der du zuruckkehren kannst!« Er schnaubte und wechselte dann demonstrativ das Thema. »Und sei vorsichtig mit diesem Spiegel! Ich versuche immer noch herauszufinden, was seine Schattenseiten sein mogen. Es gibt immer Schattenseiten bei etwas so Machtigem. Das Wenige, was ich bislang uber vergangene Anwendungen des Spiegels herausgefunden habe, stammt von Texten aus der alten Bibliothek. Jacob half mir bei den Nachforschungen, aber er ist verschwunden. Wieder einmal. Ich nehme nicht an, dass du wei?t, wo er steckt?«

»Ich habe ihn seit dem Zirkeltreffen nicht mehr gesehen«, verneinte ich.

»Er verschwand, als Harry aufkreuzte«, bemerkte Molly nachdenklich. »Konnte es da einen Zusammenhang geben?«

»Das bezweifle ich«, meinte ich. »Nicht alles, was hier passiert, ist Teil irgendeiner Verschworung; es sieht nur so aus. Ich hatte Jacob nie ermuntern sollen, seine Kapelle zu verlassen. Ich wollte ihn nur deshalb hier im Herrenhaus haben, weil ich seine Unterstutzung brauchte. Er war in der Kapelle immer so viel mehr … beieinander. Dort wusste er, wer er war. Er hat die Kapelle nur verlassen, um mich zu retten.«

Der Waffenmeister legte mir eine gro?e, trostende Hand auf die Schulter. »Und nicht alles Schlechte, was hier passiert, ist deine Schuld, Eddie. Jacob wird wieder auftauchen. Das tut er immer - leider; auch mit Geld und guten Worten konnte man ihn nicht loswerden. Nun zum Spiegel. Ich lasse ein paar meiner Leute die alte Bibliothek durchforsten und nach Erwahnungen des Spiegels oder Merlins suchen. Aber ohne ein Gesamtregister … Es ist ein langwieriger Prozess. Und der derzeitige Bibliothekar ist keine gro?e Hilfe; er wusste nicht einmal, dass die alte Bibliothek existierte, bevor du sie wieder entdeckt hast. Alles, was er jetzt macht, ist durch die Regale zu gehen, Aaah! und Oooh! zu sagen und meine Leute daran zu hindern versuchen, die alteren Texte zu lesen, damit sie sie nicht beschadigen. Idiot! Diese alten Bucher konnen fur sich selbst sorgen. Wahrscheinlich konnte man siedendes Napalm daruberschutten, ohne auch nur Spuren auf ihren Einbanden zu hinterlassen. Manche wurden wahrscheinlich zuruckschlagen!«

»Dann wird es dich vermutlich freuen zu horen, dass einer der Vogelfreien, die ich zuruckzubringen plane, unser lang vermisster William Dominic Drood ist«, teilte ich ihm mit. »Er war der beste Bibliothekar, den wir je hatten.«

»Verdammt richtig!«, pflichtete der Waffenmeister mir bei, und seine Miene hellte sich wieder etwas auf. »Du hast William gefunden? Gute Arbeit, Eddie! Ich habe diesen Unsinn, dass er die Familie aus niederen Beweggrunden verlassen und ein Leben als Vogelfreier vorgezogen hat, nie geglaubt. Ich kannte ihn damals zu der Zeit gut - ein erstklassiger Kopf. Wo hat er all die Jahre gesteckt?«

Ich warf Molly einen schnellen Blick zu, ehe ich antwortete, aber es gab keine einfache Moglichkeit, es zu sagen. »William … ist nicht mehr der Mann, der er einmal war, Onkel Jack. Er hatte irgendeine Auseinandersetzung mit dem Herzen, bevor er uns verlie?. Und etwas Schlimmes ist ihm passiert. Er hielt sich lange genug beieinander, um unterzutauchen, doch dann erlitt er einen Zusammenbruch. Er halt sich gegenwartig in einem Sanatorium auf.«

»In einer Irrenanstalt?«, fragte der Waffenmeister unglaubig. »Du meinst, er ist verruckt?«

»Es ist kein so ubler Ort«, sagte Molly schnell. »Man kummert sich dort ordentlich um ihn. Eddie und ich haben ihn erst vor Kurzem besucht. Er war, na ja, zerstreut, aber fur eine Zeit lang auch gut auf Zack. Ich glaube, das Herz hat etwas mit seinem Verstand angestellt. Jetzt, wo es weg ist, werden sich vielleicht auch die Effekte verlieren.«

»Ich bin sicher, er wird sich viel besser fuhlen, sobald er wieder im Herrenhaus ist«, fugte ich etwas schwachlich hinzu.

»Verflucht!«, stie? der Waffenmeister barsch hervor. »Zu Sto?zeiten ist dieser ganze Laden ein Irrenhaus! Er wird perfekt hineinpassen.«

»Neue Waffen?«, warf ich ein, denn ich dachte mir, dass das die beste Moglichkeit war, den Waffenmeister auf andere Gedanken zu bringen.

Er schnaubte wieder. »Ich wei? nicht, ob ich dir irgendwas von meinem guten Zeug anvertrauen will. Der Bentley ist voller Kratzer zuruckgekommen, und dass du mir meine einzigartige Umkehruhr kaputt gemacht hast, habe ich dir immer noch nicht verziehen. Und du hast den besonderen Richtungskompass verloren, den ich fur dich angefertigt hatte!«

»Lass uns als gegeben annehmen, dass ich unachtsam und undankbar bin und nie etwas zu schatzen wei?, was du fur mich tust … und dann weitermachen. Wie war's damit?«, schlug ich geduldig vor. »Den Repetiercolt habe ich noch, aber ich konnte was Dramatischeres gebrauchen.«

»Ich hatte da noch diese Nuklearhandgranate …«

»Nein!«, lehnte ich au?erst bestimmt ab.

»Na schon, wie war's dann mit einem tragbaren Schallgenerator, der die Hoden deiner Feinde in Zeitlupe anschwellen und explodieren lassen kann?«

»Au ja, bitte!«, sagte Molly.

»Verlockend, aber nein«, entschied ich. »Ich wurde etwas weniger Auffalliges bevorzugen.«

»Du warst auch bei deinem Essen schon immer sehr makelig.«

»Weitermachen bitte.«

»Ich habe da einen Kurzstreckenteleporter, an dem ich herumgebastelt habe«, sagte der Waffenmeister und wuhlte in dem Gerumpel herum, das sich vor ihm auf dem Arbeitstisch haufte. »Lasst einen auf der Stelle eine halbe Meile springen, in jede beliebige Richtung. Denk einfach an einen Ort, sprich die Worte, und ab geht's. Lasst sich nicht zuruckverfolgen. Und im Gegensatz zu Merlins Spiegel uberhaupt nicht aufspuren.«

»Das hort sich doch schon besser an«, meinte ich. »Wieso nur eine halbe Meile?«

»Weil man bei allem, was daruber hinaus geht, in einer willkurlichen Anzahl von Stucken anzukommen tendiert«, gab der Waffenmeister widerstrebend zu.

»Das klingt fur mich gar nicht gut«, bemerkte Molly.

»Da bist du nicht die Einzige«, sagte ich.

»Ach, kommt schon!«, ermunterte uns der Waffenmeister. »Probiert's doch mal! Ah, da ist er ja!« Er hielt ein schlichtes Kupferarmband hoch, hauchte darauf, polierte es am schmuddeligen Armel seines Kittels und hielt es mir hin. Es sah sehr nach einem dieser Armreifen aus, die Leute tragen, um Rheumatismus abzuwehren. Der Waffenmeister grinste. »Ich habe schon nach jemandem gesucht, der es im Einsatz fur mich ausprobieren konnte. Und betrachtet man mal eure Situation, dann kann es nur von Vorteil sein, plotzlich ganz woanders sein zu konnen.«

»Er ist vielleicht gruselig, aber er hat recht«, meinte Molly.

Widerwillig schob ich das Kupferarmband uber mein Handgelenk. »Bei meinem Gluck kriegt meine Haut sicher Grunspan ab. Und du hast mir immer noch keine anstandige Waffe angeboten.«

»Du brauchst keine Waffe«, antwortete Molly. »Du hast mich.«

»Da hat sie nun wieder recht«, sagte der Waffenmeister.

Molly und ich benutzten Merlins Spiegel, um uns zu unserem ersten Ziel zu bringen: dem beruchtigten Sauftempel, dem neutralen Boden und der Lasterhohle schlechthin - dem Wolfskopfklub. Alles, was ich tun musste, war, an dem silbernen Rahmen des Spiegels zu zupfen und die richtigen Worte zu murmeln, und der Spiegel dehnte sich wie Knetmasse zu Turgro?e. Unsere Spiegelbilder verschwanden und wurden von einem schattigen und dusteren Bild unseres Ziels ersetzt. Molly und ich gingen hindurch, und auf einmal standen wir in einer bekannten, aber verlassenen Stra?e, tief im Herzen des Londoner Stadtteils Soho. Der Spiegel schnurrte zu seiner ursprunglichen Gro?e zusammen und ich steckte ihn weg.

Der Wolfskopfklub ist ein sehr bekannter Treffpunkt fur all die seltsamen und ungewohnlichen Leute dieser Welt. Und fur die, die nur mal kurz hier reinschauen. Keiner ist sich wirklich sicher, wo genau eigentlich dieser Klub liegt und das sehr anonyme Management will auch, dass das so bleibt. Es gibt jedoch ein paar Zugange uberall in der Welt, wenn Sie wissen, wo genau Sie zu suchen haben. Und wenn Ihr Name auf der Liste steht. Das ist nicht die Art Klub, in den man hineinkommt, indem man den Tursteher besticht. Entweder sind Sie ein Mitglied im besten Sinne, oder Sie sind tot.

Ich sah mich schnell um, ob wir unbeobachtet waren. Die Stra?e war verlassen, abgesehen von dem ublichen Mullsortiment und einer Hand voll Ratten mit starkem Magen. Das einzige Gerausch war der ferne Autoverkehr. Es war sehr fruh am Abend, doch die Schatten waren bereits da, dunkel und undurchdringlich. Die

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