»Ja, ich ... ich glaube, ich habe meinen Schlussel verloren.«

Ich sah mich in der Einfahrt um. »Ich kann sie nirgends sehen, aber weit weg konnen sie nicht sein. Vielleicht sind sie Ihnen im Wagen runtergefallen.«

Er warf einen Blick in den Wagen. »Nein ... sieht nicht so aus. Am besten gehe ich zuruck zum Vikariat und hole den Ersatzsch 1 ussel.«

Ich ging zu ihm. »Sie konnten unter den Sitz gerutscht sein«, uberlegte ich. Ich offnete die Fahrertur und sah unter die Vordersitze, konnte aber nirgends die Schlussel entdecken.

»Na, das ist nicht so schlimm«, sagte er dann. »Der Weg zuruck ist ja nicht so weit.«

»Ich wurde Sie ja fahren, aber ...« Ich deutete auf meinen zertrummerten Audi, dann sah ich ihm nach, wie er in Richtung Stra?e ging, wo er sich noch einmal umdrehte und mir zuwinkte.

Es konnte ein optische Tauschung sein, doch fur den Bruchteil einer Sekunde kam es mir so vor, als sei Pickering jemand anderes - jemand, der kleiner, dunkler, gebeugter war. Doch er war schon aus meinem Blickfeld, bevor ich sicher sein konnte.

Ich lief bis zur Stra?e und sah ihm nach. Er sah immer noch aus wie Dennis Pickering, aber er schien in den wenigen Sekunden ein au?ergewohnlich gro?es Stuck Weg zuruckgelegt zu haben. Er befand sich fast auf der Hohe des Ladens.

Etwas stimmte nicht, es passte nicht zusammen. Ich konnte nicht derart unter Stress gestanden haben, dass ich mir den Ausflug vom gestrigen Abend nur eingebildet hatte. Jemand tauschte mich, ob es nun Liz war oder das Ding, das in Liz lebte, oder der junge Mr. Billings oder Kezia oder Dennis Pickering oder Brown Jenkin. Oder sie alle gemeinsam.

Ich ging zuruck zu Pickerings Wagen und suchte noch einmal nach den Schlusseln. Wenn er heute Morgen hierher gefahren war und den Wagen vor dem Haus geparkt hatte, wie sollte er auf den wenigen Metern bis zur Tur den Schlussel verlieren? Ich stutzte meine Hand auf die Motorhaube, um Halt zu haben, wahrend ich unter den Wagen sah. Das Blech war zwar von der Sonne aufgeheizt, aber es roch nicht nach einem hei?en Motor. Ich offnete die Haube und beruhrte vorsichtig den Zylinderkopf. Er war vollig kalt. Der Wagen war heute Morgen keinen Meter gefahren worden, vielmehr hatte er hier gestanden, seil Pickering am Abend zuvor angekommen war.

In dem Moment rief Liz mir zu: »Telefon.«

Ich nahm im Wohnzimmer den Horer ab. Drau?en spielte Danny noch immer mit dem Wasserball.

»Hier ist Detective Sergeant Miller«, horte ich Miller sagen. »Ich habe gerade einen Anruf von Mrs. Pickering erhalten, der Frau des guten Vikars.«

»Sagen Sie nichts. Er ist wieder aufgetaucht.«

»Stimmt, aber woher wissen Sie das?«

»Er ist auch hier gewesen. Zumindest jemand, der so aussah wie er.«

Es folgte ein kurze Pause. »Ich wei? nicht, ob ich Ihnen wirklich folgen kann.«

»Machen Sie sich keine Gedanken. Hier herrscht die Meinung vor, dass ich den Verstand verliere.«

»Oh, ich verstehe.«

»Nein, das glaube ich nicht. Ich habe Pickering vor einigen

Minuten gesehen, aber ich bin nicht davon uberzeugt, dass er es auch ist.«

»Warum sollte er nicht Pickering sein?«

»Weil Pickering vermisst wird.«

»Nein, seine Frau hat ja gerade angerufen und gesagt, dass er zu Hause ist.«

»Ist sie sicher, dass er es ist?«

»Also, wenn seine eigene Frau ihn nicht identifizieren kann, dann wusste ich nicht, wer es sonst konnte.«

»Ich mache mir Sorgen um seine Frau«, sagte ich.

»Warum das?«, fragte Miller.

»Wenn er nicht Dennis Pickering ist - wovon ich uberzeugt bin dann ist er etwas anderes.«

Wieder folgte eine kurze Pause. »Ich wurde sagen, dass dahinter eine gewisse Logik steckt, wenn auch eine sehr verdrehte Logik. Aber wenn er etwas anderes ist, was ist er dann?«

»Er konnte Brown Jenkin sein.«

»Brown Jenkin?«, wiederholte Miller tonlos. »Sie meinen, er ist in Wahrheit eine riesige Ratte, die sich als er verkleidet hat?«

»Sie glauben mir nicht.«

»Das habe ich nicht gesagt. Ich uberlege nur, wie Mrs. Pickering ihren Mann mit einer Ratte verwechseln kann. Ich meine, es gibt eine Menge Frauen, bei denen ich mir das gut vorstellen kann, aber nicht Mrs. Pickering.«

»Sie haben doch heute Morgen seinen Wagen vor dem Haus stehen sehen.«

»Ja.«

»Also musste er doch gestern Abend hergekommen sein, oder?«

»Das sollte man daraus schlie?en, ja. Es sei denn, jemand hatte den Wagen ohne sein Wissen dort abgestellt.«

»Dazu hat er sich aber nicht geau?ert. Er hat nicht gesagt: >Oh, sehen Sie doch, hier ist ja mein Wagen. Ich habe ihn schon uberall gesucht.< Stattdessen hat er gesagt, dass er gestern Abend nicht hier war.«

»Warum sollte er das sagen?«

»Um mich glauben zu lassen, dass ich unter Halluzinationen leide. Aber das ist nicht der Fall, der Motor seines Wagens war kalt. Der Wagen ist seit gestern Abend nicht bewegt worden, also muss er gestern Abend hier gewesen sein. Au?erdem hatte er den Wagenschlussel nicht bei sich. Er hat so getan, als habe er den Schlussel verloren. Aber wie kann er auf einer Strecke von funf oder sechs Metern einen Schlussel verlieren und nicht wiederfinden?«

»Das ist alles sehr interessant, Mr. Williams. Aber das sind keine handfesten Beweise dafur, dass Reverend Pickering in Wahrheit eine riesige Ratte ist. Au?erdem: Warum sollte er Sie glauben machen, dass Sie unter Halluzinationen leiden?«

»Das macht nicht er.«

»Wer dann?«

In dem Moment wurde mir bewusst, wie lacherlich ich mich anhoren musste. Ich hatte mir gewunscht, dass Miller mir glaubte. Aber sein Tonfall lie? mich erkennen, dass ich seine Bereitschaft, an das Ubersinnliche zu glauben, viel zu sehr strapazierte. Er begann offensichtlich zu denken, dass ich tatsachlich unter Wahnvorstellungen litt:. Das Schlimmste daran war, dass ich langsam bereit war, selbst daran zu glauben.

Alles, was ich seit dem ersten Tag in Fortyfoot House erlebt hatte, schien so real zu sein wie ein Horrorfilm. Miller sagte: »Also gut. Reverend Pickering ist wieder da, zumindest jemand, der so aussieht. Das hei?t, wir mussen Ihnen nun doch nicht den Fu?boden im Wohnzimmer aufrei?en. Das war's dann fur heute.«

»Tut mir Leid«, sagte ich. Wahrend ich den Horer auflegte, wunderte ich mich, was genau mir eigentlich Leid tat. Mein Blick fiel auf die Buntstiftzeichnung, die Danny an die Wand gehangt hatte. Sweet Emmeline mit roten Wurmern in den Haaren. Und der Mann mit dem Schornsteinhut. Ich hatte das Gefuhl, dem Wahnsinn ganz nahe zu sein.

Ich ging in die Kuche, wo Liz Zwiebeln schalte und heulte. Ich blieb im Durchgang stehen und fragte sie: »Was machst du da?«

Sie wischte mit dem Handrucken die Tranen fort und verschmierte ihren Lidschatten. »Ich mache eine Huhnchenkasserolle. Wieso?«

»Das ist unsinnig. Es sei denn, du willst sie ganz alleine essen. Wir gehen. Jedenfalls Danny und ich.«

»David«, sagte sie. »Jetzt wegzulaufen, ware der gro?te Fehler, den du machen konntest. Wenn du weglaufst, dann wirst du dich nie den Dingen stellen konnen, die dir diesen Stress bereiten. Du brauchst Ruhe, und du musst daruber reden. Du musst daruber nachdenken.«

»Gro?e Worte einer Amateurpsychiaterin.«

Sie legte das Messer zur Seite. »David, bitte. Du hast Fortyfoot House zu einer Allegorie fur deine Beziehung

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