»Denken Sie an Ihr Wort!«sagte sie warnend. »Er mu? zu uns gebracht werden!«

»Wir halten uns an die Abmachung«, versprach Mavra. Sie wandte sich an die zwei Leute von der Nautilus- Besatzung. »Dann los, Leibwachter! Ich mochte so bald wie moglich dort sein, damit wir ihn nicht verpassen.«Sie verabschiedete sich von den anderen. Einer der Manner schob die Tur auf und schlo? sie hinter ihnen. Ein Windzug kalter Luft war alles, was au?er dem Warten blieb.

Die Olympierinnen traten in die Schatten zuruck, und die Anfuhrerin wandte sich an die anderen drei.

»Zwei Stunden«, flusterte sie. »Seid ihr bereit?«

Eine der anderen drehte sich um, nahm den Umhang ab und zog aus dem Stoffutter vier kleine, hochmoderne Pistolen und verteilte drei davon.

Auch das war ein Grund, weshalb die Olympierinnen nicht uber Obie nach Meouit hatten gelangen wollen.

Marquoz verbrachte die Zeit mit Besatzungsmitgliedern in Rhone-Gestalt; einer hatte Wurfel mitgebracht. Auf die Olympierinnen achteten sie uberhaupt nicht, was deren Wunschen entsprach.

»Ladung prufen«, flusterte die Anfuhrerin. Das leise Summen bei der Inbetriebnahme blieb ungehort.

* * *

Mavra Tschang vertrieb sich die Zeit im Reedereiburo und versuchte, gelangweilt zu wirken, aber tief innen fuhlte sie sich beinahe wie ein kleines Madchen, das auf die Ankunft eines Lieblingsonkels wartet, gleichzeitig furchtend, der Onkel konnte sie vergessen haben.

Die Schleppraketen hatten die Umlaufbahn des Frachtschiffs stabilisiert, das Pilotenboot wurde mit dem Lotsen und dem Kapitan herunterkommen, damit die Fracht verzollt werden konnte.

Mavra schaute zu, und ihr Herz schien einmal auszusetzen, als die Anzeigetafel im Buro der Hafenbehorde den Namen ›Jerusalem‹ aufleuchten lie?, daneben die Registernummer und die Worte ›Im Hafen‹.

Die Zeit schleppte sich dahin. Einer ihrer beiden Begleiter, der so tat, als fulle er Formulare aus, beugte sich heruber und flusterte:»Sie mussen sich beruhigen. Sie sehen aus, als rechneten Sie jeden Augenblick damit, da? ihr langvermi?ter Ehemann zuruckkommt.«

Mavra nahm sich zusammen und tat so, als suche sie im Vorraum nach Frachtlisten. Wenn Brazil nicht bald kam, wurde jemand im Hafenamt sich fragen, warum sie so lange brauchte, um die richtigen Formulare herauszusuchen.

Plotzlich ging die Tur zischend auf. Der Pilot, das Gesicht zerfurcht und alt, was zu seinem gefleckten, grauen Teint zu passen schien, kam als erster herein, gefolgt von dem Verlademeister. Die beiden sprachen miteinander, und es dauerte einige Sekunden, bis sie begriff, da? sie nicht zueinander, sondern zu einer dritten, zwischen ihnen halb verborgenen Person sprachen.

Der erste Gedanke Mavras war, da? Korf zu gro? erschien; fast 1,70 m gro?. Er trug einen seltsamen, flachen Hut, unter dem lange, grauwei?e Locken herabhingen und sich mit einem Vollbart von derselben Farbe vermischten. Man konnte nur Augen und Nase sehen. Die Gestalt des Rabbis war verhullt durch einen schweren, schwarzen Mantel, der bis zu seinen Knien reichte. Wenn das Au?ere etwas besagt, war er zwanzig Kilogramm zu schwer und ein Jahrhundert zu alt.

Auch die Stimme war unangenehm; sehr hoch und nasal, ganz anders als der tiefe Tenor, an den Mavra sich erinnerte. Sie verzagte; das war gewi? nicht der Mann, den sie suchten. Aus, dachte sie; wir haben danebengegriffen. Soviel Muhe, und alles umsonst. Sie sah zu ihren Begleitern hinuber und entdeckte auf ihren Gesichtern dieselben Gefuhle. Einer wies mit dem Kopf kaum merklich zur Tur, und sie nickte knapp. Sie gingen zur Tur. Ihre Hufe klapperten auf dem harten Kunststoffboden, als sie an den beiden Rhone und Rabbi Korf vorbeimarschierten, die sich immer noch unterhielten.

»Der Mais befindet sich also in loot-Behaltern?«fragte der Verlademeister mit tiefer Ba?stimme.

Korf nickte.

»Ja. Sollte nicht mehr als zwei, drei Stunden dauern, um an sie heranzukommen. Nur die Baustoffe —«

In diesem Augenblick achtete Mavra nicht auf jene burokratische Gesinnung, die Boden einwachsen la?t, und sie rutschte ein wenig aus. Korf und die beiden Rhone blickten auf.

Der Rabbi widmete sich, als er sah, da? ihr nichts passiert war, wieder seinen Unterlagen, dann ri? er den Kopf hoch und starrte sie an. Mavra, die verlegen war, bemerkte das kaum, aber aus dem Augenwinkel nahm sie wahr, da? sie mehr als die gewohnte Aufmerksamkeit erregt hatte. Sie blieb vor der Tur stehen und drehte ihren menschlichen Rumpf halb herum, um den Menschen anzusehen; fur Sekundenbruchteile begegneten sich ihre Blicke, und irgend etwas in diesen Augen und in dieser Miene jagten ihr einen Schauer uber den Rucken.

Ihre Begleiter, die nichts davon merkten, waren schon im Freien, bevor ihnen auffiel, da? sie fehlte.

»Es tut mir leid, wenn ich Sie durch meine Ungeschicklichkeit gestort habe«, sagte sie, bemuht, sich zu fassen. »Meine Mitarbeiter und ich warten auf den Kapitan des Schiffes, das eben eingetroffen ist, aber der mussen Sie sein, und ich sehe, da? Sie geraume Zeit beschaftigt sein werden. Ich — ich furchte, ich bin das Geschaft noch nicht gewohnt«, sagte sie mit listiger Nervositat.

Der Kapitan fa?te sich rasch, obwohl er sie noch immer merkwurdig ansah.

»Der Kapitan bin ich, Burgerin. Was wollten Sie von mir?«

»Mein Vater ist im Import-Export-Geschaft. Er und seine Mitarbeiter nehmen an einer Tagung in Hsuir teil, wo sie eben ein gro?es Geschaft abgeschlossen haben. Sie baten mich festzustellen, welche Schiffe ankommen und — nun ja, moglicherweise leer abfliegen. Vom Geschaft verstehe ich nicht viel, wissen Sie, aber da alle auf der Tagung sind, bin ich die einzige, die sie anrufen konnten.«Es klang so aufrichtig, da? sie sich beinahe selbst glaubte. »Aber ich sehe, da? ich zu fruh gekommen bin.«

Der Kapitan nickte.

»Das furchte ich auch. Das Entladen wird Stunden dauern, und ich mochte gerne richtig baden und heute nacht lange und weich schlafen, bevor ich mich Ihnen widme. Aber ich bin zur Zeit leer — konnten wir uns morgen nachmittag unterhalten?«

Sie lachelte liebenswurdig und nickte.

»Selbstverstandlich. Wo wohnen Sie? Ich rufe Sie dort an. Ihren Namen und den des Schiffes kenne ich aus den Listen.«

»Im ›Pioneer‹. Das einzige Hotel hier mit Zimmern, die uber eigene Kuchen verfugen — ich mu? eine besondere Diat einhalten.«

»Ich rufe an — nicht zu fruh«, versprach sie.

»Wie, sagten Sie, war der Name Ihrer Firma? Und der Ihre, falls ich fruher fertig bin?«

»Tourifreet, nach Ihrer Aussprache«, erwiderte sie sofort. »Es handelt sich um die Reederei Durkh — die Nummer steht im Buch.«Wieder lachelte sie. »Wir unterhalten uns morgen«, sagte sie und ging hinaus, wahrend er ihr nachstarrte.

* * *

»Sind Sie sicher, da? er es ist?«brummte Marquoz. »Die Jungs sind offenbar nicht der Meinung.«

»Ich bin so sicher, wie man es sein kann«, gab Mavra zuruck. »Unser kleiner Mimentrick hat gewirkt. Er wei? ganz genau, wem ich gleichsehe — seinem Gedachtnis fehlt nichts. Es war gerade so, als hatte ihn eine Betaubungsbombe getroffen. Man sah es in seinen Augen, was in seinem Gehirn vorging.«

»Ich halte Sie nach wie vor fur verruckt«, sagte einer von den beiden Mannern, die dabeigewesen waren. »Er ist zu gro?, zu dick — es gibt praktisch nichts, was der Beschreibung von Nathan Brazil entspricht.«

Sie lachelte schwach.

»Er hat dicke Ma?stiefel getragen, ganz ahnlich denen, wie ich sie trage, wenn ich statt Hufen Fu?e habe. Mit dem langen Mantel kann er sich weiter tarnen. Er konnte auf Stelzen gegangen sein. Er hatte den Gang eines alten Mannes, der ohnehin viel verhullt, und er hatte lange Ubung. Der Mantel ist gepolstert, um ihn dicker erscheinen zu lassen. Selbst die schwarzen Handschuhe, die aus den ubergro?en Armeln ragen, gehoren offenkundig zu viel zu dunnen und kurzen Armen, als da? sie zu diesem Korper passen wurden. Der Bart ist gut, aber ich habe schon viele gute falsche Barte gesehen. Und der Hut tut auch seine Wirkung. Nein, er ist es wirklich. Ich wurde mein Leben darauf verwetten.«

»Finden Sie nicht, da? es ein wenig riskant war, ihn einfach gehen zu lassen?«fragte die Anfuhrerin der

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