An drei Stellen wurde es im Gestein heller. Sie sahen entsetzt und gebannt zu, wie drei geisterhafte Wesen aus dem Granit quollen, sich zu verfestigen schienen und vor ihnen standen, ein riesiges vor ihnen, zwei etwas kleinere dahinter, gespenstischen Laken mit zwei schwarzen Ovalen als Augen gleichend.
Brazil glotzte sie an. Das sind also die Dahbi, dachte er. Er erinnerte sich undeutlich an sie. Auch hier Legenden und Kollektiverinnerung. Und der Gro?e in der Mitte mu?te -»Nathan Brazil, ich bin Gunit Sangh«, sagte der Anfuhrer. »Ich bin hier, um Sie zuruckzuholen.«
Brazil wollte vortreten, um mit dem Gedemondaner Korperberuhrung herzustellen, damit er antworten konnte, aber der Gedemondaner beachtete ihn nicht und trat auf den Dahbi-Anfuhrer zu.
»Sie haben verloren, Sangh«, sagte der Gedemondaner mit einer fast perfekten Nachahmung von Brazils Stimme und Aussprache. »Selbst wenn wir jetzt mit Ihnen zuruckgingen, steht unsere eigene Truppe hinter der Ihren am Pa?. Es mag sein, da? Sie durch Wande gehen konnen, aber mich konnen Sie da nicht mitnehmen.«
»Das brauche ich nicht«, erwiderte Sangh zuversichtlich. »Wir nehmen Sie als Geisel mit und gehen durch den Pa? zu meinen eigenen Truppen, die ihn inzwischen besetzt haben werden. Dann brauchen
Mavra und Brazil hoben die Kopfe. Der Pa? wurde also immer noch gehalten!
»Ich stehe hier vor dem Schacht«, erwiderte der Gedemondaner drohend. »Sie kennen die Regeln, Sangh. Ich kann nicht getotet werden und gebe mich nicht gefangen.«
»Ich habe genug«, seufzte Gunit Sangh gereizt. »Packt ihn!«
Die kleineren Dahbi klappten auseinander und gingen auf den Gedemondaner los, der sie ruhig erwartete. Klebrige Vorderbeine, von denen etwas Grauenvolles troff, griffen nach dem riesigen Pelzwesen, und an den Beinen entlang blitzten die Natursabel der Dahbi. Das Vorderbein des Wesens links vor dem Gedemondaner beruhrte das Geschopf, das hingriff und es unerwartet mit der linken Hand packte. Es gab einen grellen Blitz von blauwei?em Feuer, das den Dahbi einzuhullen schien, eine Supernova, die fur Sekundenbruchteile aufglei?te und wieder erlosch.
Der Gedemondaner nutzte die Betaubung des anderen, drehte sich herum, griff mit der rechten Hand hin und packte das Vorderbein des zweiten Dahbi, bevor er es zuruckziehen konnte. Wieder das Aufflammen, und als es dunkel wurde, war von dem Dahbi nichts mehr zu sehen.
Gunit Sangh hatte kein so hohes Alter, keine so hohe Stellung erreicht, ohne Mut und rasche Reflexe zu besitzen. Er sturzte vor, sein Vorderbein schnellte herum und schnitt dem Gedemondaner mit einem Hieb den Kopf ab.
Aus dem korperlosen kopflosen Korper spritzte Blut auf das makellos wei?e Fell, und das Wesen tappte wie noch lebend vorwarts, als Sangh mit einer schier unvorstellbaren Schnelligkeit sich dem gekopften Geschopf entzog.
Die Arme des Gedemondaners streckten sich, er machte noch ein, zwei Schritte, dann erzitterte er und brach zusammen, zuckte noch kurz und erschlaffte am Boden. Die gespeicherte Energie im Korper flammte auf, eine neue grelle Nova, und es war vorbei. Nichts blieb ubrig als das Blut und der abgetrennte Kopf, der mit glasigem Blick vom Avenue-Boden heraufstarrte.
Gunit Sangh war offenkundig tief betroffen. Sein Gehirn schien fieberhaft zu arbeiten. Es war Brazil, aber jetzt tot, und Brazil konnte nicht sterben, also konnte es nicht Brazil gewesen sein, aber wenn er es nicht war, wer war dann Brazil…?
Er blickte wieder zur Aquatorialbarriere. Da standen zwei von den fliegenden Pferden, auf denen Agitar zu sitzen pflegten. Was…? Und warum zwei?
Es traf ihn beinahe wie ein korperlicher Schlag. Mavra Tschangs Katatonie, Brazils starrer Korper, die ganzen Zaubertricks, die sie vorgefuhrt hatten.
Dann lachte Gunit Sangh, lachte so laut, da? es von den Wanden der Schlucht widerhallte. Er blickte auf die beiden geflugelten Pferde und sagte:»So, so. Der
Hinter den beiden flammte Licht auf.
Sangh sah es und brullte vor Wut auf. Er ging auf sie los, und beinahe reflexartig schoben sie sich zuruck in die Aquatorbarriere, schoben sich hinein und gelangten hindurch in den Schacht der Seelen, bevor sie auch nur begriffen, was geschah.
»Noch nicht!« kreischte Gunit Sangh. »O nein! Noch nicht!« Er sturzte zur immer noch beleuchteten Barriere.
Plotzlich horte man Hufgetrappel, als jage ein Pferd die Schlucht zur Barriere herauf. Sangh zuckte zusammen, blieb stehen und drehte den machtigen Schadel. Er erstarrte.
Ein Dillianer sprengte auf ihn zu, leuchtend wie ein geisterhaftes, ubernaturliches Wesen, ein Dillianer, der ein gro?es, breites Schwert schwang.
Sangh stie? mit seinen todlichen Vorderbeinen zu, aber das Schwert drang hindurch, zerteilte den riesigen Dahbi, als fahre man mit einem Messer durch Butter. Sangh brullte vor Schmerzen und sturzte hin, begann sich zu verwandeln, wurde durchsichtiger, versuchte den ihm noch offenen Fluchtweg zu nutzen.
Der gro?e Zentaur lachte gellend, schwenkte das Schwert, und statt der Waffe hatte er nun einen Eimer in der Hand, einen Eimer voll uberschwappender Flussigkeit. Sangh ri? den Kopf hoch und kreischte:»Nein!«, dann ergo? sich der Inhalt auf den halb im Gestein versunkenen Fels. Wo das Wasser hinklatschte, verfestigte sich die Gestalt erneut zu hellem Wei?, der Dahbi achzte und wurde von den Vorderbeinen des Zentaurs getroffen, der ihn an der Stelle, wo der Dahbi-Korper halb im Gestein steckte, halb herausragte, buchstablich in zwei Halften zertrennte. Der Leib erschauerte kurz, dann erschlaffte er.
Der Zentaur lachte triumphierend und warf den Eimer an die Felswand, wo er klirrend herabfiel. Die Erscheinung fuhr herum und galoppierte durch die Kluft davon, zuruck in die Dunkelheit, die ihn rasch verschluckte.
Im Inneren der Aquatorbarriere starrte Mavra auf den Schauplatz der Szene, die sie soeben beobachtet hatten.
»Sprich jetzt, wenn du willst«, ertonte hinter ihr Brazils Stimme, die eindeutig die seine war, aber doch auf sonderbare Weise verandert und verstarkt wirkte. »Ich kann deine Gedanken horen.«
»Das — das war Asam!« stie? sie hervor. »Aber er ist tot! Er ist im Kampf gefallen… Sie sagten…« Sie drehte sich nach Brazil um und verstummte. Ihre Augen wurden vor Entsetzen riesengro?. Brazil war nicht mehr da.
An seiner Stelle gab es eine riesige weiche Masse, zweieinhalb Meter hoch, die mit nichts so viel Ahnlichkeit hatte wie mit einem riesigen Menschenherzen, das mit beinahe hypnotischer Regelma?igkeit pochte, ein geflecktes rosiges und dunkelrotes Gewebe mit zahllosen Venen und Arterien unter der nackten Haut, die rotlichblau war. An der unregelma?igen Oberseite befand sich ein Kreis von Wimpern, schmutzigwei?, die in unaufhorlicher Bewegung waren — Tausende von Harchen, wie winzige Schlangen, jedes ungefahr einen halben Meter lang. Aus der Mitte der weichen schlagenden Masse ragten in gleichma?igen Abstanden sechs Tentakel, breit und kraftvoll aussehend, bedeckt mit Tausenden von winzigen Saugnapfchen. Die Tentakel waren von ungesundem Blau, die Saugnapfe korniggelb. Aus Poren in der Hauptmasse schien Blutwasser zu rinnen, dick und stinkend. Es tropfte nicht, sondern bildete einen unregelma?igen Uberzug auf dem ganzen Korper, wobei der Uberschu? von der Haut wieder aufgenommen wurde.
»Nein, es war nicht Asam«, erklarte Nathan Brazil, dessen Stimme irgendwo aus dieser grauenhaften Erscheinung zu dringen schien. »Es war einfach die ausgleichende Gerechtigkeit. Der Borgo-Pa? hat gehalten, und ein alter Freund von uns bekam dadurch Gelegenheit, von Zeit zu Zeit nach uns zu sehen.«
Sie konnte ihren Blick von dem entsetzlichen Ding nicht losen, das vor ihr stand, vermochte ihren Ekel aber durch eine enorme Willensanstrengung zu unterdrucken.
»Es war Zigeuner«, sagte sie staunend.
»Aber fur Gunit Sangh sah er wie Asam aus«, stellte Brazil befriedigt fest. »Das war genau die Todesart, die