»Na prima!«, meinte Molly, die zu uns geschlendert kam und dabei eine herumstreunende Dronte aus dem Weg trat. »Hei?t das, dass wir jetzt nicht mehr nett zu Roger sein mussen und es mir freisteht, ihn auf langsame, scheu?liche und innovative Weisen zu toten?«

»Du kannst schon einen Groll hegen, was?«, sagte ich.

»Du hast ja keine Ahnung!«, erwiderte Molly.

»Ich erzahlte Onkel Jack gerade, dass wir gehen und ein paar alte Freunde besuchen«, sagte ich. »Bist du so weit?«

»Na klar! Und du?«

»Noch nicht ganz.« Ich wandte mich wieder an den Waffenmeister. »Wir konnten dabei ein paar von deinen neuesten Spielereien und schmutzigen Tricks gebrauchen. Was hast du auf Lager?«

»Ah!«, sagte der Waffenmeister, und seine Miene hellte sich auf. Er war immer am glucklichsten, wenn er uber neue Methoden von Mord und mutwilliger Zerstorung sprechen konnte. »Ich konnte da tatsachlich ein paar neue Sachen haben, die euch begeistern und erschauern lassen durften und die nur darauf warten, von einer wackeren Seele einem Feldversuch unterzogen zu werden -«

»Augenblick mal!«, fiel ihm Molly ins Wort, wobei sie ihm uber die Schulter guckte. »Was ist das, woran du da gerade arbeitest?«

Er machte ein finsteres Gesicht. »Es sollte eigentlich explodieren, und das tut es nicht!« Er nahm einen gro?en Gummihammer und schlug damit auf das schwarze Gehause vor ihm. Molly und ich zuckten beide zusammen, und ich entwand dem Waffenmeister den Hammer und deponierte ihn sicher au?erhalb seines Zugriffs. Seine Miene verfinsterte sich noch weiter. »Man muss Technologie lehren, einen zu respektieren! Sie muss wissen, wer das Sagen hat!«

»Du kannst es ja spater nochmal versuchen«, beruhigte ich ihn. »Wenn wir beide fort und au?er Reichweite sind. Und jetzt erzahl mir von deinen neuen Spielereien!«

»Tja, also … Zuerst solltest du besser das hier haben.« Er holte ein schweres Bundel handbeschriebener Blatter aus seiner Schreibtischschublade und reichte es mir. »Das ist deine Bedienungsanleitung fur Merlins Spiegel. Lass sie sonst keinen sehen! Ich habe alles handschriftlich niedergelegt, damit es keine Aufzeichnung im Computer daruber gibt. Etwas so Machtiges muss streng vertraulich behandelt werden.«

»Das sind uber vierzig Seiten!«, wandte ich lahm ein.

»Und es kommen noch mehr«, sagte der Waffenmeister. »Das verdammte Ding steckt voller Extraoptionen, von denen ich viele nicht vollig verstehe. Noch nicht. Typisch Merlin; er konnte nicht einfach den Spiegel machen, um den er gebeten worden war - nein, er musste angeben. Was du da in Handen haltst, sind nur die Optionen, die ich bisher identifiziert habe, zusammen mit den aktivierenden Worten. Und komm nicht auf die Idee, herumzuexperimentieren, Eddie: Das Ding steckt fur den Unvorsichtigen wahrscheinlich voller Fallstricke. So hatte ich es jedenfalls konzipiert. Und es hei?t, dass Merlin Satansbrut fur seinen seltsamen und unschonen Sinn fur Humor beruhmt war.«

»Bist du sicher, dass er kein Drood war?«, fragte ich, wahrend ich rasch durch die Seiten blatterte.

»Pass jetzt auf, Eddie! Die zwei nutzlichsten Optionen sind die hier: Der Spiegel kann in der Gegenwart uberallhin sehen, ebenso in der Vergangenheit und in der Zukunft. Er kann auch als Tur fur einen direkten Transport zu jedem Ort auf der Welt benutzt werden. Erzahl ihm nur, wo du hin willst, zieh ordentlich am Rahmen, bis er gro? genug ist, und tritt dann hindurch.«

Ich gab es auf mit den Seiten, faltete sie sauberlich zusammen und stopfte sie in eine Innentasche meiner Jacke. »Danke, Onkel Jack. Ich bin sicher, das wird sehr hilfreich sein. Aber ich hatte eigentlich auf etwas ein bisschen Aggressiveres gehofft.«

»Moment mal!«, mischte Molly sich ein. »Wenn der Spiegel uns Szenen von absolut uberall in der Gegenwart zeigen kann - dann konnen wir ihn benutzen, um Leute in der Dusche nachzuspionieren oder auf der Toilette! Vielleicht kann man sogar belastende Fotos machen! Die Moglichkeiten fur Erpressungen sind unendlich!«

»Deine Hexe sollte mal aus den Waldern kommen«, murmelte der Waffenmeister.

»Lass es uns ausprobieren!«, forderte Molly mich auf. »Komm schon, du wei?t, dass du's willst!«

Ich nahm den silbernen Spiegel aus der Tasche und wog ihn nachdenklich in der Hand. »Ich nehme an, wir sollten ihn erproben, im Geiste wissenschaftlicher Forschung. Nur um uns zu vergewissern, dass er auch das kann, was er eigentlich sollte.«

»So ist es recht, Junge!«, sagte der Waffenmeister frohlich.

Ich seufzte. »Ihr beide habt einen ganz schlechten Einfluss auf mich!«

Ich gebrauchte die aktivierenden Worte und befahl dem Spiegel, mir zu zeigen, was die Matriarchin machte, genau in diesem Augenblick. Molly und der Waffenmeister drangten sich zu beiden Seiten an mich, und wir starrten hinein. Unsere Spiegelbilder wurden undeutlich und verschwammen und wurden dann plotzlich von einer Ansicht des Schlafzimmers der Matriarchin ersetzt. Es war, als ob wir von irgendwo in der Nahe der Tur zuschauten, ungesehen und ungeahnt. Martha sa? jetzt auf einem Stuhl neben dem Bett und beachtete Alistair nicht mehr, der auf die Decke starrte und leise, traumerische Laute von sich gab. Wahrscheinlich war eine starke Dosis von irgendwas in der Suppe gewesen. Das Schlafzimmer der Matriarchin war immer noch voller Freunde und Anhanger, aber jetzt hatte sie neue Gaste: Harry und den Seneschall. Ich war nicht wirklich uberrascht, einen der beiden hier zu sehen: Harry, weil er Unterstutzung brauchte, wenn er eine neue Machtbasis innerhalb der Familie errichten wollte, und den Seneschall, weil ich immer gewusst hatte, in welche Richtung seine Sympathien gingen, schon bevor ich ihn in meinen Inneren Zirkel eingeladen hatte. Halte deine Freunde in deiner Nahe, aber deine Feinde noch naher, besonders wenn sie der Familie angehoren.

Kein Roger allerdings. Vermutlich hoffte Harry, dass aus den Augen aus dem Sinn bedeutete. Wir drei starrten in den Handspiegel, sahen zu und lauschten schweigend, wahrend die Stimmen im Zimmer aus weiter Ferne deutlich zu uns drangen.

»Hallo, Gro?mutter!«, sagte Harry und beugte sich vor, um ihre angebotene Hand zu kussen. »Es ist eine Weile her, nicht wahr?«

»Es gab Grunde, wie du wohl wei?t«, erwiderte die Matriarchin. »Aber jetzt bist du hier, wieder da, wo du hingehorst, und das ist alles, worauf es ankommt. Es ist schon, dich wiederzusehen, Harry. Du hast das Aussehen deines Vaters.«

»Und das meiner Mutter, hat man mir gesagt«, antwortete Harry.

Die Matriarchin ignorierte das. »Viel hat sich geandert, aber die Bedurfnisse der Familie mussen immer an erster Stelle kommen. Du kannst jetzt der Familie dienen, mehr als du es in deinem selbst auferlegten Exil je getan hast. James war immer mein Lieblingssohn, reich an Macht und Ansehen. Sei du mein Lieblingsenkel, Harry! Gewinne die Kontrolle uber die Familie von Edwin, dem Verrater, zuruck! Stelle den ordnungsgema?en Zustand der Dinge wieder her! Und alle alten …, sagen wir Auseinandersetzungen sollen vergeben und vergessen sein.«

Harry lachelte. »Das ist der Grund, weshalb ich hier bin, Gro?mutter.«

Ich schaltete den Spiegel mit einem Wort aus, und die Szene wurde von unseren zuruckkehrenden Spiegelbildern weggewischt.

»Verraterischer kleiner Drecksack!«, sagte Molly. »Hat nicht lang gebraucht, um dir sein Messer in den Rucken zu sto?en, was?«

»Ich kann nicht behaupten, dass mich etwas davon uberrascht«, antwortete ich und steckte den Spiegel wieder in die Tasche. »Enttauscht, aber uberrascht nicht.«

»Willst du, dass ich ihn in etwas Kleines und Ekliges verwandle?«

»Ich kann Harry aufhalten«, sagte ich. »Ich muss. Gro?mutter halt viel von Blutlinien, Kindern und Enkeln und Urenkeln.«

»Muss ich das verstehen?«, fragte Molly.

»Nein«, sagte ich.

»Du und deine Familiengeheimnisse!«, meinte Molly. »Als ob mich das interessierte!«

»Ich werde ein Auge auf den verlorenen Sohn haben, bis du zuruckkommst«, knurrte der Waffenmeister. »Aber verlass dich nicht darauf, dass ich ihn davon abhalten kann, irgendwelche Dummheiten anzustellen! Ich mag vielleicht Innerer Zirkel sein, aber ich habe nicht mehr die Macht oder den Einfluss, die ich einmal hatte. Niemand hat die mehr. Die ganze Familie ist zersplittert und streitet untereinander daruber, was wir als Nachstes tun und was wir eigentlich sein sollten. Bleib also nicht zu lange weg, Eddie, sonst hast du vielleicht keine Familie mehr, zu

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