»Warum interessiert er dich eigentlich so? Ich kenne keinen, der je etwas wirklich Schlechtes uber ihn zu sagen hatte. Er mag eine von den grauen Eminenzen sein, aber diese Olympierinnen haben ihn ganz schon in der Mangel. Der Kleine tut mir leid.«
Der winzige Drache zog die Schultern hoch.
»Ich mach’ mir nur meine Gedanken. Je mehr ich von ihm hore, desto mehr denke ich nach. Gott oder nicht Gott, der Mann scheint sehr viel zu verbergen und enormen Einflu? zu haben, damit er das sicherstellen kann. Solche Leute interessieren mich.«
Zigeuner wollte etwas sagen, als es im Bordlautsprecher knackte.
»Achtung! Achtung!«Die heisere Sopranstimme des weiblichen Kapitans ertonte. »Die Dreel unternehmen Vorsto?e in den Sektor unmittelbar vor uns, und wir haben den Befehl erhalten, beizudrehen. Da die Wartezeit lang werden kann, gedenke ich, uns in eine Umlaufbahn um Cadabah zu bringen, und um der Sicherheit willen mu? ich darauf bestehen, da? dort alle Passagiere aussteigen. Wenn die Gefahr vorbei ist, konnen alle wieder an Bord kommen, und wir setzen die Reise fort. Diese Entscheidung liegt im Interesse aller. Bitte, erscheinen Sie in zwanzig Minuten in der Andock-Kammer und nehmen Sie Gepack fur eine Ubernachtung mit. Wir bedauern die Unannehmlichkeit.«
Das war alles, aber es genugte. Selbstverstandlich war dergleichen in einer Kampfzone ublich. In einem Raumflughafen waren, durch Zoll und Einwanderungsbehorden abgeschirmt, die Passagiere sicherer, und der Kapitan konnte eine schnelle Flucht vorbereiten.
Zigeuner seufzte und stand auf.
»Ich wu?te nicht, da? wir den Kampfen so nah sind.«
»Waren wir nicht«, gab Marquoz zuruck. »Das ist ausgesprochen schlecht. So gro?artig waren die Meldungen vom Krieg nicht, als wir abflogen, aber wenn die Front so weit zuruckgewichen ist, sind wir in schlechterer Verfassung, als ich dachte.«
Der Krieg lief nicht gut. Ihrer Fahigkeit beraubt, Welten heimlich zu erobern, hatten die Dreel die schwachsten und verwundbarsten Systeme offenbar mit ihrer ganzen Flotte eingeschlossen. Die Kom-Flotten und Waffenkammer-Teams waren eingesetzt worden und in den Kampf hineingezogen worden. Diesmal waren die Dreel besser in der Abwehr; Kom-Waffen vermochten sie nicht mehr zu uberraschen. Die Dreel hatten viel schnellere und leichter manovrierbare Schiffe als der Kom-Bund — und die Waffenkammer war mit Schreckenswaffen so vollgestopft, wie die Legende behauptete. Das war das Problem. Das Arsenal der Waffenkammer war geschaffen worden, um Sonnen zu zerstoren und Planeten zu Asche zu zerblasen, aber nicht fur den Kampf Raumschiff gegen Raumschiff oder einen Einfall in eine feindliche Flotte. Es war nichts anderes, als der todlichen Fliege mit nichts Geringerem als der Atombombe zu begegnen.
Beim Kampf Schiff gegen Schiff waren die Dreel weit uberlegen. Sie hatten dafur die richtigen Waffen und schnelle Schiffe, und viel bessere Fuhrer. Sie erzielten Siege, weil man an ihre Hauptflotte und Strategiezentrale nicht herankonnte. Nur ihre geringere Zahl hatte verhindert, da? sie den Kom-Bund innerhalb von Wochen uberrannten. Nun ging das schon Jahre, viele Jahre — aber der Kom-Bund unterlag. Die Dreel uberrannten mehr Welten, als vom Kom zerblasen werden konnten — und wenn man die Welten sprengte, schadigte man die Dreel gar nicht besonders.
Wahrend Zigeuner und Marquoz achtern gingen, fragte der Chugach seinen Begleiter:»Was wei?t du uber Cabadah? Gibt es da was Interessantes?«
»Ganz miese Gegend«, knurrte Zigeuner. »Eine der alten Kom-Welten, als Kom noch eine verderbte Form von Konformismus, nicht von Kommune war. Ein Haufen Farmer, die alle gleich aussehen, gleich denken, gleich handeln. Einer von diesen menschlichen Insektenhaufen.«
Marquoz seufzte.
»Also todlangweilig. Na ja, nicht zu andern.«
Die Andock-Kammer fullte sich bereits mit Passagieren.
Die Olympierin war zur Stelle; sie ragte heraus wie eine echte Konigin in einem Schweinestall und trug nur einen gro?en Umhang.
»Sie sieht verargert aus«, stellte Marquoz belustigt fest.
»Ah, mein Junge, sie wird uns bald auf die Nerven fallen«, prophezeite Zigeuner. »Wenn sie anfangt, sich zu langweilen, wird sie versuchen, uns alle zu bekehren.«
Er hatte recht. Noch bevor die Fahrrakete auf dem Raumflughafen von Cabadah landete, wurde die Bekehrung mit der Inbrunst einer Fanatikerin begonnen. Eines mu?te Marquoz ihr allerdings lassen: Gleichgultig, wie verruckt ihre Religion sein mochte,
Er fragte sich, wie lange die heiligsten Verschwiegenheitssiegel auf Rats- und Kom-Informationen halten wurden, wenn die Dreel immer weiter vorruckten.
Kwangsi
Wie sich herausstellte, hinkte Marquoz hinter der Zeit zuruck. Der Rat bestand aus Politikern, gewi?, aber weder aus gro?en Personlichkeiten noch aus Narren. Als die Dreel weiter vorstie?en, erkannten die Ratsmitglieder die Schrift an der Wand, und ihre Beurteilungen wurden unterstutzt durch ihre Computer und ihre militarischen Fuhrer.
Der Kom-Bund wurde verlieren. Schlimmer noch, bei der Beschleunigung ihres Vorsto?es wurden die Dreel ein gro?es Reservoir an eroberten Welten aufbauen, deren Hilfsmittel sie nutzen konnten. Mit der Herrschaft uber die menschlichen Bevolkerungen — selbst immunisierte — besa?en die Dreel einen gewichtigen Vorteil; sie konnten die erforderlichen Eigenschaften zuchten, die die Immunisierung wertlos machten. Wenn die Dreel in diesem Tempo weitermachten und nicht innerhalb eines Jahres zum Stehen gebracht wurden, konnte man sie nicht mehr aufhalten. Sie wurden zu viele sein, die Korper ihrer Feinde tragen und nicht nur die zusatzlichen Schiffe und Waffen bauen, die sie brauchten, sondern eroberte Industrien durch fortgeschrittene Dreel- Technologie verandern. Die Schiffe gegen den Kom-Bund wurden ebenfalls von Menschen geflogen werden.
Der Krieg mag der wirksamste Anreiz fur Neuerungen und technologischen Fortschritt sein, aber fur dergleichen Dinge blieb nicht genug Zeit. Es spielte keine Rolle, ob die Superwaffe entwickelt wurde, wenn sie nicht hergestellt und eingesetzt werden konnte, bevor die Dreel gesiegt hatten. Die einzige Hoffnung lag also in fruherer Forschung, verbotener Forschung: in Forschung und Information, die von fruheren Generationen als zu gefahrlich und fur geheim erklart worden war. Jeder wu?te, da? solche Dinge irgendwo in den Archiven existierten — aber keiner wu?te, was oder warum oder wie.
Auf fast einstimmigen Beschlu? des Rates hin wurden die Siegel geoffnet. Eifrige Wissenschaftler studierten die Archive und entdeckten oft, da? sogar die zum Verstandnis dieser verbotenen Projekte erforderlichen Werkzeuge hinter wieder anderen Siegeln verborgen waren. Vieles blieb deshalb nutzlos — und vieles andere taugte nichts, weil es fur das Problem auch nicht entfernt von Belang war.
Tortoi Kai war keine Naturwissenschaftlerin, sondern Historikerin, die nach Hinweisen auf Ereignisse suchte, die aus den offenen Nachschlagewerken sorgfaltig verbannt und archiviert worden waren, um vergessen zu werden. Sie stellte mit Entsetzen fest, wieviel von der Vergangenheit durch die von fruheren Raten bestellten Historikerausschusse manipuliert worden war. Je weiter man zuruckging, desto schlimmer wurde es — umfassende Versuche, die Geschichte umzuschreiben —, aber wahrend sie daran arbeitete, die Vergangenheit richtigzustellen, bemuhten ganze Stabe sich darum, die Gegenwart zu entstellen.
Kai war eine typische Historikerin; obwohl ihre Welt rings um sie zusammenbrach, verfolgte sie Nebenfaden und lie? sich von den gro?en und kleinen Leuten und Ereignissen in Bann ziehen, die, plotzlich offen zutage tretend, verwandelten, was sie gelernt hatte. Es begann mit einem Faden, einem Namen aus einer seit 762 Jahren toten Vergangenheit — wahrend der Zeit der Schwamm-Handler, einer dunklen Zeit fur die Weltengemeinschaft, lange vor der Entdeckung der ersten nicht-menschlichen Rasse. Je weiter sie durch das ›Fenster‹ dieser Zeit hinausblickte, desto ofter tauchte der Name auf.
Jedermann wu?te, da? die Menschheit sich ursprunglich auf einer wunderschonen, blauwei?en Welt namens Erde entwickelt hatte, dem dritten Planeten unter einer gelben Sonne vom Typ G. Es war eine Welt widerstreitender Ideologien, sich rasch vermehrender Bevolkerung und ebenso rasch schwindender Ressourcen,