»Und wenn’s noch nich’ reicht?«sagte Paddy eifrig.
»Tut, was ihr tun mu?t«, erwiderte Brazil. »Dann nehmt ihre Posten ein und gebt mir auf dem Platz Deckung.«
»Klar. Nur zu.«
Brazil steckte das Gerat in eine Hemdtasche und ging die Stra?e hinunter. Eigentlich ein schoner Tag, dachte er. Idiotisch, einen schonen Tag so zu verbringen.
Vor sich sah er den Zugang zu dem kleinen Platz, in dessen Mitte irgendein Denkmal stand — ein riesiger Rhone aus altersgruner Bronze, der einen Wagen zog: der Gott des Handels oder dergleichen. Die Statue war das einzige Hindernis, aber sie konnte irgend jemandem Deckung bieten, dachte er.
Nein, Paddys Leute hatten jeden sehen mussen.
Oder doch nicht? Kurz vor dem Platz, von dort aus noch nicht sichtbar, blieb er stehen und starrte angestrengt die Statue an. Wie viele Olympierinnen konnten sie als einen Hintergrund benutzen, mit dem man zu verschmelzen vermochte? fragte er sich beilaufig. Er schob die Hande durch die Taschen, legte sie auf die Pistolen. Superfrauen hin, Superfrauen her, sie wurden unbewaffnet sein mussen. Er schluckte muhsam, atmete tief ein und aus und trat auf den Platz hinaus.
In diesem Augenblick feuerten Paddy und seine Leute. Die Olympierinnen auf den Dachern erstarrten und kippten um. Auf dem Platz war nichts zu sehen oder zu horen, aber Brazil wu?te, da? sein Hinterhalt funktioniert hatte, sonst hatte es Gebrull und Geschrei gegeben, moglicherweise sogar Explosionen, so, wie er Paddy kannte.
Er blickte zu den Lagerhausern hinuber, die im grellen Sonnenlicht standen, entdeckte an einem das Schild der Reederei Durkh und ging langsam darauf zu, ein Auge auf die Statue gerichtet. Im Schnee sah der grune Zentaur aus, als litte er an wei?er Raude.
Im Inneren des Lagerhauses stand Mavra als erste schwankend auf, als sie zu sich kam.
Sie waren von den Olympierinnen ubertolpelt worden, soviel stand fest. Das bedeutete, da? die Frauen Brazil auf dem Platz in einen Hinterhalt locken wollten. Sie ging zur Tur, offnete sie und sah ihn schrag auf sich zukommen. Sie griff sofort nach dem Funkgerat und schaltete auf Rundruf.
»Talgur! Galgan! Muklo! rief sie. Keine Antwort. Sie warf das Ding verargert weg. Sie wu?te, da? sie ihn warnen mu?te, da? es darauf ankam, ihn von dort wegzuholen — Aber wie das machen, ohne niedergeschossen zu werden? Es war kalt, ja, aber zum Henker mit der Kalte! Sie zog die Jacke und den langen Pullover aus, bis sie nackt war. Das wurde ihm beweisen, da? sie keine verborgenen Waffen trug. Ohne weiter nachzudenken, stie? sie sich mit ihren starken Pferde-Hinterbeinen ab und sprang in vollem Galopp auf den Platz hinaus, auf dem die kleine, schwarzgekleidete Gestalt lassig herankam. »Zuruck!«schrie sie ihn aus vollem Lauf an. »Eine Falle!«
Er blieb wie angewurzelt stehen, vollig verblufft.
Die olympische Fuhrerin loste sich fluchend von ihrem Platz an der Statue und lief auf Brazil zu, wahrend sie kreischte:»Schie?t auf sie, Schwestern! Schie?t!«Ihre gellende Stimme hallte von den Gebauden in unheimlicher Weise wider.
Brazil sah auf der Linken die olympische Amazone heransturzen, ihr entgegen kam der Geist von Wuju, und seine Entgeisterung war unuberbietbar.
»Verdammte Schei?e!«stie? er hervor.
Paddy war schneller. Als er die Olympierin von der Statue wegsturmen sah, zielte er und wollte schie?en. Die Athene war vor Mavra bei Brazil und brullte:»Herr, seid Ihr Nathan Brazil?«In diesem Augenblick druckte Paddy ab, und sie wurde zu Boden geschleudert und blieb regungslos liegen, einen verblufften Ausdruck im Gesicht.
Mavra wurde von dem Schu? vollig uberrascht, sie nahm aber an, da? wenigstens einer ihre Leute noch im Besitz seines Gewehrs war. Zwei Rhone-Besatzungsmitglieder, Brazils Beschatter, galoppierten plotzlich aus zwei verschiedenen Stra?enzufuhrungen auf den Platz, die Pistolen gezuckt. Mavra fuhlte sich fur kurze Zeit erleichtert. Sie versuchte anzuhalten, aber ihr Schwung trug sie an Brazil vorbei.
Von den Dachern feuerten die Puls-Gewehre und fallten die Rhone. Erneut aus der Fassung geraten, schlug Mavra einen Haken, um Brazil nicht zu rammen, aber er hatte schon seinen Mantel abgeworfen. Er trug einen Pistolengurtel mit zwei Halftern. Er versuchte nicht, ihr auszuweichen; als sie ausscherte und langsamer wurde, sprang er statt dessen auf ihren Rucken.
Sie knickte unter der Last beinahe ein, aber als sie stehenblieb und sich aufbaumte, um ihn abzuwerfen, spurte sie im Kreuz ihres humanoiden Ruckens eine kalte Pistolenmundung.
»Keine Bewegung!«sagte er scharf. Sie kannte seine Stimme aus Obies Archiven gut. Sie blieb wie angewurzelt stehen.
»Laufen Sie die Stra?e zum Gebaude des Hafenamts hinauf!«befahl er. Sie nahm sich zusammen und ging langsam in die angegebene Richtung, von den Ereignissen vollkommen verwirrt.
»Wer ist da oben?«stie? sie hervor und zeigte auf die Dacher.
Brazil lachte.
»Naturlich meine Leute! Sie hatten gestern nacht die Gasse hinter dem Haus und das Fenster bewachen lassen sollen!«
Sie begann zu schwitzen und spurte plotzlich die bittere Kalte. Sie frostelte.
»Wollen Sie mir vielleicht sagen, wohin es geht? Ich erfriere hier!«
Er lachte wieder.
»Wie du mir, so ich dir. Ich ware gestern nacht beinahe erfroren, als ich im Schneesturm die Hausmauer hinuntermu?te. Sie kommen nicht um. Laufen Sie zur Hafenbehorde!«
Sie drehte sich ein wenig und blickte zu ihm auf. Er bot einen lacherlichen Anblick, ein Mann in hochhackigen Lederstiefeln und hautenger, brauner Hose, mit dickem Pistolengurtel und zwei Halftern. Er trug ein dunnes, rotwei? kariertes Baumwollhemd, einen riesigen wei?en Bart, flatterndes wei?es Haar und den flachen Hut.
»Okay. Hier anhalten!«befahl er kurz vor der stark befahrenen Stra?e gegenuber der Hafenbehorde. »Ich steige jetzt ab, aber Sie durfen nicht glauben, da? ich Sie nicht an Ort und Stelle niederschie?en konnte. Die Einheimischen sind beleidigt, wenn sie einen Menschen auf einem Rhone reiten sehen, aber die kleine Pistole hat ihren eigenen Willen.«
Sie hatte die Waffe gesehen und wu?te, da? das zutraf.
Er glitt herunter, und sie hatte das Gefuhl, als ware ihr eine tonnenschwere Last abgenommen worden. Es tat so wohl, da? es schmerzte, und sie versteifte sich ein wenig.
»Also, die Jungs in der Hafenbehorde sind gut dafur bezahlt worden, da? sie nicht auf uns achten«, erklarte er. »Aber da Sie eine Einheimische sind und ich keiner bin, konnte die Rassentreue die Habgier doch uberwinden — obwohl ich mich nicht darauf verlassen wurde. Ich werde das Ding jetzt also einstecken, und wir gehen beide hinuber in den Warteraum, wo wir uns gestern getroffen haben, und durch Flugsteig Vier zum Fahrboot. Da mein Schiff noch nicht ganz entladen ist, wird man sich nicht viel dabei denken. Ich kann jetzt ohnehin die Umlaufbahn nicht verlassen.«
Sie nickte. Sie wu?te, da? er nie so offen gewesen ware, wenn seine Leute nicht alles abgedeckt hatten und die ganze Sache nicht genau vorbereitet gewesen ware. Es spielte keine Rolle; alles, was sie wollte, war ein Gesprach.
Sie wunschte sich aber, Obie erlaubt zu haben, sie so zu praparieren, wie er es auf Olympus getan hatte. Sie war wegen der Geschichte mit dem Geburtstempel aber immer noch so zornig auf ihn, da? sie sich diesesmal rundweg geweigert hatte. Jetzt vermi?te sie ihn. Sie wu?te, da? Obie mit Nathan Brazil besser fertigwerden konnte als sie.
Sie betraten das Gebaude, und wie er vorausgesagt hatte, achtete niemand auf die beiden, nicht einmal auf sie — und sie hielt sich fur eine Rhone von beachtlicher Anziehungskraft —, obwohl sie nackt war wie an dem Tag, an dem sie geboren worden war, ware sie wirklich eine Rhone gewesen. Und das mitten im Winter!
Das Pilotboot war automatisiert und hob im Nu ab. Sie war dankbar fur die Warme und die Gelegenheit, zu Atem zu kommen. Brazil lehnte sich zuruck und betrachtete sie mit einer Mischung aus Belustigung und Faszination.
»Dann also heraus damit, Tourifreet oder wie Sie wirklich hei?en mogen«, begann er, »sind Sie der Kopf dieser Verschworung oder nur eine Gehilfin? Wer wu?te soviel, da? er Sie so nachbilden konnte?«