zu Janie werden lassen. Kannst du das nicht verstehen? Als du dann Harry Martin hast sterben sehen und als du Doris Kembles Leiche gefunden hast, hast du das als Beweise dafur angesehen, dass all deine Albtraume von Fortyfoot House real sind. David, ich habe dich beobachtet. Du benimmst dich merkwurdig und du sagst sonderbare Dinge. Ich nahm an, du hattest es uberwunden, aber es scheint nur noch schlimmer zu werden. Wenn dn gehst, dann wirst du umso mehr glauben, dass deine Albtraume die Realitat darstellen.«

»11mm«, sagte ich, wahrend ich um den Kuchentisch ging. »Gute Theorie, guter Versuch. Aber angenommen, ich gehe nach oben und werfe einen Blick auf den Speicher. Was ware dann?«

Sie zuckte mit den Schultern. »Woher soll ich das wissen? Du redest die ganze Zeit uber vom Speicher.«

Ich sah auf meine Uhr. »Im Jahr 1886 musste jetzt bald die Sonne aufgehen.«

»David«, flehte mich Liz an. »Horst du dir eigentlich selbst zu? Das klingt vollig verruckt. Als Nachstes erzahlst clu mir noch, dass du Napoleon bist.«

»Ich brauche nur einen Beweis«, sagte ich. Gott, ich hoffte, dass ich nicht zu zittern begann. Dannys Ball schlug immer wieder gegen die Kuchenwand, wahrend eine Mowe, die in der warmen Morgenluft ihre Bahnen zog, eine Reihe von Schreien ausstie?, die sich wie Babyschreie anhorten.

»Wie war's mit einer Tasse Kaffee?«, fragte sie mich besorgt. Wurde ein seelenloses Wesen vom Anfang aller Zeiten mich fragen, ob ich eine Tasse Kaffee wollte? Vielleicht ja. Vielleicht war es zu einer so subtilen und detaillierten Tauschung in der Lage. Bei Pickerings Wagen hatte es zum Beispiel einen Fehler gemacht. Das Wesen mochte Liz' Bild von Dennis Pickering genommen haben, um eine Illusion von Pickering zu erschaffen. Aber ein Madchen wie Liz, das kein Auto und keinen Fuhrerschein besa?, machte sich keine Gedanken daruber, dass der Motor seines Wagens hei? sein musste. Also hatte das in der Illusion gefehlt.

Und was war mit dem Schlussel? Den hatte sie auch vergessen. Wenn Pickering aber wirklich eine Illusion war, dann hatte sie vielleicht doch daran gedacht, ihm einen Schlussel zu geben. Vielleicht konnten Illusionen aber auch kein Auto fahren. Konnte ein seelenloses Wesen vom Anfang aller Zeit wissen, wie man ein Auto fahrt?

Ich sah Liz an. Sie sah so hubsch, unschuldig und besorgt aus, dass ich noch wutender wurde. Ich hatte das Gefuhl, dass jemand mein Gehirn wie ein Marmeladenglas zerschmettert hatte.

»Nein, danke, ich mochte keinen K-k-k-...«, stammelte ich.

Sie legte ihre Hand auf meine Schulter und kusste mich auf die Stirn. »David, du siehst einfach schrecklich aus. Leg dich doch ein wenig hin.«

Ich atmete tief durch. Ruhig, David, ganz ruhig. Du bist nicht verruckt, das wei?t du genau. Aber wo ist Charity ? Und warum kann sich Danny nicht an sie erinnern ?

»Ich mochte mich erst noch mal auf dem Dachboden umsehen«, sagte ich.

»Haltst du das fur eine gute Idee?« »Ich wei? nicht. Es konnte sogar eine sehr schlechte Idee sein, es konnte extrem gefahrlich sein. Aber ich schatze, dass du dich an den Grund nicht erinnern kannst. Ich nehme nicht an, dass du noch wei?t, wie du Charity nach oben gezogen hast, damit sie nicht von Brown Jenkin in Stucke gerissen wird.«

Liz sagte nichts, sondern druckte mich an sich, sodass ich ihren Atem auf meinem Gesicht spuren konnte.

»Ich muss das einfach machen, das ist alles«, sagte ich.

»Soll ich mitkommen?«, fragte sie.

»Nein, nein, koch du nur weiter. Wer wei?, vielleicht ist da oben ja gar nichts und wir konnen zum Abendessen bleiben.«

18. Der Sohn des Blutes

Ich offnete die Tur zum Dachboden, und wieder schlug mir der abgestandene Luftzug entgegen. Ich sah zu Liz, die auf der Treppe hinter mir stand und mir zunickte: »Geh schon, geh. Du musst Gewissheit haben.«

Ich schaltete die Taschenlampe an und richtete sie auf die Stufen. Es war da oben vollig dunkel, nicht ein Hauch von Morgendammerung. Aber im Jahr 1886 war es November, nicht Juli. Also konnte es durchaus sein, dass es noch dunkel war, immerhin war es sehr fruh am Morgen.

»David«, sagte Liz. »Ruf mich, wenn du mich brauchst.«

»Habe ich jemals gesagt, dass ich dich nicht brauche?«, gab ich zuruck.

»Ich will nur, dass es dir gut geht.«

Darauf wusste ich nichts zu sagen, also ging ich die Treppe hinauf auf den Speicher und sah mich um. Die Taschenlampe beleuchtete das vertraute Gerumpel, wahrend ich mich am Gelander festhielt. Es war kein Kratzen zu horen, nur der Wind und das Kreischen hungriger Mowen.

Du hast dir alles nur eingebildet, siehst du? Das kommt alles nur von den Marchen, die dir Mutter erzahlt hat, dachte ich. Ich erinnerte mich daran, wie mir meine Mutter an Winterabenden in Sussex Marchen vorlas. Vom Schneider, der Daumen abschnitt, von Paulinchen, die allein zu Hause war, vom Suppenkaspar, der seine Suppe nicht essen wollte. Meine Suppe ess ich nicht, nein, ich esse meine Suppe nicht. Ich konnte die Worte so deutlich horen, als wurde sie sie mir gerade erzahlen. Ich konnte meine grun gemusterte Decke sehen, meinen grun gestreiften Pyjama, meine Modellflugzeuge auf dem Schrank, leimverschmiert und schief zusammengebaut. Ich konnte Kezia Mason in blutgetrankte Laken gewickelt sehen, ich sah den jungen Mr. Billings, wie er uber den Rasen ging. Ich sah Brown Jenkin, der wie ein Schatten voller Klauen und Zahne hinter ihm herlief.

Ich bemerkte, dass ich das Gelander so fest umschlossen hielt, als wolle ich es aus der Wand rei?en. Mein Herz raste wie verruckt. Stress, dachte ich. Zu viel Adrenalin. Ich werde verruckt, ich kann nicht mehr zwischen Realitat und Einbildung unterscheiden. So ist das also, wenn man dem Wahnsinn verfallt. Das ist eine totale, au?er Kontrolle geratene Breitwand-Paranoia in Technicolor.

Ich tat einen Schritt nach dem anderen, wahrend ich mit der Taschenlampe die Stufen beleuchtete. Ich erreichte das Dachfenster und sah nach oben. Kein Himmel, keine Sterne. Es war so verschlossen wie zu der Zeit, als Harry Martin einen Blick hineingeworfen hatte. Ich ging hinuber zur Klapptur und hob den Teppich an. Nichts. Keine Klapptur. Ich beruhrte den Boden und stellte ohne jeden Zweifel fest, dass Mr. Billings' so genannter »sumerischer Durchgang« ins Jahr 1886 nicht existierte. Ich hatte mir alles nur eingebildet. Ich hatte Kindheitsgeschichten und Tratsch uber Fortyfoot House und den Bericht uber die sumerischen Zikkurats im National Geographie durcheinander gebracht und eine Fantasiewelt erschaffen, in der es mysteriose Fremde, Hexen und Zeitreisen gab.

In gewisser Weise war es fast eine Erleichterung, dass nichts von alledem real war. Ich stand auf dem dunklen Dachboden und hatte Tranen in den Augen. Ich fuhlte mich, als sei ich von einer schrecklichen Verantwortung befreit worden. Gro?er Gott! Hatte Liz nicht eingegriffen, hatte sie mir nicht klar gemacht, wie sonderbar ich geworden war, dann ware ich vielleicht in einer geschlossenen Anstalt gelandet und hatte den freundlichen Schwestern immer wieder gesagt, dass Sothoth mir auf den Fersen sei. Ich konnte mich jetzt sogar daran erinnern, dass ich den Namen >Sothoth< aus einer Kurzgeschichte von H. P. Lovecraft kannte, die ich in der Schule gelesen hatte: »Der schadenbringende Yog-Sothoth, jene Brut der Schwarze aus Urzeiten, jenes tentakelbeivehrte amorphe Monster, dessen Maske eine Ansammlung aus schillernden Kugeln war - Yog-Sothoth, der fur alle Zeit als Urschleim in nuklearem Chaos jenseits der tiefsten Au?enposten von Raum und Zeit schaumt!«

Ich ging uber den Speicher zuruck zur Treppe und weinte noch immer. Ich fuhlte mich fast wie neugeboren. Ich trampelte auf dem Fu?boden umher, wo sich die Klapptur hatte befinden mussen, wo aber nichts war. Ich ging die Treppe hinunter und schaltete die Taschenlampe aus, dann schloss ich die Tur hinter mir.

Liz stand noch immer auf der Treppe. »Und?«, fragte sie lachelnd.

»Also, ich wei? nicht, woruber du dich freust, aber ich habe gerade festgestellt,

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