abhangig werden konnten. Die fremde Materie schwor zwar, dass das nicht passieren konnte, aber ich hatte gelernt, nicht alles zu glauben, was man mir erzahlt.

Der springende Punkt ist, dass dank der Abschirmung des Sanktums und der ungewohnlichen Emissionen der fremden Materie niemand die Treffen des Inneren Zirkels belauschen kann. Und es gibt im Herrenhaus immer jemanden, der versucht, mitzuhoren: Es ist die einzige Moglichkeit, jemals etwas von Bedeutung zu erfahren.

Penny kam mitten in der Tur zum Sanktum zum Stehen, als sie die volle Wirkung des roten Leuchtens aufnahm. Ihr Gesicht wurde sanfter, und sie lachelte mit einem echten Lacheln, ganz unahnlich ihrer ublichen, kuhlen Erscheinung. Sie sah gelassen und zufrieden aus, mit sich selbst im Reinen. Es passte nicht zu ihr. Sie unternahm eine bewusste Anstrengung, den Effekt zu ignorieren, und erlangte etwas von ihrer normalen Fassung wieder.

»Bemerkenswert!«, sagte sie. »Erinnert mich daran, vor einem von Kleins famosen blauen Bildern im Louvre zu stehen.« Sie bemerkte meine Uberraschung und hob eine herablassende Augenbraue. »Ich habe schon Kultur!«

»Dann solltest du Joghurt drauftun«, meinte Molly.

Penny und ich sahen uns um, und da war der Rest meines Inneren Zirkels und starrte uns argwohnisch an. Das gute, von dem karmesinroten Leuchten ausgehende Gefuhl verlie? mich augenblicklich. Ich hatte nicht damit gerechnet, dass das hier einfach werden wurde, aber die grimmigen Gesichter des versammelten Zirkels lie?en keinen Zweifel daran bestehen, dass mir eine fiese Schlacht bevorstand. Ich nahm Penny am Arm und fuhrte sie nach vorn, wobei ich die finsteren Blicke des Zirkels direkt erwiderte.

»Penny ist jetzt eine von uns«, erklarte ich mit Bestimmtheit. »Ein Vollmitglied des Inneren Zirkels. Und ich will keine Beleidigungen mehr horen. Ich vertraue ihr, und das solltet ihr auch.«

»Einfach so?«, fragte Molly gefahrlich.

»Jawohl«, bekraftigte ich.

Molly sah den ubrigen Zirkel an. »Ich schlage ihn nieder, und ihr legt ihm die Zwangsjacke an.«

»Ich brauche Berater aus allen Teilen der Familie«, sagte ich geduldig, »einschlie?lich der Traditionalisten.«

»Du meinst diejenigen, die deinen und meinen Tod wollten?«, hakte Molly nach. »Diejenigen, die dich fur vogelfrei erklart und unter dem Deckmantel der Null-Toleranz-Fraktion heimlich das Manifeste Schicksal geleitet haben?«

»Das sind sie«, bestatigte ich. »Au?er dass Penny nie bei den Null-Toleranzlern war; das hat sie mir gesagt.«

»Und du hast ihr geglaubt?«, fragte Molly.

»Na klar«, sagte ich. »Sie gehort zur Familie.«

»So«, schaltete Penny sich ein, »das ist also der beruchtigte Innere Zirkel? Das ist das, was die Stelle des Rates der Matriarchin eingenommen hat, der durch jahrhundertelange Tradition geheiligt war?«

»Genau«, sagte ich. »Irgendwann einmal wird der Innere Zirkel einem neuen Rat weichen, welcher von der Familie zu wahlen ist. Es wird allmahlich Zeit, dass hier etwas Demokratie Einzug halt.«

»Demokratie?«, fragte Molly.

»Halt die Klappe, Schatz, jetzt rede ich!«, sagte ich. »Der alte Rat musste gehen, Penny; seine Mitglieder waren alle korrupt. Sie kannten die Wahrheit uber die Torques und haben nie etwas dagegen unternommen. Sie kannten die Wahrheit uber die wahre Rolle der Familie in der Welt, und sie waren einfach damit einverstanden.«

»Ein gewahlter Rat …«, grubelte Penny. »Von der ganzen Familie oder nur von denjenigen, denen du am Ende neue Torques geben wirst?«

Ich grinste den Inneren Zirkel an. »Seht ihr? Deshalb ist sie hier - um die notigen peinlichen Fragen zu stellen.«

Ich sah in die Runde, aber es schien sie nicht sonderlich beeindruckt zu haben. Mein Innerer Zirkel setzte sich zusammen aus Molly Metcalf, meinem Onkel Jack, dem Waffenmeister der Familie, dem Gespenst Jacob Drood, dem Seneschall und nun auch Penny. Ich hatte die Familie auch allein regieren und mich selbst zum Patriarchen oder so was ausrufen konnen, aber ich hatte gesehen, wohin das fuhrte. Macht hat die Tendenz zu korrumpieren, und die Droods sind die machtigste Familie auf der Welt. Also wahlte ich Personen aus, um mich zu beraten; Personen, bei denen ich darauf vertrauen konnte, dass sie mir die Wahrheit sagten, ob ich sie horen wollte oder nicht; Leute, die es gegebenenfalls mit mir aufnehmen konnten, falls es einmal so aussah, als geriete ich au?er Kontrolle. Penny nickte den anderen Familienmitgliedern des Zirkels steif zu, wenngleich sie sich nicht dazu bringen konnte, Jacob in die geisterhaften Augen zu sehen; fur Molly jedoch hatte sie nur einen kalten, abweisenden Blick ubrig.

»Ich hatte wissen sollen, dass du deine Freundin in eine Machtposition stecken wurdest«, sagte sie su?. »Du warst schon immer ein ruhrseliger Romantiker, Eddie. Du musst wissen, dass man ihr keinen Einfluss auf die Familie gestatten darf; das geht einfach nicht. Ich meine, sie ist eine Au?enseiterin.«

»Sie ist auf meiner Seite«, sagte ich kategorisch. »Akzeptiert das und macht weiter, oder es wird vorm Schlafengehen noch Tranen geben!«

Der Waffenmeister gab sein ubliches gewichtiges Rauspern von sich, was bedeutete, dass er etwas Wichtiges zu sagen hatte und es auch sagen wurde, egal was andere davon halten mochten. Er hatte seinen ublichen chemikalienbefleckten und leicht angekokelten Laborkittel an; ein spindeldurrer Mann mittleren Alters mit viel zu viel nervoser Energie und nicht annahernd genug Selbsterhaltungstrieb. Er entwarf und baute Waffen und Apparate fur Agenten an der Front, wobei ihm ein scharfer, neugieriger Verstand und das vollige Fehlen jeglicher Skrupel zugute kamen. Unter seinem Kittel trug er ein schmuddeliges T-Shirt mit der Aufschrift Massenvernichtungswaffen - hier nachfragen. (Einmal hatte er eine Nuklearhandgranate konstruiert, konnte aber niemand finden, der sie weit genug werfen konnte.) Zwei gro?e Buschel wei?er Haare standen uber seinen Ohren hervor, abgesehen von einem Paar buschiger wei?er Augenbrauen die einzigen Haare auf seinem Kopf. Er hatte gelassene graue Augen, ein knappes, aber einnehmendes Lacheln und ein irgendwie zappeliges Auftreten. Dazu einen ausgepragten Buckel von viel zu vielen Jahren, die er uber das Rei?brett gebuckt zugebracht hatte, um richtig gefahrliche Sachen zu erfinden.

Er war mein Onkel Jack, und ich ware lieber gestorben, als ihn zu enttauschen.

»Ich kann nicht lang bleiben«, sagte er schroff und blickte in seiner gewohnten Art finster um sich. »Ich habe meine Praktikanten allein und unbeaufsichtigt in der Waffenkammer lassen mussen, und das ist immer gefahrlich. Fur sie und fur ihre Umgebung genauso. Und naturlich sind sie dieser Tage viel verwundbarer, ohne ihre schutzenden Torques. Allerdings scheint sie das in keiner Weise zu bremsen. Neulich musste ich einem von ihnen einen Superstring wegnehmen. Kein Respekt mehr vor den elementaren Kraften der Physik! Wie hat der Overdrive im Bentley gearbeitet, Eddie? Ich bin echt stolz darauf. Und ziemlich sicher, ihm inzwischen alle Mucken ausgetrieben zu haben.«

»Nur ziemlich sicher?«, fragte Molly. »Das sagt er uns jetzt …«

»Hat prima funktioniert«, antwortete ich. »Ich habe den Bentley fur ein paar kleinere Reparaturen in die Waffenkammer gebracht.«

»Wie? Was?«, rief der Waffenmeister erzurnt. »Was meinst du damit, kleinere Reparaturen? Was hast du angestellt, Eddie? Was hast du mit meinem wunderschonen alten Bentley angestellt? Du hast einen Unfall gebaut, stimmt's? Du hast einen Unfall mit dem Bentley gehabt, nachdem ich dir gesagt habe, dass ich ihn dir nur leihe!«

»Nein, ich habe keinen Unfall gebaut«, entgegnete ich ruhig. Man lernt, in Unterhaltungen mit dem Waffenmeister ruhig zu bleiben, denn er kann sich aufregen fur zwei. Also muss einer die Ruhe bewahren, und das ist mit Sicherheit nicht er. »Ich habe mir nur ein paar ganz unbedeutende Kratzer und Dellen eingefangen, wahrend eines Abstechers durch die Nebendimensionen.«

»Ich gehe wieder in die Waffenkammer!«

»Nein, das tust du nicht!«, sagte ich schnell. »Wir haben wichtige Angelegenheiten zu besprechen!«

»Wichtige Angelegenheiten, ei!«, sagte der Geist des alten Jacob lebhaft. »Das hort sich wichtig an!«

Jacob gab sich alle Muhe, aber er war einfach nicht so konzentriert wie sonst. Als er noch im Exil in der alten Kapelle hinterm Herrenhaus gelebt - oder vielmehr existiert - hatte, hatte er immer ganz zufrieden in seiner Geisterunterwasche herumgesessen und sich die Erinnerungen alter Fernsehprogramme in einem Fernseher ohne Innenleben angeschaut. Die meisten in der Familie sprachen nicht mit ihm, aber er und ich waren gute Freunde

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