Wenn du also lieber hierbleiben willst, dann verstehe ich das ziemlich gut. Ich wurde selbst hierbleiben, wenn ich jemanden fande, der bescheuert genug ist, das an meiner Stelle zu tun.«
Molly kuschelte meinen Arm fest an ihre Seite. »Glaubst du wirklich, ich wurde dich ohne mich irgendwohin gehen lassen?«
Ich grinste. »Ich glaube, das hat eher etwas mit all den neckischen Sachen zu tun, die ich benutze.«
»Du romantischer kleiner Teufel, du. Sag mir mehr schmeichelhafte Sachen mit deiner Silberzunge, ja?«
»Fur immer vereint, wie ist es damit?«
»Fur immer und immer und immer.«
Ich fuhrte sie in den langen Hangar hinein. Es ist ein riesiger Ort, vollgepackt mit all den fruhen technologischen Wundern, die uber die Zeitalter von den Waffenmeistern der Familie als fixe Ideen gebastelt wurden. Man musste es zugeben: Sowohl das Museum als auch seine Ausstellungsstucke hatten schon bessere Tage gesehen. Die inneren Wande waren zerbrochen und trube, gedampftes Sonnenlicht schien durch die Glasscheiben, die von Alter und Vernachlassigung duster und fleckig geworden waren. Es war nur mehr ein Lagerraum fur Sachen, deren Zeit abgelaufen war.
Seltsame und wunderliche Artefakte, die einmal ihrer Zeit voraus gewesen und jetzt uberholt und vergessen waren.
Wie zum Beispiel die 1880er Mondlanderakete, die nur einmal benutzt worden war. Und das uberdimensionale Grabschiff, eigentlich nur eine Stahlkabine mit einem verdammt gro?en diamantenbesetzten Bohrer, der sich an der Nase des Schiffs erhob. Es war konstruiert worden, um das Innere der Erde in jener Zeit zu erforschen, als die Leute noch daran glaubten, dass die Erde hohl sei. Das riesige Schiff vor uns war eigentlich Graber II, das gebaut worden war, damit die Familie nach Graber I suchen konnte. Am Ende war es nie benutzt worden, weil wir den Tunnel, den es gegraben hatte, wieder hatten zuschutten mussen, als etwas wirklich Gro?es und Widerliches aus den Tiefen versucht hatte, es als Ausgang zu benutzen.
»Und wir hatten mal so eine riesige mechanische Spinne«, erzahlte ich, als ich Molly die Exponate zeigte. »Wir bekamen sie von einem verruckten amerikanischen Genie, damals im Wilden Westen. Ich bin aber nicht ganz sicher, was damit passiert ist. Ich glaube, sie ist weggelaufen.«
»Jungs und ihre Spielzeuge«, sagte Molly und lachelte entzuckt. »Als Nachstes wirst du mit der Gro?e deiner Maschinen angeben. Warum behaltet ihr all das Zeug, wenn ihr es doch nie wieder benutzt?«
»Weil die Familie nichts mehr loslasst, was ihr einmal gehort. Au?erdem: Das ist Geschichte. Es ist interessant, um nicht zu sagen, lehrreich. Und man wei? nie, wann man so etwas wieder brauchen kann. Besser, etwas zu haben und nicht zu gebrauchen, als etwas zu brauchen und nicht zu haben. Wie den Zeitzug. Ich erinnere mich nur daran, dass er hier ist, weil ich gern von solchen Dingen gelesen habe, als ich noch ein Kind war.«
Wir waren nicht allein im Hangar. Ungefahr ein Dutzend Manner und Frauen in dreckigen Overalls wuselten zwischen den Exponaten hin und her, bastelten daran herum oder polierten und sauberten sie so grundlich, dass sie wahrscheinlich nur einen Zentimeter im Leben schafften. Keiner von ihnen achtete auf uns, solange wir einen respektvollen Abstand einhielten. Molly wies auf sie und hob eine Augenbraue.
»Enthusiasten«, sagte ich. »Sie alle melden sich freiwillig, um hier in ihrer Freizeit zu arbeiten. Alle sind besessen von einer bestimmten Periode oder einem Gerat. Sie halten die Exponate aus Spa? an der Freud' in Ordnung. Wenn du auch nur das leiseste Interesse am Objekt ihres Stolzes oder ihrer Freude zeigst, kauen sie dir ein Ohr ab.«
»Also, dann lass mich mal sehen, ob ich das richtig verstanden habe«, sagte Molly. »Dieser Zeitzug, den du benutzen willst: Seit Ewigkeiten hat ihn keiner aus diesem Hangar geholt, er ist verdammt gefahrlich, selbst wenn er super funktioniert und die einzige Garantie, dass er uberhaupt funktioniert, sind irgendwelche Amateurtechniker? Hab ich noch was vergessen? Das erfullt mich nicht gerade mit vollem Vertrauen, Eddie.«
Wir hatten den Zeitzug erreicht, und die schiere Gro?e des Dings lie? alle anderen Ausstellungsstucke zwergenhaft klein erscheinen. Der Zeitzug selbst bestand aus einer gro?en, schwarzen, altmodischen Dampflok, glanzend und schimmernd wie die Nacht, mit luxuriosen Silber- und Messingbeschlagen, die alle zu einem warmen Glanzen gewienert und poliert worden waren. Ein halbes Dutzend Pullmann-Waggons, in warmem Schokoladenbraun und Sahnewei? angestrichen, waren hinter den Kohlewagen gehangt. Ein schneller Blick hinter die zugezogenen Fenster der Luxus-Waggons enthullte eine vollig andere Sitzwelt, deren Qualitat den Orientexpress zu seinen besten Zeiten beschamt hatte. Die Familie hatte noch nie an halbe Sachen geglaubt.
Die gro?e schwarze Lokomotive turmte sich uber uns auf wie ein schlafendes Monster, das nur darauf wartete, geweckt zu werden. Im Fuhrerhaus erschien auf einmal ein gro?es, schlaksiges Individuum und lachelte strahlend auf uns herab.
»Ach hallo!«, sagte er. »Besucher, wie schon! Wir bekommen ja nicht viel Besuch, der alte Ivor und ich. Ivor ist die Maschine, wisst ihr.«
»Ja«, sagte ich. »Ich hatte so das Gefuhl, das sei sie. Molly, erlaube mir, dir den einzigen wirklichen Experten fur Dampfloks der Familie vorzustellen: Tony Drood. Der Letzte in einer langen Reihe solcher Enthusiasten, stimmt's, Tony?«
»Aber ja«, sagte er und kletterte dann behande die glanzende Stahlleiter an der Seite des Fuhrerhauses herunter zu uns. Er musste Ende funfzig sein, auch wenn sein Haar verdachtig schwarz geblieben war. Er trug ziemlich dreckige Arbeitskleidung und seine Hande und sein Gesicht trugen Schmutzflecken von der Arbeit, mit der er gerade beschaftigt war. Endlich stand er vor uns, lachelte und legte verlegen den Kopf etwas schief. »Eine Ehre, euch beide zu treffen, Eddie und Molly. Ich kann mich nicht erinnern, wann uns das letzte Mal jemand Wichtiges besuchen kam, was, Ivor, alter Junge?«
Er hob die Hand und tatschelte die gewolbte schwarze Stahlwand.
»Ivor ist sehr … beeindruckend«, sagte Molly und Tony strahlte sie an, als hatte sie gerade einen Dorn aus seiner Pfote gezogen.
»Beeindruckend ist er in der Tat, Miss Molly, und das ist nicht gelogen. Ich habe es zu meiner Aufgabe gemacht, dass er fleckenfrei bleibt und jederzeit perfekt funktionstuchtig ist, damit es losgehen kann, sobald ich Bescheid bekomme.«
»Jederzeit bereit, uberall hinzufahren?«, fragte ich. »Selbst in die ferne Zukunft?«
»Jede Zeit steht dir zur Verfugung«, sagte Tony ein wenig gro?spurig. »Ivor kann dich an den Anfang der Welt bringen oder jede Zeitlinie die Zukunft hinauf. Du wei?t naturlich, dass es parallele Zukunftsstrange gibt? Aber naturlich wisst ihr das - wir haben ja alle
»Aber er ist schon etwas … altmodisch, oder?«, meinte Molly.
Tony warf ihr einen bosen Blick zu. »Hor nicht auf sie, Ivor! Sie ist ein Banause und wei? es nicht besser. Miss Molly, Sie sollten wissen, dass diese Maschine in einer Zeit gebaut wurde, in der man Fachwissen hatte und sein Handwerk ebenso wie Effizienz noch beherrschte. Das ist kein modernes, seelenloses Gerat, das ist Ivor, der Zeitzug! Ein komfortabler und zivilisierter Weg, in der Zeit zu reisen. Ich sage Ihnen, Miss Molly, Ivor konnte die Familie immer noch stolz machen, wenn er nur eine winzige Chance bekame!«
»Lustig, dass du das sagst, Tony«, sagte ich. »Wie sich herausgestellt hat, bist du in der Lage, mir und der Familie einen gro?en Dienst zu erweisen. Ich denke, es ist allerhochste Eisenbahn, dass Ivor ein kleiner Trip erlaubt wird.«
Tony grinste so breit, dass es ihm in den Wangen wehtun musste und rang tatsachlich mit den Handen vor Begeisterung. »Sag nur ein Wort, Edwin! Ein Leben lang habe ich auf die Chance gewartet, mit dem alten Jungen rauszufahren und zu zeigen, was er drauf hat! Keiner in der Familie hat eine Nutzung des Zeitzugs autorisiert, seit mein Gro?vater das letzte Mal mit ihm fuhr und das war am Ende des neunzehnten Jahrhunderts.« Sein Gesicht wurde lang und er sah etwas schuldbewusst zu Molly und mir. »Das war schon eine ungluckliche Sache damals. Irgendwie schon ein Desaster, um ehrlich zu sein. Die vorvorvorletzte Matriarchin, Catherine Drood war's. Sie hatte die fixe Idee, dass einer der Alten wieder erwachte, irgendwo unten auf irgendeiner obskuren Insel auf der Sudhalbkugel der Erde. Und das Einzige, was ihr einfiel, war, dass Gro?vater mit einem Team von Experten den neu entwickelten Zeitzug in die jungste Vergangenheit fahren sollte, um den Alten zu vernichten, bevor er so richtig aufwachen konnte. Naturlich ging das alles furchterlich schief. Es stellte sich heraus, dass die Energien von Ivors Ankunft den Alten uberhaupt erst weckten. Eins fuhrte zum anderen und am Ende hatten Gro?vater und sein