dieser Hohe sahen sie aus wie Ameisen, die um und auf der riesigen Konstruktion herumliefen, die aus der von Linien durchzogenen und gefurchten Ebene wie ein einzelner au?erirdischer Wolkenkratzer herausragte. Das Ding musste mittlerweile uber hundert Meter hoch sein; eine seltsame und unirdische Ansammlung von Stilen und Materialien. Seine Form ergab uberhaupt keinen Sinn. Mein Verstand schien mit den unerwarteten Dimensionen und Verformungen nicht fertig werden zu konnen. Allein das Hinsehen lie? meine Augen schmerzen. Callan stellte sich neben mich.

»Es ist besser, wenn du immer nur fur ein paar Augenblicke hinsiehst. Ich bin ziemlich sicher, dass wir da etwas haben, dass in mehr als drei raumlichen Dimensionen existiert und dass das, was wir sehen, nur das ist, was unser Verstand erfassen kann. Frag mich nicht, was zur Holle das sein soll oder wozu es gut ist, aber die Abscheulichen sind die ganze Zeit um dieses Ding herum; den ganzen Tag, die ganze Nacht, drinnen und drau?en. Es gibt eine einzige Offnung unten am Fundament und eine Menge von dem, was zu dieser Offnung reingeht, kommt nicht wieder raus. Ich habe das Gefuhl, es ist fast fertig. Die Arbeitsgeschwindigkeit hat sich in den letzten zwolf Stunden beschleunigt, als wurden sie gegen eine Deadline anarbeiten. Wo sind ubrigens meine Kaltgetranke? Ihr hattet kalte Drinks versprochen. Und nach dieser Sache will ich einen Torques. Ich habe hier drau?en Wochen damit verbracht, den Patrouillen dieser Bastarde zu entgehen. Die Betonung liegt dabei auf ziemlich schwer bewaffneten Patrouillen. Sie toten jeden, der zu nahe rangeht; selbst vollig harmlose Touristen, ob sie nun etwas gesehen haben oder nicht.«

Ich machte ihm ein Zeichen, dass er den Mund halten solle und er tat es. Meine silberne Maske erlaubte mir, das hochaufragende Gebaude da unten heranzuzoomen, damit ich die Details so deutlich sehen konnte, als stunde ich direkt darauf. Die fremdartige Struktur schien mir genauso gut eine Maschine wie auch ein Bauwerk sein zu konnen, gebaut zum Zwecke … Nun, um irgendetwas zu tun. Aber je langer ich es ansah, desto weniger Sinn schien es zu ergeben. Aber es dauerte nicht lange, bis ich entdeckte, was sie mit all dem Viehzeug machten. Die Abscheulichen hatten Teile von ihnen in die Konstruktion eingebaut. Teile des Turms waren ganz klar technisch, selbst wenn ich ihren Zweck nicht erkennen konnte, aber andere Teile waren ganz klar organisch. Lebendes Fleisch, ganze Organe, blutige Eingeweide, verbindendes Gewebe, ja sogar ganze Gehirne und Kopfe. Alle lebendig, verwendet als Teil einer lebendigen Struktur. So etwas hatte ich noch nie gesehen, und ich hatte schon einiges an Alien- oder Fremddimensions-Technologie gesehen.

Janitscharen Jane kam jetzt an meine andere Seite und ich beschrieb ihr, was ich sah. Sie nickte langsam.

»Sowas hab ich schon mal gesehen … irgendwann. Es ist kein Hollentor. So etwas nicht. Aber es ist ein Tor irgendeiner Art.«

»Also planen sie, eine Tur irgendwo anders hin zu offnen«, mischte sich Molly ein, um uns zu zeigen, dass sie nicht au?en vor bleiben wurde. »Vielleicht haben sie davon gehort, dass du ihnen den Krieg erklart hast und hauen ab, solange sie noch die Chance haben.«

»Ein netter Gedanke, aber nein«, sagte ich. »Die haben schon damit angefangen, lange bevor ich die Kontrolle der Familie ubernommen habe.«

»Und ich glaube nicht, dass das einfach nur kreiert wurde, um einen Weg nach drau?en zu offnen«, sagte Janitscharen Jane langsam. »Es sieht eher so aus, als sei es erfunden worden, um etwas von au?en hereinzuholen … und es in unsere Welt zu bringen.«

»Verstarkung?«, fragte Molly. »Mehr Abscheuliche?«

»Nein«, sagte Jane. »Mit der Macht, die dieses Ding braucht, muss es irgendetwas Machtigeres sein … Etwas viel Schlimmeres als noch mehr Abscheuliche.«

»Schlimmeres?«, meinte Callan. »Was konnte schlimmer sein als seelenfressende Damonen?«

»Bleib in der Nahe«, sagte ich. »Wenn wir dieses Ding nicht abschalten, bevor sie ihr Tor offnen konnen, finden wir das vielleicht heraus.«

»Ich will nach Hause«, antwortete Callan. »Ich hasse diesen Ort.« Molly sorgte fur eine neue Flasche Pepsi fur ihn und er ging davon, um duster auf den harten Boden einzutreten.

Wir sahen alle der Reihe nach uber die Kante des Felsens und studierten die Bewegungen der winzigen Gestalten, die unten herumflitzten. Es waren Hunderte von ihnen, Manner und Frauen und sogar ein paar Kinder, die uberall auf der gro?en Struktur herumkletterten, ohne auf ihre eigene Sicherheit zu achten. Die vor Hitze flirrende Luft lie? die Sicht schwierig werden, selbst mithilfe der silbernen Masken, aber die extremen Temperaturen schienen die Abscheulichen nicht zu storen.

Keiner hatte offenbar das Sagen, keine Befehle wurden gegeben, aber alle schienen genau zu wissen, was sie zu tun hatten. Als ich naher heranzoomte, um die Arbeiter genauer zu betrachten, traf mich ihre Fremdartigkeit wie ein Hammerschlag. Sie bewegten sich nicht wie Menschen und ihre Gesichter waren leer. Manchmal bewegten sie sich vollig einheitlich, in perfekter Prazision wie ein Vogelschwarm. Sie hatten nichts Menschliches mehr au?er ihrer au?eren Form, alles andere hatten die Abscheulichen ihnen genommen.

Fur Mr. Stich war das Ganze neu und er bestand darauf, dass man ihm alles erklarte. Also gab ich mir Muhe, ihm die Kurzversion mitzuteilen.

Die Abscheulichen kamen von irgendwoanders her, jenseits von Raum und Zeit, wie wir sie verstehen. Sie haben in unserer Welt keine physische Prasenz, also mussen sie einen Korper ubernehmen, sowohl mental als auch physisch; bevorzugt menschlich, aber nicht immer. Wenn ein Ekliger einen menschlichen Korper ubernimmt oder infiziert, dann frisst oder zerstort er die Seele - daruber ist man sich nicht einig - und bewohnt die verbliebene Hulle, die dann bald ausbrennt, wegen unertraglichen Stresses und der Belastungen, denen der neue Besitzer sie aussetzt. Nachdem der Korper gestorben ist und langsam verfallt, macht er trotzdem weiter. Er wird von der unirdischen Energie des Abscheulichen getrieben, bis der Korper schlie?lich auseinanderfallt und der Abscheuliche sich einen neuen Wirt suchen geht. Wir nennen die infizierten Menschen Drohnen. Im Grunde sind sie Zombies, fur fremde Zwecke angetrieben von einem fremden Willen.

Sie zerstoren Leben und fressen Seelen. Und die Familie hat sie aus ganz personlichen Grunden hergebracht. Wir hatten wissen mussen, dass uns die Sache aus dem Ruder lauft.

»Manchmal ubernehmen sie ganze Stadte«, sagte Harry unerwartet. »Sie fangen bei einer Familie an, und dann nehmen sie sich die ganze Gemeinde, Haus fur Haus. Wenn sie die Kontrolle uber jeden einzelnen ubernommen haben, dann zwingen sie die Stadt aus unserer Realitat in irgendeine Dimensionstasche, die sicher ist vor der Entdeckung durch Menschen. Dann benutzen sie diese versteckte Basis, um die angrenzenden Stadte anzugreifen. Glucklicherweise verraten sie sich immer, denn sie sind zu gierig. Die Familie radiert diese Stadte aus, sobald wir sie finden.

Ich war vor ein paar Jahren an so einer Razzia beteiligt. Es war in Frankreich, unten bei Bordeaux. Man nennt diese Stadte auch Ghoulstadte. Die lokale Verwaltung hatte einen Hilferuf geschickt, nachdem sie bei einer Routinesuche nach einer vermissten Person uber eine solche gestolpert waren. Ich war der nachstbeste Frontagent, also nahm ich den Auftrag an. Ich tat mich mit einem franzosischen Damonenspezialisten zusammen, ihr Name war Mallorie. Ein bisschen verkopft, aber sie verstand ihren Job. Der Waffenmeister hatte uns einen Dimensionen-Schlussel beschafft und mit der ublichen, besonderen Expressart zukommen lassen. Und Mallorie und ich haben eine franzosische Sondereinheit in diesen Ghoulort angefuhrt.«

Er hielt einen Moment inne und erinnerte sich. Sein Gesicht war ruhig, uberlegt, aber seine Augen spiegelten den Schrecken.

»Ein schrecklicher Ort. Jeder Albtraum, den man nur haben kann. Das Licht war grell, fast zu grell fur menschliche Augen. Die Schwerkraft fluktuierte und die Richtungen anderten sich standig, wenn man nicht genau hinsah. Die Luft war kaum zu atmen, und es stank von Blut und Innereien und Abfall. Wir waren hineingegangen, weil wir hofften, noch etwas zu retten, aber es wurde bald klar, dass wir zu spat kamen. In dieser Ghoulstadt waren Manner, Frauen und sogar Kinder, aber alle waren infiziert. Die Abscheulichen hatten ihre Seelen gefressen. Die Kinder waren am schlimmsten. Sie versuchten, zu verbergen, was sie geworden waren, um uns anzulocken, aber sie wussten gar nicht einmal, wie sich Kinder benehmen.

Sie griffen uns an. Haben sich nicht mal die Muhe gegeben, sich wie Kinder zu verhalten. Sie kamen aus jeder Richtung und wedelten mit den Armen wie zuruckgebliebene Kinder. Sie kamen mit allen moglichen Waffen auf uns zu. Und mit blo?en Handen und sogar gebleckten Zahnen. Wir haben sie alle getotet. Niedergeschossen, niedergemetzelt, ihre Gesichter in den blutigen Boden getreten. Irgendetwas Menschliches, irgendwie menschlich und dann auch wieder nicht. Etwas, das einmal menschlich gewesen und jetzt hoffnungslos korrumpiert war, hat uns alle verruckt gemacht. Wir toteten und toteten, eine Stra?e runter und die andere wieder rauf. Wir traten die Leichen aus dem Weg, bis die Rinnsteine uberliefen vor Blut. Ein paar taten so, als ob sie sich ergaben, aber es

Вы читаете Krieg der Wachter
Добавить отзыв
ВСЕ ОТЗЫВЫ О КНИГЕ В ИЗБРАННОЕ

0

Вы можете отметить интересные вам фрагменты текста, которые будут доступны по уникальной ссылке в адресной строке браузера.

Отметить Добавить цитату