»Oh, Obie…«stie? sie hervor.

Er sagte nichts, war aber auf eine sehr menschliche Weise beruhrt. Konnten auch Computer weinen?

Endlich gewann sie die Fassung wieder und stieg die Treppe hinauf. Oben drehte sie sich noch einmal um.

»Obie? Was ist, wenn er es tut? Alles abschaltet, meine ich, und den Schaden behebt. Wozu? Es wird niemand mehr da sein, der das zu schatzen vermag.«

»Sie mi?verstehen die Schwere seiner Verantwortung«, gab der Computer zuruck. »Die Schacht-Welt existiert als Laboratorium, ja, aber auch als Betriebsanlage. In ihrem Gedachtnis liegt die Macht, die Schacht-Welt zu benutzen, um das Universum wieder in Gang zu setzen — nein, ein neues zu schaffen. Brazil wird aufgefordert, nicht nur alles zu zerstoren, was wir kennen, sondern auch alles wieder von vorn beginnen zu lassen.«

Das hatte etwas beinahe uberwaltigend Furchterregendes an sich. Mavra erreichte die Tur, trat hinaus, ging uber die Brucke, den Korridor entlang, und betrat den Lift zur Oberflache, einen der wenigen Orte, die Obie auf Nautilus nicht uberwachte.

Sie weinte fast auf dem ganzen Weg nach oben.

Nautilus — Oberflache

»Marquoz!«

Der Anblick des vertrauten, kleinen Drachen, der seine allgegenwartige Zigarre paffte, schien sie zu beruhigen, in die Wirklichkeit zuruckzuholen. Mavra war sich noch nie so hilflos, nie so allein vorgekommen, nicht einmal dann, wenn sie allein gewesen war auf ihrem Weg von der verwaisten Bettlerin uber das Stra?enmadchen zum Weltraumkapitan und zur Meisterdiebin.

Sie hatte das kleine Ungeheuer am liebsten umarmt, hielt sich aber zuruck. Statt dessen hob sie nur gru?end die Hand und wartete, als er uber den Rasen auf sie zuging. Er konnte sehr schnell sein, wie sie festgestellt hatte.

»Na! Mavra, hoffe ich«, drohnte die Nebelhorn-Stimme des Chugach. »Immer noch im Geschirr, sozusagen?«

Sie zog die Schultern hoch.

»Obie meint, es ware nutzlich, wenn ich diese Form noch etwas beibehalte. Er fuhrt hier das Kommando.«

Und das war naturlich mit das Problem. Wie damals, vor vielen Jahren, auf der Schacht-Welt, als Mavra hoffnungslos verkruppelt gewesen war, kam sie sich vor wie eine Schachfigur, ein Zierstuck, in einem gro?en Dessin, das von anderen geflochten wurde, ihrer Zukunft ungewi?, nicht einmal sicher, da? sie eine Zukunft hatte, und unfahig, irgend etwas dagegen zu tun.

Marquoz schien zu begreifen.

»Obie hat uns, wie Sie wissen, abgehort«, sagte er. »Als die Olympierinnen losschlugen, schickte er von der Besatzung andere los, um uns holen zu lassen. Mann, war die Amazonen-Anfuhrerin bose!«

Das war schon eher etwas. Wirklichkeit. Prosaisch.

»Was habt ihr mit den Olympierinnen gemacht?«fragte sie.

»Sie durch Obie laufen lassen, versteht sich«, erwiderte der kleine Drache. »Jetzt sind sie zahm wie kleine Katzchen.«

Sie nickte.

»Und wo ist Brazil?«

»Beim Essen — und er i?t gewaltig fur einen so kleinen Mann. Das sei das erste nicht-synthetische Essen, das er seit einer Ewigkeit bekommt, meint er, ausgenommen Getreideprodukte. Spater wird ihn jemand herumfuhren.«

»Wo ist eigentlich Zigeuner?«fragte sie. »Ich konnte jetzt ein ordentliches Kartenspiel oder irgendwas in dieser Art vertragen. Ich wette, er hat sich mordsma?ig aufgeblasen, weil er es hier hubsch bequem hatte, wahrend wir niedergeschossen wurden!«

Marquoz legte den gro?en Kopf ein wenig auf die Seite.

»Das ist das Seltsame. Er ist nicht hier. Obie sagte, er hatte um ein Schiff gebeten, weil er Personliches zu erledigen hatte, bevor er ganz in diese Geschichte hier hineingerat. Sehr merkwurdig — ich wu?te nicht einmal, da? er ein Raumschiff fliegen kann. Noch eigenartiger ist, da? Obie es ihm gegeben hat.«

Sie nickte, ein seltsames Gefuhl im Magen.

»Er ist ein sehr eigenartiger Mann mit eigenartigen Kraften«, meinte sie. »Wo er nur hingeflogen sein kann?«

»Es wird noch eigenartiger«, sagte der kleine Drache. »Er ist nirgends hingeflogen. Wir waren im Rhone- Sektor, wir sind noch dort, und sein Schiff steht nur ein paar Lichtjahre von hier im Weltraum in Bereitschaft, laut Obie.«

»Hat Obie Ihnen eine Andeutung daruber gemacht, was da vorgeht? Ich meine, tut Zigeuner fur uns etwas, wovon man uns einfach nichts sagt?«

Marquoz zog die Schultern hoch.

»Wer wei?? Wozu, um alles in der Welt, wurde jemand Zigeuner gebrauchen wollen? Nein, ich habe deutlich den Eindruck, da? Obie so verwirrt ist wie wir — aber wie uber die Leute von Zoll, Sicherheit und alle anderen, scheint Zigeuner sogar uber Obie Macht auszuuben.«

Sie frostelte ein wenig.

»Hoffentlich steht er auf unserer Seite.«

»O, ich habe keinen Zweifel, da? er auf seiner eigenen Seite und keiner anderen steht«, sagte der Chugach. »Aber er ist nicht gegen uns. Darauf wurde ich mein Leben verwetten. Hab’ es sogar schon getan.«

»Hoffentlich haben Sie recht. Ich mochte ihm aber gern ein paar Fragen stellen, wenn er zuruckkommt. Seltsam, da? er einfach verschwindet, wenn Brazil auftaucht. Ob er uberhaupt zuruckkommt? Will er Nathan Brazil nicht begegnen?«

»Moglich«, sagte der Drache. »Wir werden ja sehen… Kommen Sie. Gehen wir hinauf und vergnugen wir uns ein bi?chen. Ich spiele nicht so gut wie Zigeuner, aber ich und die Jungs, wir waren begeistert, wenn Sie bei einem kleinen Gluckspiel mitmachen wurden.«

Olympus, die Kammer der Heiligen Mutter

Die Lifttur ging auf, und ein Mann trat in die Kammer. Das war ein Sakrileg! Da? er uberdies nicht einmal ein olympischer Mann war, steigerte es ins Unfa?bare.

Nikki Zinder wurde sich seiner Gegenwart sofort bewu?t; sie hatte ihn schon fruher bemerkt, aber sie allein kontrollierte die Aufzuge, und sie waren nicht in Betrieb gewesen. Nicht einer. Es war, als sei er einfach aus dem Nichts heraus im Aufzug erschienen.

»Wer wagt es, die Kammer der Heiligen Mutter so zu betreten?«sagte sie mit donnernder Stimme.

Der Mann blieb stehen, schaute sich um und nickte mit nachdenklicher Miene wie ein Tourist, der durch einen langst verlassenen Tempel schlendert. Er zog eine Zigarette heraus, zundete sie an, blieb stehen und blickte auf die gegenuberliegende Wand.

»Hallo, Nikki«, sagte er lassig.

Im ganzen Tempel, Stockwerke uber ihnen, schrillten Glocken und Alarmanlagen, Computer-Monitore muhten sich, ihre kybernetischen Safte wieder unter Kontrolle zu bringen. Die Heilige Mutter geriet aus dem Hauschen.

»Wer bist du, da? du es wagst, hier so zu erscheinen?«fuhr sie den Mann an.

»Du wei?t, wer ich bin, Nikki«, erwiderte er ruhig. »Du braucht mich nur anzusehen, um es zu wissen.«

»Du bist der Bose selbst!«kreischte sie mit ihren elektronischen Sprechzentren. »Du wagst es

Вы читаете Ruckkehr auf die Sechseck-Welt
Добавить отзыв
ВСЕ ОТЗЫВЫ О КНИГЕ В ИЗБРАННОЕ

0

Вы можете отметить интересные вам фрагменты текста, которые будут доступны по уникальной ссылке в адресной строке браузера.

Отметить Добавить цитату