Er wankte ein wenig, immer noch ins Leere blickend. Schlie?lich sagte er:»Ich brauche was zu trinken. Nein, halt. Ich mu? mich total betrinken.«
Dann brach er bewu?tlos zusammen.
Nautilus — Oberflache
Sie warteten zwei Tage darauf, da? Nathan Brazil daruber hinwegkam. Sein Puls ging sehr schwach und ging manchmal so stark zuruck, da? man ihn kaum noch fuhlen konnte; er bekam hohes Fieber, verfiel aber nie in ein Delirium. Er lag einfach da wie tot, und die Mediziner fragten sich, ob er je wieder wurde aufstehen konnen. Man brachte ihn an die Oberflache und in einer Luxussuite unter, standig bewacht. Die Diagnose war einfach: Er litt an schwerstem Schockzustand, und man konnte wenig fur ihn tun, als dafur sorgen, da? er warm gehalten, regelma?ig massiert und intravenos ernahrt wurde.
Inzwischen besuchten Yua und Zigeuner Olympus, um zu verhindern, da? die halbe Bevolkerung auf Nautilus erschien. Sie kamen einen Tag spater zuruck und berichteten, da? Obie eine ganze Menge Wunder gewirkt hatte — einschlie?lich der Beseitigung aller Schweife, Yua ausgenommen. Jeder Hinweis darauf, da? es jemals zwei Gattungen, Athenen und Aphrodites, gegeben hatte, war verschwunden; die schweiflosen Frauen hie?en Pallas.
Und Manner gab es auf Olympus auch — ganz offen. Sie hatten nichts zu sagen und wurden immer noch als Sexobjekte betrachtet, aber sie gehorten zur Gesellschaft — und hatten stets dazu gehort.
Uberdies hatte die Gemeinde des Schachtes einen anderen Kurs eingeschlagen — und zwar durch gleichzeitige ›gottliche Offenbarung‹ fur alle Hohepriesterinnen, damit es keinen Irrtum geben konnte. Um das Paradies fur alle zu schaffen, so war ihnen erklart worden, mu?te Nathan Brazil zuerst zur Schacht-Welt, den Schacht betreten und das alte Universum ausloschen. Die Krafte des Bosen wurden versuchen, ihn aufzuhalten. Damit Olympus am bevorstehenden Himmel beteiligt sein konnte, mu?ten die Anhangerinnen eine Armee aufstellen, um Brazil zu helfen, damit er sein Ziel erreichen konnte. Dafur wurden sie dem neuen, Heiligen Universum angehoren, denn hier herrschten zwar auch die Krafte des Bosen, aber sie wurden bei der Neuerschaffung fortgefegt werden, was zu einem Universum ohne Boses fuhren mu?te. Selbst der Tod bei diesem heiligen Kreuzzug wurde im nachsten, gro?en Universum einen Platz sichern.
Marquoz bestaunte Obies Geschicklichkeit, als er den Bericht gehort hatte.
»Es ist viel einfacher, einen heiligen Kreuzzug zu fuhren, der durch gottliches Eingreifen geleitet wird«, stellte er fest.
Mavra Tschang lachelte nur.
»Immer dieselbe alte Geschichte. Fur nichts gibt es nichts. Man hat ihnen einen Himmel angeboten, den wir nicht liefern konnen, und Leben uber die Zerstorung des Universums hinaus, das wir im Austausch fur ihre Dienste vielleicht einigen bieten konnen. Sie werden fur eine Luge kampfen und sterben.«
»Wie ublich«, fugte Marquoz hinzu.
Ihr Gesprach wurde von einem Summton in Mavras Sprechgerat unterbrochen. Sie zog es vom Gurtelhaken und sagte:»Ja?«
»Ich glaube, er kommt zu sich«, sagte ein Mediziner.
Sie sturzten alle in Brazils Suite.
Nathan Brazil hatte an einer hubschen, dunklen, stillen Stelle geschwebt, die nur ihm gehorte. Denken war nicht verlangt gewesen; es war warm und behaglich, und man fuhlte sich so wohl. Die Stille glitt jetzt davon, und Erinnerungen fluteten in sein Gehirn zuruck. Zuerst konnte er keinen Sinn darin entdecken und gab sich auch keine Muhe; trotzdem sturmten sie weiter wie Soldaten in die Schlacht, bemuht, eine Art Ordnung zu finden.
Ein kleines Palmenwaldchen um ein klares, blaues Wasserloch; selbst da schon trockenes, ausgegluhtes Land, aber grun, nicht so, wie es werden sollte. Von Sudosten ein leichter Wind, ein trockenes, schreckliches, hei?es Streicheln, das keine Erleichterung brachte. Zwei junge Frauen, eine sehr hubsch, zwei kleine Kinder. Die der schonen Frau? Ein alterer Mann, ergrauender Bart, das Gesicht wettergegerbt und ledrig. Schwer zu sagen. Man redete in diesen schweren Zeiten nicht viel, versuchte nicht, neue Bekanntschaften anzuknupfen.
Hufschlag. Manner auf Pferden. Kaum eine Gelegenheit, die Kopfe zu heben. Romer! Nur funf, aber uble Burschen. Auf der Suche nach Zwistigkeiten. Er versteckte sich im Gebusch und blieb liegen. Seltsam, andererseits sagte etwas in seinem Gehirn. Klang eigentlich nach mehr Pferden. Vielleicht verschiedene Richtungen? Verbargen sich noch andere im Gestrauch?
Die Romer sind abgestiegen. Die beiden kleinen Kinder, beide Jungen, waten nackt am Rand des Teichs, planschen und spielen. Die Romer schauen sich nach ihnen um, nach dem alten Mann und den beiden Frauen, prufend und herrisch. Einer ruft dem anderen auf lateinisch etwas zu und zeigt finster auf die beiden kleinen Jungen. Er fangt ein Wort auf, das ihm der hei?e Wind zublast. »Beschnitten.«Es wird Arger geben; Antiochus hat den Brauch vorerst verboten. Ein Rom, ein Glauben, ein Brauchtum. Die Welt unter einem und wie eine. Kulturelle Assimilation, nannten sie das.
Der alte Mann ist trotzig. Er schreit den Zenturio an, der zuruckbrullt, dann lacht und nach der jungeren Frau greift. Der alte Mann sturzt sich schreiend und fluchend auf ihn. Zwei Romer laufen, Schwerter gezuckt, herbei, um dem Zenturio beizustehen, und zerhacken den alten Mann beinahe. Die Frauen kreischen. Die Romer umstellen sie. Die jungere wird von zwei Romern gepackt und halb ausgezogen. Die altere Frau greift sie mit einem Dolch in der Hand an, aber ein Hieb mit der flachen Klinge eines Romerschwerts zertrummert ihr den Schadel; sie sturzt hin und bleibt liegen.
Er liegt immer noch im Gebusch und ist zornig auf sich, schamt sich seiner. Er hat Speer und Schwert, und plotzlich springt er in blinder Wut hinaus.
Ein Romer schneidet den Jungen die Kehlen durch; er fahrt erschrocken herum und rei?t die Augen auf, als ein Speer durch seinen Brustpanzer in seinen Bauch gesto?en wird.
Die beiden Manner haben die Frau zu Boden geworfen; sie drehen sich erstaunt um, aber ihre Kameraden haben bereits ihre Waffen herausgerissen und gehen auf den fremden Mann los.
Er war gut, vor allem dann, wenn von solcher Wut erfa?t. Er ri? dem erstbesten Romer mit einem gewaltigen Hieb nach innen beinahe den Schwertarm ab, aber der andere war nicht so leicht zu besiegen. Selbst ein guter Schwertkampfer, trieb der Romer den Mann in die Arme der beiden anderen Romer, die das Madchen hatten liegen lassen und hinter ihm herankamen.
»Ich bringe den Hund auf der Stelle um!«fauchte der Schwertkampfer, als er herankam.
»Nein, halt!«rief einer der anderen. »Das Weibsstuck bedeutet ihm etwas, warum wurde er sonst so kampfen? Bindet ihn an den Baum. Er soll zuschauen und bereits vor seinem Tod sterben!«
»Ai! Trennen wir ihm die Gliedma?en ab und lassen wir ihn liegen, damit er verblutet oder als Kruppel ohne Glieder lebt!«zischte der Mann, dem er den Arm bis zum Knochen durchgehauen hatte. Er lag immer noch im Sand und baumte sich unter Qualen auf. Sie lachten und verbanden den anderen, so gut sie konnten.
Und es geschah. Er wurde mit Stricken, die er nicht zerrei?en konnte, an einen Baum gebunden und gezwungen, der Notzuchtigung zuzusehen. Danach toteten sie das Madchen, nicht barmherzig schnell, sondern langsam.
Er weinte, ebenso sehr um die Welt wie um diese Menschen, die gemartert und getotet worden waren. Er hatte gute, tapfere, anstandige Manner der Legionen gekannt, Manner, die angesichts solcher Barbarei gehandelt haben wurden wie er. Jetzt nicht mehr. Rom dehnte sich aus, erstreckte seinen Einflu? bis an den Rand der Welt, und dazu brauchte man viele Manner, deren einzige Qualifikation darin bestand, da? sie toteten und Spa? am Toten hatten.
Nun umringten sie ihn am Baum.
»Das ist also die Gro?e des machtigen Rom«, zischte er verachtlich.
Sie lachten, obwohl er in ihren Gesichtern erkennen konnte, da? eine derartige Kaltblutigkeit angesichts von Marter und Tod sie verbluffte.
Sie zogen ihre Schwerter und feixten ihn an. Einer wies auf das Blutbad. »Waren das deine?«