hunderttausendmal gefragt worden sein, ob er wirklich Nathan Brazil sei. Versteht ihr? Ich glaube, ihr steht vor einem Problem — selbst nach eurem eigenen Glauben diktiert die Logik, da? ihr ihn mit seinem wahren Namen ansprechen mu?t, damit er es zugibt — und seinen wahren Namen kennen wir nicht. Wenn ich da recht habe, treibt ihr ihn in eine Panik, genau wie Marquoz gesagt hat.«
»Sie — Sie wollen uns nur verwirren«, sagte die Olympierin nach einer Verlegenheitspause. »Es ist die Logik des Bosen!«
»Denkt logisch«, mahnte Obie. »Wenn ihr recht habt, ist nichts verloren, sobald wir unsere Methoden anwenden. Ihr bekommt Gelegenheit, eure Frage zu stellen. Wenn
Eine der Athenen, offenkundig die Fuhrerin, sah ihre Schwestern an und richtete den Blick wieder auf die ubrigen Anwesenden. Obzwar Fanatikerin, war sie nicht dumm.
»Nun gut«, sagte sie schlie?lich. »Wie ihr meint. Aber wir erhalten unbehinderten Zugang zu IHM, sobald die Verbindung hergestellt ist?«
»Sobald wir wissen, da? er nicht entkommen kann, ja«, versicherte Obie. »Mein Wort darauf.«
»Er wird ein schnelles Schiff haben und jederzeit davonfliegen konnen«, betonte Marquoz. »Man mu? vorsichtig an ihn herantreten, ihn uberraschen, mit Raffinesse, aber nicht mit Gewalt. Wir wollen ihn als Freund. Es macht mir Sorgen, da? er die Hilferufe des Schachtes der Seelen nicht beachtet hat, obwohl ihr sagt, er hatte sofort dorthin zuruckgerufen werden sollen.«
»Ganz meine Meinung«, bestatigte Obie. »Entweder ist sein Gedachtnis wieder im Verfall begriffen, oder er hat die Signale bewu?t unbeachtet gelassen. Trifft ersteres zu, konnen wir ihm vielleicht aufhelfen, aber im zweiten Fall konnte er sich auch unserer Kontrolle entziehen. Wir
Mavra nickte.
»Obie, wei?t du noch, wie du mir die Erinnerungen meiner Gro?eltern an ihre Odyssee mit Brazil auf der Schacht-Welt vorgespielt hast?«
»Ja.«
»Ich glaube, er hat Wu Julee wirklich geliebt. Sie liebte ihn ganz gewi?. Die Schacht-Welt hatte sie in eine Dillianerin — einen Zentaur — verwandelt, und du hast gesagt, da? er eine Vorliebe fur Zentauren hat. Ich frage mich… Angenommen, du verwandelst mich in ein Ebenbild von ihr als Zentaur? Au?er fur Nathan Brazil wurde das niemandem etwas bedeuten. Selbst wenn sein Gedachtnis verschuttet ist, konnte das etwas bewegen. Was alle anderen auf Meouit betrifft, ware ich nichts weiter als ein attraktives Rhone-Wesen mehr. Ich habe mir die Verschiffungsdaten angesehen — er hat keine Ruckfracht, wird also auf Verdacht irgendwohin fliegen, wenn er hier nicht etwas bekommt. Er wird auf der Suche nach Fracht landen. Wie ware es, wenn ich mich als Vertreterin einer Spedition an ihn wende? Aus seinen Reaktionen auf mein Auftreten werden wir erkennen konnen, ob Korf Brazil ist. Ein Zusammentreffen mit mir mu?te fur ihn gefuhlsma?ig und finanziell unwiderstehlich sein.«
»Und wir wurden an den vereinbarten Stellen im Inneren warten«, warf Marquoz ein. »Gefallt mir.«
»Aber
»Wir beschatten ihn sofort, wenn wir ihn entdecken«, versicherte Mavra. »Sobald er das Weite suchen will, packen wir zu. Wir konnen ihn mit Gewalt holen, wenn er sich entschlie?t, zur ›Jerusalem‹ zuruckzukehren. Ergreift er in irgendeiner anderen Richtung die Flucht, wird er auf einer Rhone-Welt mehr als auffallig sein.«
»Und wir mussen Sie ohnehin heimlich hinunterbefordern«, erganzte Obie. »Die Rhone sind auf die Gemeinde oder die Olympier nicht sonderlich gut zu sprechen. Kommen Sie schon, Sie haben erklart, da? Sie mitmachen.«
Die Olympierin stand auf und schien etwas sagen zu wollen, dann setzte sie sich wieder.
»Also gut, einverstanden.«
»Du solltest mit uns hinuntergehen, du hast ihn fruher kennengelernt«, sagte Marquoz zu Zigeuner.
Zigeuner schuttelte den Kopf.
»Nein. Tut mir leid. Ich will nichts anderes sein, als ich bin. Aber die Masche klingt gut. Das sollte klappen. Ich verfolge das von hier aus.«
»Wie du meinst«, sagte der Chugach achselzuckend. »Ich habe aber ebenfalls nicht den Wunsch, ein Rhone zu sein«, sagte er ins Leere.
»Nicht notig«, erwiderte der Computer. »Die Olympierinnen werden auch keine. Ihr konnt alle gemeinsam warten. Wir schicken jemand von der Besatzung hinunter, um ein Lagerhaus zu mieten und eine Scheinfirma zu grunden — das la?t sich ungefahr in einem Tag machen. Au?erdem werden sie herumhorchen. Wir benutzen eines der Ersatzschiffe, um Sie hinzubringen; wir tarnen Sie als Fracht oder dergleichen und schaffen Sie ins Lagerhaus. Dann warten wir.«
»Ja, dann warten wir«, sagte Marquoz seufzend.
»Der Fall steht bevor!«warnte Obie. Bevor jemand reagieren konnte, erlosch die Welt rings um sie. Schwarze ohne Ende hullte sie ein, wahrend sie hinabsturzten, zu einem Punkt tief, tief unter ihnen.
Meouit
Die Vorausmannschaft von Nautilus hatte gute Arbeit geleistet. Das Lagerhaus war schabig und stand in einer ublen Gegend, aber nah am Raumflughafen und selbst fur jemand, der dort noch nie gewesen war, leicht zuganglich. Auf dem kleinen Schild stand in der Kom-Handelssprache ebenso wie in der Landessprache Zhosa ›Reederei Durkh‹. Das Schild wirkte alt und abgewetzt, nicht funkelnagelneu, was es in Wirklichkeit war.
In Taiai, der gro?ten Stadt auf Meouit, war es kalt und fast schon dunkel. Hier und dort schwebten Schneeflocken herab. Eine junge Rhone-Frau in einer teuren Pelzjacke betrachtete die Szene, begleitet von mehreren gro?eren Rhone-Mannern.
Sie schien kaum zwanzig zu sein, nicht schon, aber angenehm zu betrachten, sogar ein wenig sexy, mit langen, braunen Haaren. Ihre Haut war von hellem Braun, auf beiden Seiten des Kopfes ragten ihre spitzen Ohren empor und schienen sich unabhangig voneinander zu drehen. An den Huften ging der beinahe menschliche Rumpf in kurzgeschorenes, hellbraunes Fell uber, das einen vollkommenen Pferdeleib bedeckte. Gegen die Kalte brauchte sie nur die Jacke; unter dem Rumpf war sie durch Fell und Unterhaut-Fettgewebe gut geschutzt.
»Nicht schlecht«, sagte sie bewundernd. »Ganz und gar nicht schlecht.«
Der mannliche Rhone, der direkt neben ihr stand, gro?er und muskuloser als sie, freute sich.
»Gehen wir hinein und begru?en die anderen?«schlug sie vor. Er schob eine der Turen fur sie auf. Die Beleuchtung im Inneren erzeugte im Halbdunkel einen Lichtkeil, als sie eintraten. Der letzte Zentaur schlo? die Tur.
Die junge Rhone schnupperte kurz, dann blickte sie in eine Ecke.
»Wie haben Sie sich gehalten, Marquoz?«fragte Mavra Tschang laut.
Der kleine Drache stakte aus der Dunkelheit, eine dicke Zigarre paffend.
»Ziemlich scheu?lich, wenn ich ehrlich sein soll«, schnaubte er. »Mochten Sie auf einer fremden Welt in einem Schuppen eingesperrt sein und zwei Tage lang nur religiose Fanatikerinnen zur Gesellschaft haben?«
»Tut mir leid«, sagte sie mitfuhlend, »aber wir mu?ten Sie alle dann einschmuggeln, wenn das eben moglich war. Sie hatten sich von Obie zu einem Rhone machen lassen konnen«, erinnerte sie, »dann waren Sie die letzten zwei Tage drau?en gewesen und hatten es bequem gehabt.«
»Danke, ich bleibe lieber ich selbst«, knurrte er. »Aber ich sehe schon, da? Zigeuner der einzig kluge Kopf war. Er liegt auf Nautilus im Federbett und fri?t sich voll wie ein Pferd.«
»Wir gehen bald zum Raumflughafen«, sagte Mavra. »Die Strapazen sind fast vorbei. Unser Mann ist in einer Umlaufbahn und soll in etwa zwei Stunden herunterkommen, um die Zoll- und Freigabeformalitaten zu erledigen.«
Eine Olympierin trat aus dem Schatten.