nicht geht. Der Kom-Bund ist nicht gegen Religionen, aber er ist religionslos. Wir konnen das Richtige vom Falschen nicht unterscheiden, so wenig wie das Wirkliche vom Unwirklichen, die hohere Geistigkeit von Aberglauben und Betrug. Wir versuchen es auch gar nicht. Bedenken Sie die Prazedenzwirkung, Madame! Wenn wir auch nur einer religiosen Gruppe Zugang zu Geheimarchiven gestatten, warum dann uberhaupt etwas fur geheim erklaren?«
»Aber wir wollen doch nur eines!«sagte sie laut.
Der kleine Drache zog die Schultern hoch.
»Dieser Brazil besitzt dieselben Rechte wie Sie. Vom Kom-Standpunkt aus hat er gezeigt, da? er nicht gefunden werden mochte. Konnen Sie abgesehen von Ihren religiosen Ansichten irgendeinen Grund nennen, weshalb das zugelassen werden sollte?«
»Abgesehen von —«fuhr Yua auf und verstummte.
»Hier ist noch jemand«, sagte Zigeuner plotzlich.
Sie winkte ab.
»Die Akoluthen laufen uberall herum und montieren die Lautsprecheranlage ab.«
Der schwarzhaarige Mann schuttelte den Kopf.
»Nein, die meine ich nicht. Irgend jemand belauscht uns. Es ist jemand hier mit uns im Raum.«
Yua und Marquoz schauten sich um. Das Zimmer war klein und besa? keine Versteckmoglichkeiten.
»Sie irren sich«, sagte Yua.
»Er irrt sich selten«, erklarte Marquoz ganz leise.
Sie blieben eine Weile schweigend sitzen, bis der Drache endlich die Schultern hochzog.
»Was macht das? Wir besprechen hier keine Staatsgeheimnisse.«Er sah die Priesterin an. »Ich frage noch einmal: Gibt es irgendeinen Grund — mit Ausnahme Ihres Glaubens —, der Ihnen Zugang zu den Archiven sichern sollte?«
Yua wollte gerade antworten, als Zigeuner sagte:»Mehr als einer. Hier sind mehrere Wesen, die uns belauschen.«
Marquoz und Yua betrachteten ihn mit Besorgnis, dann wandte der Drache sich wieder an die Olympierin.
»Also?«
»Ihre eigenen Forschungen haben unseren Glauben bestatigt«, erklarte sie. »Das mu? Ihnen klar sein. Ihre eigenen Wissenschaftler geben an, da? es irgendwo einen Hauptcomputer gibt, da? Zinder recht hatte — und da? wir Olympier Zinders Kinder sind. Sie haben sich mit den Kraften befa?t, die zu unserer Erschaffung gefuhrt haben, also wissen Sie, da? dem so ist. Warum wollen Sie uns dann bei dieser einen Kleinigkeit nicht noch entgegenkommen? Wenn wir uns irren, ist wenig verloren. Niemand braucht je davon zu erfahren — Sie konnen den Prazedenzfall so leicht vergraben wie jede andere Tatsache, bei der Ihnen das sinnvoll erscheint. Wenn wir recht haben, dann ist das etwas, das der Kom-Bund wissen mu?.«
Marquoz uberlegte, schuttelte schlie?lich aber den gro?en Kopf.
»Nein, bedaure. Wie gesagt, wir konnen das zudecken, aber wir haben von der ganzen Sache nichts. Brazil konnte uns jederzeit wegen Storung der Privatsphare verklagen.«
»Ah! Sie geben also zu, da? er existiert!«
Der Drache nickte.
»Gewi?, es gibt — oder gab — eine Person namens Nathan Brazil, wenngleich alles darauf hindeutet, da? er, wenn er Gott ist, nicht der sein kann, den Sie suchen.«
»Was meinen Sie damit?«
»Ich bin der Sache nachgegangen«, erwiderte der Chugach. »Er ist unter Frachterkapitanen eine Art Legende. Bei weitem der Alteste, ein Einzelganger, starker Trinker und Raufbold aus Lust an der Sache. Nicht gerade das, was man sich unter einem Gott vorstellt, oder?«
Sie hob die Schultern.
»Wer kann behaupten, Gott oder das, was ER tut, zu kennen oder zu verstehen?«
Marquoz seufzte.
»Ich gebe zu, da? das schlecht zu widerlegen ist, aber nein, ich furchte, Sie haben mir nicht genug Material geliefert, das ich dem Prasidium vorlegen konnte. Bedaure.«Er sah seinen zerstreuten Freund an. »Zigeuner? Kommst du?«
»Vielleicht kann
»Seht ihr? Hab’ ich doch gesagt!«stie? er hervor.
Marquoz schaute sich im leeren Zimmer um.
»Wer spricht da?«sagte er scharf. »Wo sind Sie?«
»Hier«, erwiderte die Stimme unmittelbar hinter ihm. Er drehte sich herum und sah eine junge Frau, ganz in Schwarz gekleidet, zierlich und nicht viel gro?er als er, mit Lederstiefeln und breitem Gurtel, in dessen Schnalle sich zwei Drachenkopfe ineinander verbissen.
»Wer, zum Teufel, sind Sie?«fragte er. »Und wo hatten Sie sich versteckt?«
Die Frau lachelte und neigte den Kopf in Richtung Yua.
»Fragen Sie die da. Sie kann das so gut wie ich. Ich bin jemand, der die Wahrheit hinter dieser albernen Religion kennt, und ich verfuge uber den Grund, wonach Sie Nathan Brazil finden oder uns erlauben werden, ihn ausfindig zu machen.«
»Sie denken an Gewalt?«Marquoz mu?te beinahe lachen.
Sie schuttelte den Kopf.
»Nein, nicht an Gewalt. Der Grund, warum Sie Nathan Brazil finden mussen, ist der, da? er der einzige ist, der den Schacht-Computer in Ordnung bringen kann — und wenn er nicht in Ordnung gebracht wird, dann verschluckt das klaffende Loch im Raum-Zeit-Kontinuum, das Ihre ahnungslosen Militars hervorgerufen haben, in weniger als hundertfunfzig Jahren den ganzen Kom-Bund.«
Yua war auf den Beinen.
»Wer sind Sie?«fragte sie scharf. »Wer kann einen derart bewachten Raum betreten und Dinge tun, zu denen nur Olympierinnen imstande sind?«
»Antworten kommen spater«, erwiderte die ratselhafte Frau. »Okay, Leute, ihr konnt jetzt rauskommen.«
Plotzlich tauchten im Zimmer verteilt sechs weitere Gestalten auf, drei mannliche, drei weibliche. Alle waren gro? und beeindruckend, jeder mit einer Pistole unbekannter Art ausgerustet.
Yua schien zur Uberraschung von Marquoz und Zigeuner vor ihren Augen plotzlich zur Unsichtbarkeit zu verblassen. Die Neuankommlinge lie?en sich jedoch nicht tauschen. Die fremde Frau blickte auf die Stelle, wo Yua verschwunden war, und sagte ruhig, aber befehlend:»Damit erreichen Sie gar nichts. Wir konnen Sie trotzdem sehen und verfolgen. Wir wissen genau Bescheid.«
Eine der Frauen trat an die Stelle, wo Yua zuletzt gestanden hatte, und zeichnete mit der Pistole grob ihren Umri? nach.
Yua raumte ihre Niederlage ein, obwohl sie nach wie vor nichts begriff, und tauchte wieder auf. Sie funkelte nicht die Fremden bose an, sondern Marquoz.
»Das ist doch ein schmutziger Trick! Was wollen Sie damit eigentlich erreichen?«
Marquoz seufzte.
»Ich versichere Ihnen, Madame, da? ich von dem, was vorgeht, noch weniger begreife als sie. Ich vermute nur, da? wir gerade von einer neuen, fremden Bedrohung gefangengenommen worden sind, etwas, das langsam eintonig wird.«
»Nur keine Bewegung«, warnte die Frau in Schwarz. »Wir unternehmen alle eine kleine Reise.«
Marquoz schaute sich um und warf einen Blick auf Yua.
»Wie viele Wachen und Akoluthen haben Sie hier eigentlich?«fragte er.
Die kleine Frau lachte leise in sich hinein.
»Wir werden keinem begegnen.«Sie lachelte Yua zuckersu? an. »Was ist denn, Schatzchen? Kein Respekt fur Nathan Brazils Urenkelin?«
Schlagartig verschluckte sie Schwarze, und fur kurze Zeit hatten sie das Gefuhl hinabzusturzen. Dann