»Ich bin eine Au?enstehende«, wandte Molly ein.
»Aber du bist mit mir zusammen. Wir sind ein Paar, bewohnen gemeinsam ein Zimmer. Solche Sachen werden … akzeptiert, wenngleich offiziell missbilligt - vorausgesetzt dein Rang ist hoch genug, um damit davonzukommen.«
»Je mehr ich uber deine Familie lerne, desto weniger mag ich sie«, stellte Molly fest.
»Siehst du?«, meinte ich. »Wir haben so viel gemeinsam! Komm, lass uns eine Weile aus dem Haus verschwinden, fort von der verdammten Familie und ihren Anforderungen!«
»In Ordnung«, stimmte Molly zu. »Lass uns die Tutoren fur uns gewinnen! Sie werden alle etwas Uberzeugungsarbeit brauchen, um hierher zu kommen, und wer kann uberzeugender sein als wir?«
»Ganz recht«, sagte ich. »Ich muss nur noch kurz bei Harry vorbeischauen, bevor wir gehen. Ich will unmissverstandlich klarstellen, was mit ihm passieren wird, falls er versucht, die Familie gegen mich aufzuhetzen, wahrend ich weg bin.«
»Glaubst du wirklich, ein paar harte Worte werden ihn von irgendetwas abhalten?«, fragte Molly.
»Nein, aber hoffentlich uberlegt er es sich dann zweimal, und bis dahin mussten wir wieder zuruck sein. Insbesondere werde ich ihn daran erinnern, dass ich ein Torques habe und er nicht.«
Molly betrachtete mich nachdenklich. »Beabsichtigst du, ihm einen der neuen Torques zu geben?«
»Selbstverstandlich«, entgegnete ich. »Er ist James' Sohn und selbst ein hervorragender Frontagent; die Familie braucht erfahrene Manner wie ihn. Aber ich denke nicht, dass ich ihm das gerade jetzt sagen werde.«
»Und was, wenn er dich, nachdem er seinen Torques bekommen hat, zu einem Zweikampf um die Fuhrerschaft der Familie herausfordert? Was, wenn er sich nicht einmal die Muhe macht, eine Herausforderung auszusprechen, sondern dich einfach aus dem Hinterhalt uberfallt?«
»Oh, dass er das machen wird, glaube ich nicht.«
»Und wieso nicht? Er treibt sich mit einem Hollengezucht herum!«
»Schon, aber er ist ein Drood. Die Familie wurde niemals jemanden, der derart verschlagen ist, als Anfuhrer akzeptieren, und das wei? er.«
Molly seufzte. »Du hast ein solches Vertrauen in die Familie, Eddie; selbst nach all den Dingen noch, die sie dir angetan haben.«
»Die Droods sind gute Menschen, im Grunde ihres Herzens. Wir alle werden von Kindesbeinen an darin ausgebildet, den guten Kampf zu kampfen. Wir sind blo? … vom Weg abgekommen, das ist alles. Und Harry hat wirklich einen ausgezeichneten Ruf; wenn er seine Sache als Anfuhrer besser machen kann als ich, dann soll er ruhig. Ich wurde nur zu gern verzichten und meinen alten Job als Frontagent wieder ausuben und niemandem gegenuber verantwortlich sein au?er mir selbst.«
»Du meinst, er wurde dich gehen lassen?«
Ich grinste. »Das wird er, wenn er wei?, was gut fur ihn ist.«
Molly lachte und druckte mich fest an sich. »Das ist mein Eddie! Du konntest der machtigste Mann auf der Welt sein und die machtigste Organisation auf der Welt leiten, und du wurdest es tatsachlich alles aufgeben, stimmt's?«
»Bei der ersten sich bietenden Gelegenheit«, sagte ich. »Ich habe den ganzen Kram hier nie gewollt; ich hatte schon immer meine Probleme mit Autoritatspersonen und wollte bestimmt nie eine sein. Alles, was ich will, bist du und ein gemeinsames Leben fur uns beide.«
Sie kusste mich und schob mich dann weg. »Geh und rede mit Harry; ich werde derweil einen Spaziergang in den Anlagen machen. Wo sollen wir uns treffen?«
»In der Waffenkammer, in einer Stunde«, sagte ich. »Wenn wir hinter Janitscharen Jane, dem Blauen Elfen, U-Bahn Ute und Mr. Stich her sind, dann mochte ich wirklich gut bewaffnet sein.«
Ich schaute kurz beim Seneschall vorbei, nur um mich zu vergewissern, dass Harry auch dort gelandet war, wo er sein sollte: in Onkel James' altem Zimmer. Der Seneschall wei? immer, wo jeder ist; das ist Teil seiner Arbeit. Er bestatigte, dass der Neuankommling sich tatsachlich im alten Zimmer des Grauen Fuchses befand. Das schien er angemessen zu finden, aber ich merkte, dass etwas anderes ihn argerte.
»Etwas scheint dich zu storen, Seneschall«, sagte ich. »Bist du nicht damit einverstanden, dass Harry endlich heimgekehrt ist?«
»Er scheint ein recht angenehmer Gentleman zu sein«, erwiderte der Seneschall bedachtig. »Aber sein … Begleiter - das ist etwas anderes. Hatte nie gedacht, dass ich den Tag erlebe, wo die Familie zulasst, dass sich ein Hollengezucht unter unserm Dach aufhalt!«
»Harry verburgt sich fur ihn«, sagte ich. »Das ist sein gutes Recht. Aber lass dich nicht davon abhalten, ein sehr wachsames Auge auf alles zu haben, was Roger Morgenstern veranstaltet solange er hier ist.«
Der Seneschall nickte. »Als ob ich dich brauchte, um mir das zu sagen, Junge!«
»Werd' nicht ubermutig, Cyril! Was kannst du mir uber Harry erzahlen?«
»Nichts, was du nicht schon wusstest.«
»Mein Onkel James hat nie mit dir uber ihn gesprochen?«
»Nein. Hat er nie. Der Graue Fuchs hat sich nie uber seine Beziehungen au?erhalb der Familie unterhalten.«
»Hast du James' Frau, Melanie Blaze, irgendwann einmal kennengelernt?«
Um den Mund des Seneschalls zuckte kurz etwas, das man beinahe fur ein Lacheln hatte halten konnen. »Ich hatte die Ehre, dieser Dame bei ein paar Gelegenheiten zu begegnen. Eine uberaus bemerkenswerte Personlichkeit.«
Ich wartete, aber das war alles, was er zu sagen hatte. Ich nickte dem Seneschall zu, und er drehte sich um und ging energisch weg. Achselzuckend machte ich mich auf den Weg durch die gewundenen Korridore des Westflugels zum ehemaligen Zimmer von Onkel James. Als ich junger war, hatte ich viel Zeit dort verbracht, und seine Gesellschaft genossen, wenn er sich zwischen zwei Auftragen zu Hause ausruhte. In vielerlei Hinsicht war er der Vater gewesen, den ich nie gehabt hatte. Ich war wie ein Sohn fur ihn, aber weshalb hatte er dann nie uber seinen richtigen Sohn, Harry, mit mir gesprochen?
Ich war so in meine Gedanken vertieft, dass ich nicht daran dachte, anzuklopfen, sondern einfach die Tur offnete und hereinplatzte, wie ich es immer gemacht hatte, als es noch Onkel James' Zimmer gewesen war. Und dann blieb ich wie vom Blitz getroffen stehen, als ich Harry Drood und Roger Morgenstern sah. Sie lagen sich in den Armen. Sie kussten sich. Sofort losten sie sich voneinander und starrten mich, Schulter an Schulter, unfreundlich an. Ohne Hast drehte ich mich um und schloss sorgfaltig die Tur.
»Ihr solltet euch wirklich angewohnen, hier eure Tur abzusperren«, sagte ich.
»Du hast es gesehen!«, sagte Harry.
»Ja«, antwortete ich, »ich habe es gesehen.«
»Wirst du es allen erzahlen?«
»Wieso sollte ich?«, fragte ich. »Das geht niemanden au?er euch was an.«
»Wenn du die Matriarchin informieren wurdest«, sagte Harry langsam, »und die Familie … Du wei?t, dass sie mich nie als ihren Anfuhrer akzeptieren wurden. In manchen Dingen ist die Familie immer noch sehr altmodisch.«
»Das ist ihr Problem«, meinte ich. »Ich schere mich einen Dreck darum. Ist das der Grund, weshalb du nie nach Hause gekommen bist?«
Harry und Roger sahen einander an und entspannten sich ein wenig. Harry nahm Rogers Hand und druckte sie beruhigend.
»Das ist der Grund, weshalb mein Vater nie mit dir uber mich gesprochen hat«, erklarte Harry. »Allerdings hat er oft mit mir uber dich gesprochen. Er hatte gro?es Vertrauen in dich, Eddie. Er sagte, du habest das Zeug dazu, ein ebenso gro?er Frontagent wie er zu werden. Von mir hat er das nie gesagt, obwohl ich mir solche Muhe gab, ihn zu beeindrucken. Er war alles, was ich immer sein wollte. Aber er ist nie mit der Tatsache klargekommen, dass sein einziger legitimer Sohn schwul ist. Es bedeutete ihm so viel, verstehst du, seine Linie innerhalb der Familie fortzufuhren. Und dafur brauchte er ein legitimes Kind. Die Droods haben immer gro?en Wert auf Blutlinien gelegt. Die Matriarchin hat ihm schon die Holle hei?gemacht, weil er meine Mutter geheiratet hat; du kannst dir vorstellen, was sie gesagt hatte, wenn sie das mit mir jemals herausgefunden hatte.
Fairerweise muss man sagen, dass er mich hatte versto?en konnen, es aber nicht tat. Es bedeutete jedoch,