mal einen Krieger, der behauptete, seine Handschuhe waren aus Mausehaut, aber das kaufte ich ihm nicht ab.« Dann lachte er, als ware die ganze Sache ein Scherz, und zog sich von den Gitterstaben zuruck. Wir horten die Pritsche knarren, als er sich wieder hinlegte. Das war anscheinend fur die Maus das Signal zum Gehen. Sie fra? zu Ende, was sie zwischen den Pfoten hielt, schnuffelte an dem, was ubrig geblieben war (hauptsachlich Brot mit Senf), schaute uns an, als wollte sie sich unsere Gesichter einpragen, damit sie sie wieder erkannte, wenn wir uns spater begegneten Dann machte sie kehrt und huschte auf dem Weg davon, auf dem sie gekommen war, diesmal ohne zu verharren und die Zellen zu uberprufen. Die Eile erinnerte mich an das wei?e Kaninchen in den Abenteuern von Alice im Wunderland, und ich lachelte. Sie verharrte nicht bei der Tur zur Gummizelle, sondern verschwand darunter. Die Gummizelle hatte weiche Wande - fur Leute, deren Gehirn ein wenig weich geworden war. Wenn wir die Zelle nicht fur den eigentlichen Zweck brauchten, bewahrten wir darin Reinigungsutensilien und ein paar Bucher auf (uberwiegend Western von Clarence Mulford, aber auch ein Buch - das nur bei besonderen Anlassen verliehen wurde - mit einer illustrierten Geschichte, in der Popeye, Pluto und sogar Wimpy, der Hamburger, sich abwechselnd beharkten und Olive Oyl vernaschten). Es gab auch Utensilien fur kunstlerische Arbeiten darin, einschlie?lich der Buntstifte, die Delacroix spater so gut benutzte. Nicht, dass das schon jetzt unser Problem gewesen ware; dies war fruher, halten Sie sich das vor Augen. In der Gummizelle war auch die Zwangsjacke, die niemand tragen wollte - wei?, aus doppelt genahtem Segeltuch und mit den Knopfen und Schnallen und Riemen am Rucken.

Wir alle wussten, wie wir ein Problemkind im Nu in diese Jacke stecken konnten. Sie wurden nicht oft gewalttatig, unsere verlorenen Jungs, aber wenn sie das wurden, Bruder, dann wartete man nicht darauf, bis sich die Lage von selbst besserte.

Brutal griff in die Schublade des Pults und nahm das gro?e, in Leder gebundene Buch mit dem golden aufgestempelten Wort BESUCHER darauf. Normalerweise blieb dieses Buch von einem Monat zum nachsten in der Schublade. Wenn ein Gefangener Besuch bekam - es sei denn, es war ein Anwalt oder Geistlicher -, dann ging er hinuber zu dem Raum neben der Kantine, der diesem Zweck diente. Die Arkade nannten wir diesen Raum, ich wei? nicht, warum.

»Was, zum Teufel, machst du da?« fragte Dean Stanton und spahte uber die Glaser seiner Brille hinweg, als Brutal das Buch aufklappte und nach Besuchern von Mannern blatterte, die jetzt tot waren.

»Ich erfulle Vorschrift neunzehn«, sagte Brutal und fand die aktuelle Seite. Er nahm einen Bleistift, beleckte die Spitze - eine eklige Angewohnheit, die er einfach nicht aufgeben konnte - und schickte sich zum Schreiben an.

Vorschrift 19 besagte: Jeder Besucher von Block E hat einen gelben Ausweis der Verwaltung vorzuzeigen und ist ohne Ausnahme im Besucherbuch zu vermerken.< »Er ist ubergeschnappt«, sagte Dean zu mir.

»Er zeigte uns den Ausweis nicht, aber ich werde das diesmal durchgehen lassen«, sagte Brutal. Er leckte noch einmal an der Bleistiftspitze und schrieb dann 21:49 Uhr in die Spalte BEGINN DER BESUCHSZEIT

»Klar, warum nicht, die gro?en Bosse machen vielleicht bei Mausen Ausnahmen«, sagte ich. »Naturlich tun sie das«, stimmte Brutal zu. Er drehte den Kopf, schaute auf die Wanduhr hinter dem Pult und schrieb dann 22:01 Uhr in die Spalte ENDE DER BESUCHSZEIT. Die langere Spalte zwischen den Uhrzeiten war fur NAME DES BESUCHERS bestimmt Nach einer Weile angestrengten Nachdenkens - vermutlich, um zu uberlegen, wie es geschrieben wurde, denn ich bin uberzeugt, dass der Gedanke schon in seinem Kopf war - schrieb Brutus Howell sorgfaltig Steamboat Willy, wie die meisten Leute in jenen Tagen Mickey Mouse nannten. Das lag an dem ersten Tonfilm-Comic, in dem sie die Augen ver­drehte, mit den Huften wackelte und an der Schnur der Pfeife im Ruderhaus des Dampfschiffs zog. »So«, sagte Brutal, klappte das Buch zu und legte es in die Schublade zuruck.

»Alles ordnungsgema? erledigt«

Ich lachte, aber Dean, der sogar ernst blieb, wenn er einen Scherz erkannte, runzelte die Stirn und

polierte heftig seine Brillenglaser.

»Du wirst Arger bekommen, wenn jemand das sieht.« Dean zogerte und fugte hinzu: »Der falsche

Jemand.« Er zogerte wieder, schaute sich kurzsichtig um, als erwarte er fast, dass den Wanden Ohren

gewachsen waren, bevor er zu Ende sprach: »Jemand wie das Arschloch Percy Wetmore.«

»Hm«, sagte Brutal. »Der Tag, an dem Percy Wetmore hier an diesem Pult sitzt wird der Tag meiner

Kundigung sein.«

»Du wirst nicht zu kundigen brauchen«, sagte Dean. »Sie werden dich feuern, weil du Blodsinn ins

Besucherbuch geschrieben hast - wenn Percy das Richtige in die richtigen Ohren flustert Du wei?t,

dass er das kann.«

Brutal blickte finster drein, sagte jedoch nichts. Ich nahm an, dass er spater ausradieren wurde, was

er geschrieben hatte. Und wenn nicht, dann wurde ich es tun.

Am nachsten Abend, nachdem wir Bitterbuck und dann President hinuber zu Block D zum Duschen

gebracht hatten - die Haftlinge dort waren zuvor eingeschlossen worden -, fragte mich Brutal, ob wir

nicht mal nach Mickey Mouse dort in der Gummizelle schauen sollten.

»Ich nehme an, das sollten wir tun«, erwiderte ich. Wir hatten am vergangenen Abend viel uber diese

Maus gelacht aber ich wusste, wenn Brutal und ich sie dort in der Gummizelle fanden - besonders

wenn sie eine der gepolsterten Wande angeknabbert hatte -, wurden wir sie totschlagen. Es war

besser, den Kundschafter zu toten, ganz gleich, wie amusant er sein mochte, als mit all den vielen

Pilgern leben zu mussen, die ihm folgten. Und, ich sollte es Ihnen nicht sagen, aber keiner von uns

war sehr zimperlich bei einem kleinen Mause-Mord. Schlie?lich wurden wir vom Staat dafur bezahlt

Ratten zu toten.

Aber wir fanden Steamboat Willy alias Mickey Mouse, spater bekannt als Mr. Jingles, nicht in dieser

Nacht weder in den weichen Wanden nistend noch hinter irgendwelchem Gerumpel, das wir in den

Gang hinaus schleppten. Es war eine Menge Gerumpel, mehr, als ich erwartet hatte, denn wir hatten

die Gummizelle lange nicht benutzt

Das wurde sich mit der Ankunft von William Wharton andern, aber das wussten wir zu diesem

Zeitpunkt naturlich noch nicht Gluck fur uns.

»Wo ist sie geblieben?« fragte Brutal schlie?lich und wischte sich mit einem blauen Halstuch den

Schwei? vom Nacken. »Kein Loch, keine Spalte, naturlich das da, aber ...« Er wies auf den

Wasserabfluss im Boden. Unterhalb des Gitters, durch das die Maus nicht hindurch konnte, war ein

Drahtnetz, durch das nicht einmal eine Fliege hatte schlupfen konnen. »Wie ist die Maus

reingekommen? Wie ist sie rausgekommen?«

»Keine Ahnung«, sagte ich.

»Steamboat Willy ist hier gewesen, nicht wahr? Ich meine, wir drei haben sie gesehen.«

»Ja, sie verschwand unter der Tur. Sie musste sich hineinzwangen, aber sie schaffte es.«

»Menschenskind«, sagte Brutal. »Es ist gut, dass die Straflinge sich nicht so klein machen konnen,

nicht wahr?«

»Da hast du recht«, sagte ich und lie? meinen Blick ein letztes Mal auf der Suche nach einem Loch,

einer Spalte oder sonst was uber die gepolsterten Wande schweifen. »Komm, lass uns gehen.«

Steamboat Willy tauchte drei Nachte spater wieder auf, als Harry Terwilliger am Pult Wachdienst

hatte. Percy war ebenfalls da, und er jagte die Maus uber die Grune Meile zuruck mit dem gleichen

Besen, den Dean ebenfalls hatte benutzen wollen. Die Maus entkam Percy mit Leichtigkeit Sie

schlupfte durch den Spalt unter der Tur der Gummizelle und hangte Percy und seinen Besen um eine

Handbreite ab.

Percy fluchte lauthals, schloss die Tur auf und gab all diesen Schei? von neuem von sich. Es war lustig

und unheimlich zugleich, sagte Harry. Percy schwor, dass er die gottverdammte Maus schnappen und

ihr den kleinen Kopf abrei?en wurde, aber das gelang ihm naturlich nicht Verschwitzt und zerzaust

kehrte er eine halbe Stunde spater zuruck, wischte sich Haarstrahnen aus der Stirn, stopfte den Saum

seines Hemds hinten in die Uniformhose und erklarte Harry (der bei dem Radau ruhig hinter dem Pult

sitzen geblieben war und gelesen hatte), dass er einen Streifen Isolierband zwischen Tur und Boden

kleben werde; das wurde das Schadlings-Problem losen.

»Was immer Sie fur das Beste halten, Percy«, sagte Harry und blatterte eine Seite der

Pferdeschmonzette um, die er las. Er sagte sich, Percy wurde vergessen, den Spalt unter der Tur mit

Isolierband zu blockieren, und damit hatte er recht.

8

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