nicht sicher sein.«
»Und … es fehlen einige Bucher«, sagte Rafe. »Wichtige Bucher. Ich vermute, dass die Null-Toleranz- Fanatiker sie genommen haben, vielleicht, um sie an Truman und das Manifeste Schicksal weiterzugeben. Oder vielleicht haben sie sie auch zerstort, damit niemand die Wahrheit kennt. Wei?t du, diese Bucher beschrieben den ursprunglichen Deal der Familie mit den Abscheulichen. Was wir ihnen versprochen haben und sie uns. Und moglicherweise auch etwas, um den Handel ruckgangig zu machen.«
»Wie viele Bucher fehlen denn?«, fragte ich.
»Wir stellen gerade eine Liste auf«, sagte Rafe. »Eine ganze Sektion der Familiengeschichte fehlt. Es durfte dich nicht uberraschen, dass ausgerechnet die Bande fehlen, die uns vielleicht verraten hatten, wer ursprunglich vorgeschlagen hatte, die Abscheulichen zu kontaktieren und warum.«
»Ich dachte immer, dass das auf die vorige Matriarchin zuruckging, Urgro?mutter Sarah«, meinte ich langsam.
»Ich denke, es ist komplizierter«, sagte Rafe. »Ich habe mich durch ein paar Begleittexte gewuhlt: inoffizielle Familiengeschichte, personliche Tagebucher und dergleichen. Es scheint, dass andere, vernunftigere Moglichkeiten zugunsten der Abscheulichen au?er Acht gelassen wurden.«
»Was zum Beispiel?«, fragte ich.
»Die Freundlichen«, sagte William. »Die Brigade der Unendlichkeit, die Zeitmeister. All die ublichen Verdachtigen, alle der Menschheit gegenuber viel freundlicher eingestellt als eine Bande degenerierter Seelenfresser. Aber irgendjemand hoch in der Familienhierarchie bestand auf den Abscheulichen, gegen jede Vernunft. Ich muss mich fragen … ob es vielleicht einen Verrater innerhalb der Familie gab. Vielleicht jemanden, der schon von den Abscheulichen ubernommen war.«
Meine Nackenhaare stellten sich auf. »Ein infizierter Drood, mitten im Herz der Familie? Konnte es noch andere geben, mitten unter uns?«
»Das ist moglich«, sagte Rafe. »Wir sind mit den Jahren zu selbstgefallig geworden. Der Waffenmeister konnte etwas entwickeln, damit wir so etwas wie einen Test haben.«
»Ich werde mit ihm reden«, sagte ich. »Einen Verrater in der Familie …! Vielleicht sind deshalb bei Nazca so unerwartet viele Drohnen aufgetaucht. Sie wussten, dass wir kommen wurden. Jemand hat ihnen einen Tipp gegeben.«
»Wird irgendjemand vermisst, seit ihr wieder da seid?«, fragte Rafe.
»Nur Janitscharen Jane, aber … Nein. Warte mal einen Moment.« Ich zog eine Grimasse. Mir gefiel nicht, wo meine Gedanken mich hinfuhrten. »Sie war gerade erst von einem Damonenkrieg zuruckgekehrt, als ich sie fand. Sie sagte, sie sei die einzige Uberlebende gewesen … und jetzt muss ich mich fragen, warum.«
Unsere Kopfe fuhren herum, als hinter uns plotzlich ein leises, verstohlenes Gerausch zwischen den Bucherstapeln zu horen war, nicht sehr weit weg. Ich war im gleichen Moment auf den Beinen, tauchte durch die turmhohen Bucherregale, Rafe und William dicht auf den Fersen. Und da war der Blaue Elf mit einem Stapel Bucher in den Armen. Er versuchte nicht einmal, sich zu verstecken oder wegzulaufen. Er lachelte uns drei schnell an und gab sich Muhe, besonders stillzustehen.
»Hallo!«, sagte er. »Achtet gar nicht auf mich. Ich bin nur hier, um mir was Einfaches zu lesen zu holen.«
»Das ist die alte Bibliothek«, sagte ich. »Die ist fur jeden gesperrtes Terrain, aber besonders fur dich.«
»Wie ausgesprochen unfreundlich«, erwiderte der Blaue Elf. »Man konnte glatt glauben, du misstraust mir.«
»Das sind verbotene Texte«, grollte William. »Selten und wichtig und uberaus wertvoll. Leg sie dorthin. Vorsichtig.«
»Naturlich, naturlich«, sagte der Blaue Elf. Er lachelte immer noch sein strahlendes und ungetrubtes Lacheln. Er lie? den Bucherstapel langsam und vorsichtig auf den Boden sinken und hielt dann beide Hande hoch, um uns zu zeigen, dass sie leer waren, bevor er von dem Haufen zurucktrat. »Konnen wir uns jetzt wieder ein bisschen beruhigen, bitte? Ich meine, wir sind doch alle gute Freunde, oder? Wir sind alle auf derselben Seite?«
Ich schenkte ihm meinen besten morderischen Blick. Ich hatte immer angenommen, dass der Blaue Elf hauptsachlich deshalb mit ins Herrenhaus gekommen war, weil er glaubte, er musse sich vor seinen zahlreichen Feinden schutzen. Wie den Vodyanoi-Brudern. Und nur in zweiter Linie, um gute Werke fur die Erlosung seiner befleckten Seele zu tun. Immerhin, selbst wenn man alles bedachte, war der Blaue Elf doch immer noch halb Elb und einem Elben kann man niemals trauen.
»Wonach genau suchst du?«, fragte ich.
»Ich war interessiert an allem, was deine Familie mit den Elben zu schaffen hatte«, erwiderte der Blaue Elf sofort. »Ich wei? wirklich nicht viel uber Papas Familienseite. Vollblutelben sprechen nicht mit Halbblutern. Unsere pure Existenz ist ein Tabu fur sie. Aber als ich dich hier gesehen habe, Eddie, zwischen all den Deinen, hat mich das neugierig auf meine eigene Familie gemacht. Du kennst deine Wurzeln, wei?t, wer du bist und woher du kommst. Das wusste ich nie.«
Jedem anderen hatte ich geglaubt, aber das hier war der Blaue Elf - also …
»Das nachste Mal fragst du erst um Erlaubnis«, sagte ich. »Wie bist du uberhaupt hier hereingekommen? Die Schutzschilde, die ich rund um das Portrat installiert habe, hatten dich bei lebendigem Leib fressen sollen.«
»Oh, ich bitte dich«, sagte der Blaue Elf mit einem leichten Wedeln seiner eleganten Hand. »Ich bin immerhin ein Profi. Ich bin schon von besser bewachte Orte wieder weggekommen, als du noch nicht geboren warst.« Und dann zogerte er und sah mich seltsam an. »Ich habe unfreiwillig einiges von dem faszinierenden Diskurs des Bibliothekars uber die Kandarianer gehort. Mir ist, als hatte ich etwas uber sie gelesen und ihre Beziehung zu den Elben. Der Elbenhof war schon alt, als die Kandarianer mit dem Aufbau ihres sehr unerfreulichen Imperiums begannen und es wird gesagt, dass es die Elben waren, die die Kandarianer den Abscheulichen vorgestellt haben, um sie damit zu vernichten. Hute dich vor den Elben, Eddie, sie haben immer eigene Plane.«
Er drehte sich um und ging davon. Ich sah ihm hinterher und fragte mich, ob er vielleicht, in seiner sehr seltsamen Art, etwas sehr Wichtiges uber sich selbst hatte sagen wollen.
Ich verlie? die alte Bibliothek mit einer Menge Gedanken im Kopf. Ich hatte eine Menge wichtiger Sachen gelernt, die mich beinahe alle erschreckt hatten. Doch das alles uberzeugte mich nur noch mehr davon, dass ich mit meinem geheimen Plan fortfahren musste. Wenn ich einen Krieg gegen Hungrige Gotter, bei dem die gesamte Realitat auf dem Spiel stand, zu fuhren hatte, dann wollte ich wirklich ernst zu nehmende Unterstutzung haben. Zuerst brauchte ich einen Ort, an dem mich niemand storen wurde. Denn ich wollte Merlins Spiegel in einer Art benutzen, mit dem absolut jeder in der Familie ganz und gar nicht einverstanden sein wurde. Also verlie? ich das Herrenhaus und ging in die alte Kapelle, die vom Haus aus gesehen in einem toten Winkel lag. Jacob hatte hier herumgespukt, bis ich ihn wieder in die Familie gebracht hatte. Die Kapelle war fur Familienmitglieder jahrhundertelang verboten gewesen, weil Jacob hier wohnte, und wahrend er moglicherweise die Kapelle verlassen hatte, hatte sich niemand die Muhe gemacht, den Bann zu losen.
Ich ging vorsichtig auf die Kapelle zu, aber die dicke Matte aus Efeu, die die holzerne Tur halb bedeckte, ruhrte sich nicht im Geringsten. Als Jacob noch hier gehaust hatte, hatte der Efeu als eine Art Fruhwarnsystem fungiert, um sicherzustellen, dass er ungestort blieb - aber jetzt war er weg und der Efeu war einfach nur Efeu. Die Tur stand wie immer halb offen und ich musste mich mit der Schulter gegen das schwere Holz stemmen, um hineinzukommen. Die Tur kratzte laut uber den blo?en Steinboden und lie? bei?ende Staubwolken aufwirbeln. Ich hustete ein paar Mal und rief Jacobs Namen. Ich hoffte halb er sei da … doch niemand antwortete.
Jacob war weg.
Die Kirchenbanke waren immer noch an der gegenuberliegenden Wand aufgestapelt und bedeckt von staubigen Spinnweben. Der gro?e schwarze Lederarmsessel stand immer noch vor dem altmodischen Fernseher. Es war nur zu einfach, sich an Jacob zu erinnern, wie er sich bequem in seinen Sessel gelummelt hatte, und sich die Erinnerungen an alte Fernsehsendungen auf einem Bildschirm angesehen hatte, an dem nichts mehr funktionierte. Der alte Kuhlschrank stand immer noch neben dem Sessel, aber als ich ihn offnete, war er leer. Ich schloss die Tur wieder und setzte mich auf den Sessel. Das alte Leder krachte klagend unter meinem Gewicht.
Ich wunschte mir, dass Jacob immer noch da ware. Vielleicht ware er der Einzige gewesen, der dazu