All dies entnahm Obie aus Yuas Gehirn, ebenso die linguistischen Unterschiede, kulturellen Erscheinungen und Haltungen. Mavra wurde keine auffalligen Fehler begehen. Yua war jedoch keine besonders gro?e Hilfe. Sie hatte von Anfang an Priesterin werden sollen, so da? sie wenig Beruhrung mit der eigentlichen Gesellschaft ihres Heimatplaneten gehabt hatte.

Beispielsweise hatte sie nie einen mannlichen Olympier gesehen. Sie wu?te naturlich, da? es sie gab; sexuell war sie nicht unwissend, obschon man ihre Triebe in dieser Richtung auf irgendeine Weise beschnitten hatte. Sie war zwar noch keinem von diesen Mannern begegnet, vertrat aber eine sehr niedrige Meinung von dem Geschlecht im allgemeinen, die nach ihrer Ansicht wenig mehr waren als kluge Tiere, Sex-Maschinen, die fur wenig anderes taugten.

Mavra und Obie fanden diese Einstellung sonderbar, behielten sich ein endgultiges Urteil aber vor. Es gab gar keinen Grund, weshalb die Manner so sein sollten. In die Biologie der olympischen Manner hatte Obie ganz gewi? keine intellektuelle Unterlegenheit einprogrammiert.

Es gab in dem kleinen, spartanischen Raumflughafen keine Zoll- oder Einwanderungs-Formalitaten; wenn man kein Olympier war, tauchte man dort erst gar nicht auf. Es gab auch keine Kaschemmen, Bars oder andere Hafeneinrichtungen — nur Landedocks fur Raumfahren, Lastkahn-Docks und einen kleinen Aufenthaltsraum. Alles war modern und zweckbestimmt.

Sparta, die Hauptstadt, machte ihrem Namen Ehre — kein Schmuck, nur Funktion. Sie lag in einem gro?en, schusselformigen Tal, auf drei Seiten von schneebedeckten Berggipfeln, auf der vierten von einem seltsam beunruhigenden, dunkelroten Ozean umgeben, und man mu?te es als Schande empfinden, da? sie nicht so schon war wie ihre Lage. Kantige, gedrungene Gebaude, breite Stra?en mit Betonpfeilern, alles stumpfes Grau und Braun. Stra?enbahnen beforderten die Bewohner ruhig und lautlos fast uberallhin; die Hangbereiche wurden von Gondelliften bedient. Private Fahrzeuge schien es nicht zu geben, auch wenn auf ihren eigenen Fahrspuren viele Lastwagen hin- und herschnurrten.

Die Leute gingen auch viel zu Fu?, in jedem Stadium des Bekleidet- oder Unbekleidetseins, oft mit viel Schminke, Schmuck und allen moglichen Haar- und Schweif-Frisuren und Tatowierungen. Manche sahen aus wie alte Zirkus-Schaustucke.

Mavra verstand die uberflussige Ausschmuckung sofort. Alle Olympier sahen ab dem funfzehnten Lebensjahr gleich aus und blieben so. Sie alterten innerlich, aber nicht au?erlich, bis sie starben, gewohnlich im Alter von rund zweihundert Jahren. Sie waren alle gleich gro?, hatten genau die gleiche Stimme, alles gleich, ausgenommen Haar- und Augenfarbe, was man mit Farbstoffen oder Kontaktlinsen andern konnte.

Sich zu einem jederzeit erkennbaren individuellen Wesen zu machen, war fur diese Frauen deshalb eine Passion — und das war alles, was Mavra sah. Hunderte und Tausende gleich aussehender Frauen uberall in der Stadt. Keinen einzigen Mann.

Die meist eintonige Arbeit, einschlie?lich jener, das Gepack der Neuankommlinge zu befordern, wurde von Robotern geleistet, so konstruiert, da? sie der korrodierenden Atmosphare widerstanden. Es gab kluge und dumme Olympier, weil es kluge und dumme Erste Mutter gegeben hatte und naturlich auch andere Umweltfaktoren einwirkten, aber niemand brauchte Handarbeit zu leisten, und niemand tat es — dafur gab es Maschinen.

»Hotel Central«, sagte Yua zu der Maschine, die Mavra wie ein besserer und belebter Handkarren vorkam.

»Ja, Ma’am«, erwiderte eine mechanische Stimme, und die Maschine rollte eilig davon, um das Gepack zu holen und durch unterirdische Handelsstra?en zu befordern.

Taxis gab es keine; von einer Olympierin wurde erwartet, da? sie sich auskannte und wu?te, welche Stra?enbahn sie nehmen mu?te. Yua suchte sich eine aus, und sie sprangen auf, als sie losfuhr. Die Neuankommlinge gesellten sich zu den vielen stehenden Insassen gleichen Aussehens. In Sparta sa? offenbar niemand, dachte Mavra duster.

Die Fahrt nahm ungefahr zehn Minuten in Anspruch, wobei die Tram niemals hielt. Sie kroch nur langsam dahin, wahrend die Leute auf- und absprangen. Niemand versuchte, Fahrgeld zu erheben.

Das Hotel Central war ein quadratischer Klotz in der Nahe der Stadtmitte; wie alle spartanischen Gebaude war es niedrig, vier Stockwerke: auf einem Planeten, der nur aus einer Erdbebenzone bestand, fur eben diese Zone gebaut. Mavra studierte das Haus, bevor sie Yua hineinfolgte. Vermutlich vermieten sie Wandschranke, wo man an einer Betonmauer im Stehen schlafen kann, mutma?te sie. Sie war von dem, was die Nachkommen ihrer Gro?eltern geschaffen hatten, nicht beeindruckt.

Die Halle war trist und bedruckend, was den Erwartungen entsprach; aber es fiel ihnen nicht schwer, ein Zimmer zu bekommen. Auch hier verlangte man weder Geld noch Ausweis. Die Gesellschaft war kommunal gesinnt bis zum nten Grad, und man ging einfach davon aus, da? derjenige, der ein Hotelzimmer brauchte, auch einen guten Grund dafur vorweisen konnte. Anmelden mu?te man sich indessen; Mavra vermutete, da? irgendwo irgend jemand die Hotelregister uberprufte, um festzustellen, wer was mit wem trieb.

Sie trug sich als Mavra A 332-6 ein; Mavra war auf Olympus offenbar ein gebrauchlicher Name — was ihr gefiel. Nikki Zinder, auch eine der Ersten Mutter, hatte von Renard, dem belesenen Agitar-Satyr, als er noch in Menschengestalt gewesen war, eine Tochter zur Welt gebracht — eine der Grunderinnen — und das Kind nach Mavra Tschang benannt.

Mavra benutzte Yuas Codenummer, was der Angestellten verriet, da? sie ein ›gebundenes‹ Paar waren. Solche Verbindungen waren auf Olympus haufig; irgendwann entschlo? sich fast jede Bewohnerin, ein Kind zu bekommen, und es gab ein eingewurzeltes Beharren auf der Familienstruktur mit zwei Eltern. Ein ›gebundenes‹ Paar, das in einem Hotel abstieg, bedeutete fur die Einheimischen nur eines: Die beiden waren in Sparta, um einen Geburtstempel aufzusuchen und sich befruchten zu lassen.

Sie sahen sich rasch als Neuvermahlte behandelt. Mavra war das unangenehm, aber das war Obies Einfall gewesen. Damit lie? sich muhelos erklaren, warum die beiden alles gemeinsam taten, und Yuas hingebungsvolle Anbetung Mavras mochte als Verhalten einer Liebenden abgetan werden.

Ihr Zimmer war eine freudige Uberraschung; es enthielt ein riesiges, weiches Bett, eine Unterhaltungskonsole, eine vielseitige Trag-Bar und eine Wahl-die-Mahlzeit-Speiseanlage. Im vierten Stock gelegen, besa? das Zimmer ein Fenster mit Vorhangen, durch das man einen Teil der Stadt sehen konnte.

Yua zeigte Mavra begeistert einige Sehenswurdigkeiten.

»Da oben, bei den Bergen, befanden sich die ursprunglichen Hauser der Ersten Mutter, jetzt ein Nationalheiligtum. Am Fu? des Berges steht der Muttertempel, Sitz der jetzt interplanetarischen Religionsgemeinschaft und der Theokratie von Olympus, wahrend druben rechts das gro?e, kubische Gebaude steht, wo ich aufgewachsen bin.«

Am nachsten Morgen wollten sie die Stadt besichtigen und dann den Muttertempel selbst besuchen. Mavra wu?te selbst noch nicht genau, was sie tun wollte, wenn sie dort ankam, beschlo? aber, das Problem zu uberschlafen.

Yua wahlte Speisen und Getranke fur sie, wahrend die Sonne, von geisterhafter, rot-oranger Farbe, hinter den Bergen verschwand. Dann legten sie sich auf das Bett, das trotz ihrer Schweife breit genug war, und das Bequemste, was Mavra wahrend der ganzen Reise gesehen hatte. Sie spurte plotzlich, da? sie starke erotische Gefuhle beschlichen. Irgendeine Zutat im Essen oder Trinken, vermutlich. Sie wehrte Yuas Avancen muhsam ab und schlief.

Sie wurden von einem Summton geweckt. Er war laut und beharrlich, wie man sich das von Weckern wunscht, wenn das Aufstehen unumganglich wird. Yua stohnte, schaute zu Mavra hinuber, lachelte strahlend und stand auf.

»Die Tur. Ich mach’ das schon«, sagte sie.

Mavra hatte Probleme. Der Sexualtrieb war eher noch starker geworden; wenn das nicht nachlie?, wurde er nicht zu unterdrucken sein. Andererseits — wer konnte wissen, da? sie hier waren — und warum wurden sie von jemandem geweckt?

Dieser Jemand erwies sich als ein Zimmerservice-Roboter, beladen mit einer Reihe seltsam aussehender, aber enorm appetitanregender Fruhstuckszutaten nebst eine Flasche dessen, was auf Olympus als Champagner galt.

Mavra stand auf.

»Was?«fragte sie. »Das haben wir nicht bestellt.«

»Mit einer Empfehlung des Hotels«, tonte der Roboterkellner. »Alles frisch, keine synthetischen Stoffe. Wir

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