imstande war, mir das auszureden, was ich zu tun beabsichtigte. Ich wollte keinen Krieg fuhren. Mir fehlte die Erfahrung. Die Nazca-Ebene hatte das bewiesen. Ich wollte lieber verdammt sein, als noch mehr Mitglieder der Familie wegen mir sterben zu sehen. Ich brauchte die Hilfe und die Unterstutzung von Experten, von wirklichen Kriegern und Taktikern, die mir helfen konnten, die Schlachten im kommenden Krieg zu planen. Und weil es nicht sehr wahrscheinlich war, dass ich solche Experten hier in der Gegenwart fand, musste ich eben in der Vergangenheit nach ihnen suchen - oder in der Zukunft.
Der Waffenmeister hatte mir verboten, das zu tun. Aber ich war ja noch nie gut darin gewesen, auf das zu horen, was mir meine Familie sagte.
Ich nahm Merlins Spiegel heraus. Ich sah ihn eine Weile einfach an und drehte und wendete ihn in meinen Handen. Ich war nicht blind gegenuber den Risiken dessen, was ich zu tun gedachte. Aber die Familie musste beschutzt werden. Ich schuttelte den Spiegel zu voller Gro?e und er hing vor mir in der Luft. Seine Oberflache bestand aus schimmernder Leere.
»Offne dich selbst in die Vergangenheit«, sagte ich entschlossen. »Und finde mir den besten Krieger, den besten Strategen, um mir im kommenden Krieg zu helfen. Finde mir einen guten und loyalen Mann, jemanden, dem ich vertrauen kann. Finde mir das perfekte Individuum, um zu tun, was ich brauche.«
Der Spiegel fokussierte sich im Bruchteil einer Sekunde und zeigte mir ein klares Bild von - Jacob Drood. Zuerst dachte ich, der Spiegel hatte mich missverstanden und einfach nur den Geist von Jacob gezeigt, weil er mir im Kopf herumspukte. Aber je langer ich in das Bild sah, desto deutlicher wurde, dass das Bild, das ich sah, nicht irgendein Geist war. Das war der wirkliche Jacob, der Lebendige - vor langer, langer Zeit. Er sah so viel junger aus, und weniger kompliziert.
Wahrend ich das Bild anstarrte, brach es mit einem Mal in Bewegung aus und ich sah durch ein Fenster in eine Vergangenheit, in der der lebende Jacob eine kichernde junge Frau in der Kapelle herumscheuchte. Er grinste breit, jagte sie in die korrekt aufgestellten Kirchenbanke hinein und wieder hinaus und das Madchen blieb ihm sorgfaltig nur gerade so viel voraus, dass er ermutigt wurde. Ihre Kleidung suggerierte, dass es sich um das spate achtzehnte Jahrhundert handelte, auch wenn ich noch nie gut in Geschichten und Daten gewesen war.
Ich musste irgendein Gerausch verursacht haben, weil sie beide mit einem Mal innehielten und scharf in meine Richtung sahen. Sie schrien nicht auf oder schienen besonders erschrocken oder verwirrt, immerhin waren sie Droods. Ich konnte die goldenen Reifen um ihren Hals sehen.
Trotzdem stellte Jacob sich schnell zwischen die junge Frau und den Mann, der sie durch ein Loch in der Luft hindurch anstarrte. Ich hielt meine Hande hoch, um zu zeigen, dass sie leer waren, und schenkte ihnen mein beruhigendstes Lacheln.
»Ist schon in Ordnung, Jacob«, sagte ich schnell. »Es ist in Ordnung, ich bin von der Familie. Ich bin Edwin Drood und spreche aus der Zukunft mit dir. Dem einundzwanzigsten Jahrhundert, um genau zu sein. Die Familie braucht dich, Jacob.«
»Wenn Ihr von der Familie seid, so zeigt mir Euren Torques!«, meinte er.
Ich zog mein Hemd auf, um ihm meinen Reifen um den Hals zu zeigen. Jacob hob eine Augenbraue.
»Ein silberner Torques, kein goldener. Hat der Familieneifer so nachgelassen, in Eurer zukunftigen Zeit?«
»Es gab einige Anderungen«, sagte ich. »Aber die Familie besteht immer noch. Du wurdest immer noch erkennen, wer wir sind und was wir tun. Die Welt muss immer noch vor vielen Gefahren beschutzt werden.«
Jacob nickte langsam, dann drehte er sich zu der jungen Frau um, klatschte ihr fest aufs Hinterteil und bugsierte sie zur Kapellentur hinaus. »Fort mit dir, Jungfer. Das ist eine Sache fur Manner.«
Sie kicherte, gab ihm ein letztes keckes Winken und eilte einigerma?en glucklich aus der Kapelle. Ich machte mir eine gedankliche Notiz daruber, Jacob zu sagen, dass er das in meiner Zeit besser nicht versuchte.
»Das hubscheste Hinterteil im ganzen Herrenhaus«, sagte Jacob frohlich.
»Kann sein«, sagte ich. »Aber warum die Kapelle?«
»Weil die Familie mich aller anderen Gemacher verwiesen hat«, sagte Jacob. »Mir scheint, als sei die Moral deiner Zeit doch sehr geandert und Vergnugen nicht mehr in Mode.« Jacob sah mich augenzwinkernd an. »Aus der Zukunft, sagt Ihr. Darf meine Wenigkeit fragen, wie es kommt, dass Ihr hier seid und vermogt, mit mir zu sprechen?«
»Merlins Spiegel«, sagte ich und Jacob nickte sofort.
»Ich hatte gedacht, dass dieses tuckische und gefahrliche Objekt bereits lange verloren sei und dies zu Recht. Die Euren mussen in der Tat verzweifelt sein, auf ein solches Ding zu vertrauen.« Jacob sah mich nachdenklich an. »Wie kommt es, dass ein Mann aus solch zukunftigen Zeiten mein Gesicht kennt und mich beim Namen ruft? Bin ich wohl beruhmt und eine Legende in unserer Familie?«
»So in der Art«, sagte ich. »Du musst mit mir in die Zukunft kommen, Jacob, um der Familie zu helfen. Wirst du mitkommen?«
»Zeitreisen sind verboten, nur die Matriarchin kann es ausdrucklich erlauben«, sagte Jacob langsam. »Aber sagt mir, junger Herr, wie geht es in der Welt Eurer Zeit zu? Was gibt es Neues an Wundern und Mirakeln?«
»Komm und find's raus.«
»Ein Verfuhrer!«, meinte Jacob lachelnd. »Ich sollte gestehen, dass die Familie in dieser Zeit nicht recht glucklich ist mit mir. Ich fuhle mich in meiner Zeit nicht wohl platziert. Vielleicht kann etwas Abstand meiner Familie ermoglichen, mich mit freundlicheren Augen zu betrachten. Nun! Alles fur die Familie, junger Edwin!«
Ich streckte die Hand aus; durch das Portal und durch die Jahre und Jacob nahm sie. Es war ein echter Schock, seine Hand in Fleisch und Blut in meiner zu fuhlen. Ich zog ihn durch Merlins Spiegel, aus seiner Zeit in meine hinuber und das Tor schloss sich sofort. Jacob lie? meine Hand los und sah sich um. Er war ganz offensichtlich geschockt vom Zustand der Kapelle, die (fur ihn) von einem Moment auf den anderen von dem ordentlichen Heiligtum zu dem schmutzigen, verlassenen und hab verfallenen Ort wurde, der sie in meiner Gegenwart war. Er wollte etwas sagen - aber in diesem Moment erschien Jacobs Geist aus dem Nichts und schwebte uber uns. Er wies mit einer zitternden, geschrumpften Hand auf mich. Seine Stimme hallte heulend in meinen Kopf wider wie die einer verdammten Seele.
Er verschwand. Jacob packte mich fest am Arm. »Was im Namen unseres Herrgotts war
»Ich glaube nicht, dass ich dir das sagen kann«, sagte ich nach einem Moment. »Das muss ich selbst noch herausfinden.«
Ich loste seine Finger von meinem Arm und benutzte dann Merlins Spiegel, um ein Portal zwischen der Kapelle und der alten Bibliothek zu offnen. Ich rief nach Rafe und er kam sofort angetrabt.
»Das hier ist Jacob Drood«, sagte ich munter. »Ja, genau, der Jacob. Ich habe ihn aus der Vergangenheit geholt, um uns zu helfen. Du musst fur mich nach ihm sehen, ihn auf den neuesten Stand bringen und ihm alles erzahlen, was er wissen muss; und nein, ich werde zu diesem Zeitpunkt keine Fragen beantworten. Mach es einfach, okay?«
»Du machst dir richtig gerne Arger, stimmt's?«, meinte Rafe. »Warum erschie?t du nicht einen der Albatrosse hier und bringst es hinter dich? Komm mit mir Jacob, und ich tue mein Bestes, um das unglaubliche Chaos zu erklaren, in das du hier hereingeraten bist.«
»Ah, schone, neue Welt, die solche Geheimnisse birgt«, sagte Jacob trocken. »Es scheint mir, als sei die Familie dieser Zeiten nicht gar so anders als die Familie, die ich kenne.«
Ich schob ihn durch das Portal und schloss den Spiegel, bevor einer von ihnen irgendwelche seltsamen Fragen stellen konnte. Ich hatte den Spiegel gebeten, mir den passendsten Kandidaten zu zeigen und er hatte Jacob gewahlt. Also war er wohl der richtige Mann fur den Job. Er musste es einfach sein. Ich seufzte schwer, sah mich in der leeren Kapelle um und hob meine Stimme in der staubigen Stille.
»Okay, Jacob, du kannst jetzt rauskommen.«
Und plotzlich war er da, sa? zusammengesunken in seinem Fernsehsessel, eine magere spektrale Prasenz in einem schmutzigen T-Shirt und ausgebeulten Shorts. Sein abstehendes Haar floss um seinen knochigen Kopf, als ware er unter Wasser und seine Augen waren dunkel und brutend. Er warf mir einen bosen Blick zu, aber der kam nicht von Herzen. Zum ersten Mal, seit ich ihn kannte, sah er alt, mude und geschlagen aus.
»Warum hast du das getan, Edwin? Was hast du geglaubt, dass du tust? Warum hast du mir nicht gesagt, dass du planst, mein lebendes Selbst aus dem Spiegel zu rei?en?«
»Der Spiegel Merlins hat behauptet, dass du der bist, den die Familie braucht, um diesen Krieg zu