»Der dreckige Hurensohn muss die Piss den ganzen Tag aufgespart haben«, sagte Harry spater,

immer noch angewidert und emport

Nun, das war's dann. Es war an der Zeit, William Wharton zu zeigen, wer in Block E das sagen hatte.

Harry holte Brutal und mich, und ich alarmierte Dean und Percy, die ebenfalls Dienst hatten. Wir

hatten zu dieser Zeit drei Gefangene und waren sozusagen ausgebucht. Meine Gruppe arbeitete von

neunzehn bis drei Uhr am Morgen - wenn am meisten mit Problemen zu rechnen war -, und zwei

andere Crews hatten Dienst fur den Rest des Tages. Diese anderen Gruppen bestanden hauptsachlich

aus Springern, und Bill Dodge ubernahm fur gewohnlich die Leitung. Es war alles in allem keine

schlechte Regelung, und ich dachte mir, wenn ich Percy zur Tagschicht abschieben konnte, wurde das

Leben sogar noch besser werden. Ich schaffte es jedoch nie, Percy loszuwerden. Manchmal frage ich

mich, ob es die Dinge geandert hatte, wenn es mir gelungen ware.

Im Lagerraum neben Old Sparky befand sich ein gro?es Hauptwasserrohr, an das Dean und Percy

einen langen Feuerwehrschlauch anschlossen. Dann warteten sie am Ventil, um es aufzudrehen, wenn

es notig war.

Brutal und ich eilten zu Whartons Zelle, wo er immer noch stand, immer noch grinste und immer noch

sein Gerat aus der Hose hangen lie?. Ich hatte am vergangenen Abend die Zwangsjacke aus der

Gummizelle geholt und in ein Regal in meinem Buro gelegt, weil ich mir gedacht hatte, dass wir sie

vielleicht fur unser neues Problemkind brauchen wurden. Jetzt hatte ich sie schnell zur Hand und

hakte meinen Zeigefinger unter einen der Leinenriemen. Harry folgte uns und zog die Spitze des

Feuerwehrschlauchs mit, der durch mein Buro bis in den Lagerraum und zu der Trommel fuhrte, von

der Dean und Percy den Schlauch abrollten, so schnell sie konnten.

»Na, wie hat euch das gefallen?« rief Wild Bill. Er lachte wie ein Kind auf dem Jahrmarkt, wurde so

von Gelachter geschuttelt, dass er kaum sprechen konnte, und dicke Lachtranen rannen uber seine

Wangen. »Wenn ihr so schnell kommt, muss es euch gefallen haben. Ich bereite momentan ein paar

Stucke Schei?e als Munition vor. Schone weiche. Damit werde ich euch morgen ...«

Er bemerkte, dass ich die Zellentur aufschloss, verstummte und kniff die Augen zu Schlitzen

zusammen. Er sah, dass Brutal seinen Revolver in einer Hand und den Schlagstock in der anderen

hielt, und die Augenschlitze wurden noch schmaler.

»Ihr konnt auf den Beinen reinkommen, aber ihr werdet auf dem Arsch rauskriechen, das garantiert

euch Billy the Kid«, sagte er. Sein Blick zuckte wieder zu mir. »Und wenn du meinst, du kannst mich

in diese Irrenjacke zwingen, solltest du dir das noch mal uberlegen, du Saftsack.«

»Du hast hier gar nichts zu sagen«, erwiderte ich. »Das solltest du wissen, aber ich nehme an, du bist

zu blod, um es ohne eine kleine Lektion zu begreifen.«

Ich zog die Zellentur auf. Wharton ging ruckwarts zur Pritsche zuruck - sein Fimmel hing immer noch

aus der Hose -, streckte mir die Handflachen entgegen und winkte mir dann. »Komm nur, du

Schei?er«, sagte er. »Es wird eine Lektion geben, ganz richtig, aber ich werde sie erteilen.« Er wandte

den Blick und sein schwarzzahniges Grinsen von mir zu Brutal. »Na komm, Gro?er, du zuerst. Diesmal

kannst du dich nicht von hinten anschleichen. Steck den Ballermann weg - du wirst sowieso nicht

schie?en, du nicht - und wir kampfen Mann gegen Mann. Du wirst ja sehen, wer der bessere ...«

Brutal trat in die Zelle, jedoch nicht auf Wharton zu. Als er durch die Tur gegangen war, glitt er nach

links, und Wharton riss die Augen auf, als er den Feuerwehrschlauch sah, den Harry auf ihn richtete.

»Das wagst du nicht«, rief er. »Nein, das wirst du nicht...«

»Dean!« brullte ich. »Wasser - marsch! Volle Pulle!«

Wharton sprang vorwarts, und Brutal verpasste ihm einen Hieb mit dem Schlagstock - so einen Hieb,

wie Percy ihn sich bestimmt immer ertraumt hatte - auf die Stirn, gleich uber die Augenbrauen.

Wharton, der anscheinend dachte, wir hatten bis zu seiner Ankunft noch nie Probleme gehabt, ging

auf die Knie, die Augen offen, aber wie blind. Dann kam das Wasser, und Harry taumelte unter dem

Druck, doch dann hielt er den Schlauch an der Duse fest in den Handen und zielte damit wie mit einer

Waffe. Der Strahl traf Wild Bill Wharton mitten auf die Brust, wirbelte ihn halb herum und trieb ihn

zuruck bis unter seine Pritsche. Weiter unten auf dem Gang sprang Delacroix in seiner Zelle von einem

Fu? auf den anderen, keifte John Coffey mit schriller Stimme an, verfluchte ihn und verlangte, dass er

ihm schilderte, was sich in Whartons Zelle ereignete, wer gewann und wie dem Neuen, dem gran' fou,

die Behandlung mit dem Wasser gefiel. John sagte nichts, stand nur stumm in seiner zu kurzen Hose

und den Gefangnislatschen da. Ich konnte nur kurz zu ihm blicken, doch das reichte, um seine ubliche

Miene zu sehen - traurig und gelassen. Es war, als hatte er das Ganze schon zuvor gesehen, nicht nur

ein- oder zweimal, sondern Tausende Male.

»Wasser abstellen!« rief Brutal uber die Schulter, und dann sturmte er tiefer in die Zelle. Er packte

den halb bewusstlosen Wharton unter den Achseln und zerrte ihn unter der Pritsche hervor. Wharton

hustete und stie? gurgelnde Laute aus. Blut sickerte aus den Brauen, uber denen Brutals Schlagstock

die Haut aufgerissen hatte, in seine Augen. Brutus Howell und ich hatten das Anlegen der

Zwangsjacke zu einer wahren Wissenschaft gemacht; wir hatten es geubt, wie Varietetanzer einen

neuen Tanz einstudieren.

Dann und wann zahlt sich das Uben aus. Jetzt zum Beispiel. Brutal setzte Wharton auf und streckte

mir seine Arme hin, wie ein Kind seiner Mama die Arme einer ladierten Puppe hinhalt. Wharton

dammerte, dass alles zu spat war, wenn er nicht sofort kampfte, das sah ich in seinen Augen, aber die

Leitungen zwischen Verstand und Muskeln waren noch defekt, und bevor er sie reparieren konnte,

verpasste ich ihm die Zwangsjacke, und Brutal schnallte die Riemen am Rucken zu. Wahrend Brutal

sich darum kummerte, schnappte ich mir die Riemen der Handfesseln und verschnurte Whartons

Handgelenke noch zusatzlich auf seinen Rucken. Am Ende sah er aus, als umarme er sich selbst.

»Verdammt noch mal, gro?er Blodmann, was machen sie mit Pissaar?« brullte Delacroix. Ich horte Mr.

Jingles fiepen, als wollte er es ebenfalls wissen.

Percy traf ein. Sein Hemd war nass und klebte an ihm nach seinem Kampf mit dem Wasser vom

Hauptrohr, und sein Gesicht gluhte vor Aufregung. Dean tauchte hinter ihm auf. Er trug eine Kette aus

purpurfarbenen Wurgemalen um den Hals und sah viel weniger begeistert aus als Percy.

»Komm, komm, Wild Bill«, sagte ich und riss Wharton auf die Fu?e. »Wir machen einen kleinen

Spaziergang.«

»Nenn mich nicht so!« kreischte Wharton, und ich denke, dass wir zum ersten Mal echte Gefuhle von

ihm sahen, nicht nur die clevere Tarnung eines Tiers. »Wild Bill Hickok war kein Ranger! Er hat nie mit

einem Bowiemesser gegen einen Baren gekampft. Er war nur ein weiterer hinterhaltiger

Gesetzeshuter. Der Blodmann hat sich mit dem Rucken zur Tur gesetzt und sich von einem

Besoffenen umlegen lassen!«

»Du meine Gute, eine Lektion in Geschichte!* rief Brutal und schubste Wharton aus der Zelle.

»Wer hier den Dienst antritt, wei? nie, was ihn erwartet. Aber reizend ist es immer - kein Wunder, bei

so vielen netten Leuten wie dir ist das nur naturlich, nicht wahr? Und wei?t du was? Schon bald wirst

du selbst Geschichte sein, Wild Bill. Und jetzt gehen wir den Gang hinunter. Wir haben ein schones

Zimmer fur dich. Sozusagen ein Zimmer zum Abkuhlen.«

Wharton stie? einen wutenden, unverstandlichen Schrei aus und warf sich gegen Brutal, obwohl er

gut verschnurt in der Zwangsjacke steckte und seine Hande gefesselt waren. Percy machte Anstalten,

seinen Schlagstock zu zucken - die Wetmore-Losung fur alle Probleme des Lebens -, aber Dean legte

ihm eine Hand auf den Arm. Percy schaute ihn verwirrt, fast emport an, als wollte er sagen, nach

dem, was Wharton ihm angetan hatte, sollte Dean der letzte auf der Welt sein, der ihn beschutzen

wollte.

Brutal stie? Wharton zuruck. Ich nahm ihn in Empfang und schob ihn zu Harry weiter. Und Harry

zerrte ihn uber die Green Mile, vorbei an dem starrenden Delacroix und dem teilnahmslosen Coffey.

Wharton musste laufen, um nicht aufs Gesicht zu fallen, und auf dem ganzen Weg verspruhte er

Fluche wie ein Schwei?brenner Funken. Wir stie?en ihn in die letzte Zelle rechts, wahrend Dean, Harry

und Percy (der sich ausnahmsweise mal nicht wegen Uberarbeitung beklagte) das Gerumpel aus der

Gummizelle entfernten. Wahrend die drei diese Arbeit verrichteten, hatte ich eine kurze Unterhaltung

mit Wharton.

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