorurteilen.

»Wurden Sie die Klappe halten, Jones?«, forderte Miller ihn auf.

»'tschuldigung«, erwiderte dieser grinsend.

Die beiden kehrten zum Rover zuruck und waren nur noch Sekunden davon entfernt, die Turen zuzuschlagen, als Charity mit durchdringender Stimme rief: »Sir! Sir! Konnen wir wirklich zwei Eier zum Fruhstuck haben? Danny sagt, das geht!«

Miller zogerte einen Moment lang, dann stieg er aus, nahm erneut seine Sonnenbrille ab und fragte mich mit der

Gelassenheit eines erfahrenen Polizisten: »Wie hei?t das Madchen?«

»Charity«, antwortete ich. »Wieso?«

Ohne auf meine Frage zu reagieren, rief Miller: »Charity? Komm doch mal bitte her, Charity!«

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