jedenfalls nicht bewusst, bis ich mit dem Schreiben und der Erinnerung begann. Ich nehme an, ich will damit sagen, dass ich nicht wei?, wie weit ich zuruckgreifen muss, um Ihnen von John Coffey zu erzahlen, oder wie lange ich ihn dort in seiner Zelle lassen muss, einen Mann, der so riesig war, dass seine Fu?e nicht nur uber das Ende der Pritsche ragten, sondern bis auf den Boden hinabhingen. Ich will, dass Sie ihn nicht vergessen, in Ordnung? Ich mochte, dass Sie ihn dort sehen, wie er zur Decke seiner Zelle starrt, lautlos weint oder die Hande vors Gesicht schlagt. Ich mochte, dass Sie ihn horen, seine Seufzer, die wie Schluchzen klingen, sein gelegentliches Stohnen. Dies waren nicht die Laute der Qual und Verzweiflung, die wir manchmal in Block E horten, wilde Schreie mit Spuren von Reue darin.
Wie seine feuchten Augen unterschieden sie sich auf eine unergrundliche Art von dem Schmerz, den wir gewohnt waren. In gewisser Weise - ich wei?, wie verruckt dies klingen wird, naturlich wei? ich das, aber es hat keinen Sinn, etwas so Langes wie das hier zu schreiben, wenn man nicht mit ganzem Herzen dabei ist -, also in gewisser Weise war es, als trauerte er um die ganze Welt, ein zu gro?es Gefuhl, um es jemals ganz auszuloschen. Manchmal setzte ich mich zu ihm, sprach mit ihm, wie ich es auch mit all den anderen tat - das Reden war der gro?te und wichtigste Teil unserer Arbeit, wie ich wahrscheinlich schon erwahnt habe -, und versuchte, ihn zu trosten. Ich bezweifle, dass mir das jemals gelang, und ein Teil meines Herzens war froh daruber, dass er litt, und fand, dass er das verdiente. Ich spielte sogar manchmal mit dem Gedanken, den Gouverneur anzurufen (oder Percy damit zu beauftragen - Teufel, der Gouverneur war sein verdammter Onkel, nicht meiner) und um einen Aufschub der Hinrichtung zu bitten. Wir sollten ihn noch nicht rosten, hatte ich gesagt Es ist noch zu schmerzlich fur ihn, qualt ihn noch zu sehr, rumort in seinen Gedarmen, als wurde ein schoner spitzer Stock darin herumgedreht Geben Sie ihm noch neunzig Tage, Euer Ehren, Sir. Lassen Sie ihn weiterhin sich selbst antun, was wir ihm nicht antun konnen.
Es ist dieser John Coffey, den ich Ihnen in Erinnerung halten muss, wahrend ich fortfahre und zu Ende bringe, was ich angefangen habe - dieser John Coffey, der auf seiner Pritsche lag, der aus gutem Grund Angst vor der Dunkelheit hatte, denn ware es nicht denkbar, dass in der Finsternis zwei Gestalten mit blonden Locken auf ihn warteten - keine kleinen Madchen mehr, sondern rachsuchtige Harpyien? Dieser John Coffey, aus dessen Augen immer Tranen rannen wie Blut aus einer Wunde, die niemals heilen kann.
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Der Chief wurde also gegrillt, und der Prasident ging - jedenfalls bis Block C, die Heimat der meisten der hundertfunfzig Lebenslanglichen von Cold Mountain. Das Leben des Prasidenten sollte noch zwolf Jahre dauern.
Er wurde 1944 in der Gefangniswascherei ertrankt Nicht in der Gefangniswascherei von Cold Mountain; Cold Mountain schloss 1933. Ich bezweifle aber, dass es fur die Insassen einen Unterschied machte - Mauern sind Mauern, wie die Warter sagen, und Old Sparky war vermutlich in seiner neuen kleinen Todeskammer genauso todlich, wie er es in Cold Mountain gewesen war. Zuruck zu dem Prasidenten. Jemand druckte ihn mit dem Gesicht voran in einen Bottich mit Flussigkeit fur die chemische Reinigung und hielt ihn fest Als die Warter ihn wieder herauszogen, war sein Gesicht fast vollig verschwunden. Sie mussten ihn anhand seiner Fingerabdrucke identifizieren. Alles in allem ware er vielleicht besser mit Old Sparky dran gewesen ..., aber dann hatte er nicht die zusatzlichen zwolf Jahre gehabt nicht wahr? Ich bezweifle jedoch, dass er sich daruber in der letzten Minute seines Lebens viele Gedanken gemacht hat als seine Lunge zu lernen versuchte, wie man Hexlite und Reinigungslauge atmet.
Der Tater wurde niemals geschnappt. Da arbeitete ich naturlich schon lange nicht mehr im Gefangnis, aber Harry Terwilliger schrieb mir davon. >Sein Urteil wurde in >lebenslanglich< umgewandelt weil er wei? war<, schrieb Harry.
Aber am Ende erwischte es ihn ebenfalls. Ich betrachte es einfach als einen langen Aufschub der Hinrichtung, der schlie?lich abgelaufen war.
Als der Prasident fort war, gab es eine ruhige Zeit fur uns in Block E. Harry und Dean wurden vorubergehend versetzt, und eine Weile .waren nur ich, Brutal und Percy auf der Green Mile. Was eigentlich hie?, nur ich und Brutal, denn Percy zog sich ziemlich zuruck. Ich kann Ihnen sagen, dieser junge Mann war ein Genie darin, Ausreden zu finden, damit er bestimmte Dinge nicht zu tun brauchte. Und oft (aber nur, wenn Percy nicht da war) tauchten die anderen Jungs auf, um einen >guten Plausch< zu halten, wie Harry es nannte. Bei vielen dieser Anlasse zeigte sich auch die Maus. Wir futterten sie, und sie sa? da, a? so ernst wie Salomon und beobachtete uns mit ihren glanzenden kleinen, schwarzen Augen.
Es waren ein paar gute Wochen, ruhig und locker trotz Percys standiger Meckerei und Stankerei. Aber alles Gute endet mal, und an einem regnerischen Montag im spaten Juli - habe ich Ihnen erzahlt, wie verregnet und kuhl dieser Sommer war? - sa? ich auf der Pritsche in einer offenen Zelle und wartete auf Eduard Delacroix.
Er kam mit einem unerwarteten Paukenschlag.
Die Tur, die zum Hof fuhrte, flog auf, eine Flut von Licht fiel herein, Ketten rasselten, und eine angsterfullte Stimme stammelte in einer Mischung aus Englisch und Cajun-Franzosisch (ein Dialekt, den die Warter in Cold Mountain da bayou nannten), und Brutal brullte: »Hey! Hor auf! Verdammt noch mal, lass das, Percy!«
Ich war auf der Pritsche, die fur Delacroix bestimmt war, fast eingedost, aber plotzlich war ich hellwach, und mein Puls begann zu rasen. Radau dieser Art hatte es in Block E fast nie gegeben, bevor Percy kam; er brachte ihn mit wie einen ublen Gestank.
»Los, los, du verdammte franzosische Schwuchtel!« keifte Percy und ignorierte Brutal vollig. Dann kam er und zerrte mit einem Arm einen Typen heran, der nicht viel gro?er als ein Kegel auf der Kegelbahn war. In der anderen Hand schwang Percy seinen Schlagstock. Seine Zahne waren gebleckt in einer Grimasse der Anstrengung, und sein Gesicht war hochrot. Dennoch sah er nicht ganz unglucklich aus.
Delacroix versuchte, mit ihm Schritt zu halten, aber er hatte eiserne Fu?fesseln, und ganz gleich, wie schnell er schlurfte, Percy zerrte ihn schneller mit Ich sprang aus der Zelle und konnte Delacroix gerade noch rechtzeitig auffangen, als er sturzte, und so lernten Del und ich uns kennen. Percy umrundete ihn mit erhobenem Schlagstock, und ich hielt ihn mit einem Arm zuruck.
Brutal keuchte heran und sah so schockiert und verblufft uber all das aus, wie ich mich fuhlte.
»Lassen Sie nicht zu, dass er mich noch mehr schlagen, M`sieu«, stammelte Delacroix. »S`il vous
plait, s`il vous plait!«
»Lass mich los, weg da!« brullte Percy und sprang vor. Er schlug Delacroix mit seinem Schlagstock auf
die Schultern. Delacroix hob schreiend die Arme, und der Stock sauste mit einem stetigen Klatschen
gegen die Armel seines blauen Gefangnishemdes. Ich sah ihn in dieser Nacht ohne Hemd, und der
Junge war von Weihnachten bis Ostern mit blauen Flecken und Beulen ubersat. Bei diesem Anblick
fuhlte ich mich schlecht.
Er war ein Morder, und keiner liebte ihn, aber das war nicht die Art und Weise, wie die Dinge in Block
E liefen. Jedenfalls nicht, bis Percy kam.
»Halt!« schrie ich. »Hor auf! Was ist uberhaupt los?« Ich versuchte, mich zwischen Delacroix und
Percy zu schieben, aber das funktionierte nicht gut Percy drosch weiterhin mit dem Schlagstock auf
Delacroix ein, mal links, mal rechts an mir vorbei Fruher oder spater wurde er aus Versehen mich
treffen, und dann wurde es auf dem Gang eine Schlagerei geben, ganz gleich, welche Beziehungen
Percy nach oben hatte. Ich wurde mir nicht allein helfen konnen - und Brutal voraussichtlich
eingreifen. Wissen Sie, in gewisser Weise wunsche ich, es ware so gekommen. Es hatte vielleicht
einige der Dinge geandert, die spater geschahen. »Verdammter Schwuler! Ich werde dich lehren,
deine Pfoten von mir zu lassen, du mieser Arschgrabscher!«
Klatsch! Klatsch! Klatsch! Und jetzt blutete Delacroix aus einem Ohr und schrie. Ich gab den Versuch
auf, ihn abzuschirmen, packte ihn an der Schulter und schleuderte ihn in seine Zelle, wo er bauchlings
auf der Pritsche landete. Percy flitzte um mich herum und verpasste ihm einen letzten harten Schlag
auf den Hintern - sozusagen als Nachschlag. Dann packte Brutal ihn - Percy, meine ich - an den
Schultern und zerrte ihn auf den Gang hinaus. Ich schloss schnell die Schiebetur der Zelle. Dann
wandte ich mich Percy zu, ohne zu wissen, ob mein Schock und meine Besturzung oder die Wut
siegen wurde. Percy war zu diesem Zeitpunkt ein paar Monate bei uns, lange genug fur uns alle, um
zu dem Schluss zu gelangen, dass wir ihn nicht leiden konnten, aber eben hatte ich zum ersten Mal in
vollem Umfang erkannt, wie unbeherrscht er war.
Er stand da und starrte mich an, nicht ganz furchtlos - er war im Grunde ein Feigling, daran habe ich
nie gezweifelt -, aber immer noch zuversichtlich, dass ihn seine Beziehungen schutzen wurden. In