Problem war, Beweise zu erbringen.

»Wurde es Ihnen etwas ausmachen, wenn wir ein paar Bohlen herausnehmen, um zu sehen, was sich darunter befindet?«, fragte er mich.

»Es ist nicht mein Haus, da sollten Sie besser mit den Maklern sprechen.«

»Wir werden auch nichts beschadigen.«

»Trotzdem sollten Sie erst mit den Maklern reden. Dunn & Michael in Ventnor.«

Miller zuckte mit den Schultern. »Na gut, Mr. Williams. Wenn Sie das fur erforderlich halten, werden wir das machen.«

»Ich will Sie nicht in Ihrer Arbeit behindern. Aber wenn irgendetwas beschadigt wird ... na ja, dann trage ich die Verantwortung.«

»Ich verstehe«, sagte Miller beschwichtigend. »Wir sind ungefahr in einer halben Stunde wieder da. Konnen wir den Teppich so liegen lassen?«

»Aber naturlich.«

Miller und Jones verlie?en Fortyfoot House ohne ein weiteres Wort. Ich stand vor der Tur und sah zu, wie sie abfuhren, dann wandte ich mich an Danny und Charity und sagte: »Warum geht ihr nicht runter zum Strand und spielt dort eine Weile? Danny, du kannst Charity zeigen, wie man ein Taschenkrebsrennen veranstaltet. Danach mache ich euch Fruhstuck.«

»Aber ich habe jetzt Hunger«, beschwerte sich Danny.

»Danny, bitte. Du wei?t, dass es im Moment nicht ganz einfach fur mich ist. Kommt in ... na, sagen wir, in zwanzig Minuten zuruck. Komm, ich leihe dir auch meine Uhr.«

Ich nahm meine durchsichtige Swatch ab und legte sie um Dannys dunnes Handgelenk. Seit fast sechs Monaten hatte er mich bearbeitet, damit er so eine Uhr bekam, wie ich sie hatte, und jetzt war er so begeistert, dass er sein Grinsen gar nicht mehr abstellen konnte. Charity sah fasziniert auf die Uhr, aber Danny legte seinen Arm um ihre Schultern und sagte: »Komm, Charity! Lass uns Taschenkrebse suchen.« Dann rannten sie aus der Kuche nach drau?en in den Garten.

Wahrend ich den beiden nachsah, wunschte ich mir die Unschuld dieser Zeit zuruck. Fur mich und Janie. Und fur mich und Liz.

Ich nahm das kurze Stemmeisen aus meiner Werkzeugkiste und brachte es ins Wohnzimmer. Wenn irgendjemand oder irgendetwas unter diesen Dielen versteckt worden war, dann wollte ich es als Erster finden. Ich steckte das flache Ende des Stemmeisens zwischen zwei Bretter und bewegte es vorsichtig nach oben, um nicht zu deutliche Spuren zu hinterlassen. Zunachst wollten die Bretter aber nicht nachgeben. Sie sa?en zwar locker und rutschten hin und her, wenn man auf sie trat, doch die Nagel, mit denen man sie befestigt hatte, waren mit gro?er Kraft eingeschlagen worden. Es wurde erhebliche Muhen kosten, sie zu lockern.

Ich begann vorsichtig, doch nach sechs oder sieben erfolglosen Versuchen gab ich diesen Plan fast auf. Was sollte es auch? Ich sollte Fortyfoot House renovieren, und wenn ich dabei den Fu?boden im Wohnzimmer aufrei?en wollte, dann konnte ich das verdammt noch mal auch machen. Ich konnte immer noch sagen, dass ich Trockenfaule gerochen hatte.

Schlie?lich gelang es mir, von einem gequalten Knarren begleitet, einen der langsten Nagel aus dem Holz zu ziehen. Und mit ein wenig Anstrengung gab dann auch noch das Brett seinen Widerstand auf.

Darunter war es finster, aber trocken. Ich hatte meine Taschenlampe auf dem Treppenabsatz gelassen, aber ich wusste auch ohne sie, dass sich etwas unter diesem Fu?boden befand.

Als ich ein weiteres Brett entfernte, sah ich, was Fortyfoot House seit Jahren unter seinem Fu?boden verbarg: einen aschfahlen mumifizierten Korper, sorgfaltig zwischen den Querbalken des Bodens verstaut. Die Haut war vollig trocken und hatte die Farbe von Mahagoni, die Arme waren wie Huhnerklauen angewinkelt, die Augenhohlen waren leer, der Bauch war geoffnet worden und sah, nachdem er uber viele Jahre hinweg getrocknet war, eher wie ein Wespennest aus.

Trotz des Mumifizierungsprozesses war sofort zu erkennen, um wen es sich handelte: Dennis Pickering, den man vor uber 100 Jahren getotet und unter dem Fu?boden begraben hatte. Die trockene Luft unter dem Fu?boden hatte seinen Korper und seine Kleidung weitestgehend konserviert, und das, was von ihm ubrig war, genugte fur Detective Sergeant Miller, um ihn zu identifizieren. Wie Miller allerdings eine gut hundert Jahre alte Mumie in Hush Puppies und Unterwasche von Marks & Spencer erklaren wollte, war mir nicht klar, und ich wollte es auch nicht wissen. Sobald Miller mit Fortyfoot House fertig war, wurde ich das Haus bis auf die Grundmauern abbrennen. Mit ein wenig Gluck wurde es uns alle von Brown Jenkin, vom jungen Mr. Billings und von Kezia Mason sowie von allen anderen Geistern befreien, die Bonchurch seit dem Tag heimgesucht hatten, an dem Fortyfoot House erbaut wurde.

Lange Zeit starrte ich Pickerings geschrumpften Leichnam an. Es war unvorstellbar, dass ich erst gestern noch mit ihm gesprochen hatte, und jetzt lag er dort vor mir wie ein Ausstellungsstuck aus dem British Museum.

»Armes Schwein«, sagte ich tonlos. Noch nie hatte mir ein Mensch so Leid getan. Und das Schlimmste war, dass ich seiner Frau nicht mal sagen konnte, was ihm wirklich zugesto?en und wo er abgeblieben war.

Ich musste die Mumie loswerden, bevor Miller zuruckkehrte, wusste aber nicht, wie ich das anstellen sollte. In der Gartenlaube gab es eine gro?e altmodische Schubkarre, mit der ich ihn in den Garten hatte bringen und unter einem Komposthaufen verstecken konnen. Aber abgesehen von der Tatsache, dass er zu Staub zerfallen konnte, sobald ich ihn beruhrte, war das Risiko immens. Wenn Miller mich dabei erwischte, wie ich Pickerings Leiche beerdigte, wurde er sofort und zu Recht annehmen, dass ich etwas uber seinen Tod wusste. Dabei genugte es schon, dass er mir den Tod von Harry Martin und das unerklarliche Auftauchen von Charity hatte anhangen konnen.

Ich ging durch die Kuche zuruck. Ich wollte einen kurzen Blick auf den Komposthaufen werfen, um zu prufen, ob ich Pickering darin verstecken konnte. Als ich aber die Haustur offnete, sah ich, wie ein Streifenwagen neben meinem Audi hielt. Ein uniformierter Polizist stieg aus und setzte seine Mutze auf, um sich dann mit hinter dem Rucken verschrankten Armen neben seinen Wagen zu stellen. Miller hatte offensichtlich den Mann herbestellt, damit er ein Auge auf mich hatte.

Verdammt, was sollte ich jetzt tun? Die Situation wurde mit jeder Sekunde komplizierter. Wenn ich sicher gewesen ware, dass Miller mir jedes Wort geglaubt hatte, dann hatte ich ihm die Wahrheit erzahlt. Aber so sehr er auch an Geister, an Brown Jenkin und an die ubernaturlichen Machte in Fortyfoot House glauben mochte, musste er doch seinen Vorgesetzten einen Bericht vorlegen. Und wenn Pickerings

Leiche gefunden wurde, dann musste er mich unter Mordverdacht festnehmen. Dennis Pickering war immerhin der Vikar, nicht irgendein Penner oder ein besoffener Tourist. Naturlich konnte er nicht beweisen, dass ich etwas getan hatte, weil dem einfach nicht so war. Aber er konnte mich fur Monate hinter Gitter und Danny zuruck zu Janie oder zu einer Pflegefamilie bringen. Und Liz wurde ich auch nie wiedersehen.

Ich ging zuruck ins Wohnzimmer und betrachtete die mumifizierte Leiche. Ich konnte sie nicht hier und jetzt aus dem Haus schleppen, selbst wenn ich den Mut gefunden hatte, sie anzufassen. Aber was war, wenn ich sie damals, 1886, aus dem Haus brachte, nachdem Kezia Mason und Brown Jenkin Pickering begraben hatten?

Wenn ich es damals machte, dann wurde der Tote jetzt nicht hier sein. Allerdings ging mir der Gedanke durch den Kopf, dass er moglicherweise aus dem Grund hier war, weil ich es 1886 nicht geschafft hatte, ihn aus dem Haus zu bringen. Konnte ich wirklich die Geschichte andern? Konnte ich zuruckreisen und dafur sorgen, dass man Pickerings Leiche niemals fand? Konnte ich vielleicht sogar verhindern, dass er uberhaupt getotet wurde? Die Moglichkeiten erschienen mir unendlich. Vielleicht konnte ich ja dafur sorgen, dass Kezia Mason gar nicht erst ins Fortyfoot House gebracht wurde, dass der alte Mr. Billings nicht von einem Blitz getroffen wurde. Vielleicht konnte ich die Geschichte sogar dahingehend verandern, dass Brown Jenkin nie gezeugt wurde.

Ich setzte die Dielenbretter wieder ein und trat sie fest, dann schlug ich die Nagel wieder ein und nahm eine Hand voll Staub und Asche aus dem Kamin, um sie in die Spalten zwischen den Brettern zu reiben, damit sie so aussahen, als hatte sie seit hundert Jahren niemand mehr angeruhrt. Sehr uberzeugend sah meine Arbeit nicht aus, aber falls Miller die Bretter schnell genug heraushebeln lie?, ohne sie erst grundlich zu studieren, dann war es denkbar, dass ihm nichts auffiel.

Ich sah aus dem Fenster nach Danny und Charity, die bei der Sonnenuhr spielten. Charity sa? auf dem Gras und flocht ein Stirnband aus Ganseblumchen, wahrend Danny auf einem Bein um sie herumhupfte. Es sprach

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