katatonisch bezeichnet wurde. Und es war noch eine Person anwesend, au?er Sichtweite in meinem

Buro, aber ihr dunner Schatten fiel durch die Tur auf die Green Mile.

»Was 'at das alles zu bedeuten, gran' fou?« fragte Del norgelnd und zog die Fu?e auf die Pritsche, als

Brutal die beiden Schlosser der Zellentur aufschloss und die Tur aufzog. Dels Blick zuckte zwischen

Brutal, Harry und Dean hin und her.

»Nun, ich werde es dir verraten«, brummte Brutal. »Mr. Moores ist eine Weile weg - seine Frau ist

krank, wie du vielleicht gehort hast. Jetzt hat Mr. Anderson die Leitung ubernommen, Mr. Curtis

Anderson.«

»Ja? Und was 'at das mit mir zu tun?«

»Nun, Boss Anderson hat von deiner Maus gehort, Del, und will ihren Auftritt sehen. Er und sechs

andere Leute warten druben in der Verwaltung auf dich und die Maus. Es sind keine einfachen Warter

in ihren blauen Uniformen, es sind ziemlich hohe Tiere, wie Brutal schon sagte. Ich glaube, einer

davon ist ein Politiker, der den weiten Weg von der Hauptstadt auf sich genommen hat«

Delacroix' Brust schwoll sichtlich, und ich bemerkte nicht die Spur eines Zweifels an ihm. Naturlich

wollten sie Mr. Jingles sehen; wer wollte das nicht?

Er kramte herum, zuerst unter seiner Pritsche und dann unter seinem Kissen. Schlie?lich fand er eins

dieser gro?en pinkfarbenen Pfefferminzbonbons und die bunt angemalte Rolle. Er schaute Brutal

fragend an, und Brutal nickte.

»Ja, Del, sie sind ganz wild darauf, den Trick mit der Rolle zu sehen, nehme ich an, aber wie Mr.

Jingles diese Pfefferminzbonbons verspeist, das ist auch verdammt niedlich. Und vergiss nicht die

Zigarrenkiste. Du brauchst sie doch, um ihn darin reinzutragen, oder?«

Delacroix holte die Zigarrenkiste und verstaute Mr. Jingles' Requisiten darin. Die Maus lie? sich auf

seiner Schulter nieder. Dann trat er aus der Zelle, ging mit stolzgeschwellter Brust voran und blickte

zu Dean und Harry zuruck »Kommt ihr, Jungs?«

»Nein«, antwortete Dean. »Wir haben andere Dinge zu tun. Aber du zeigst dem werten Publikum, was

ihr draufhabt, Del - zeig ihnen, was passiert, wenn ein Junge aus Louisiana den Hammer weglegt und

wirklich zu arbeiten anfangt.«

»Verlass dich drauf.« Ein Lacheln erhellte sein Gesicht, so plotzlich und glucklich, dass ich eine Weile

geruhrt war und das Schreckliche verga?, das er getan hatte. Welch eine Welt, in der wir leben -

welch eine Welt!

Delacroix wandte sich John Coffey zu. Zwischen ihnen hatte sich eine scheue Freundschaft entwickelt,

die sich nicht sonderlich von den etwa hundert anderen Beziehungen von Todeskandidaten

unterschied, die ich gesehen hatte.

»Zeig es ihnen, Del«, sagte Coffey ernst »Zeig ihnen all seine Tricks.« Delacroix nickte und hielt die

Hand hoch an seine Schulter. Mr. Jingles trat auf die Hand, als ware es ein Podium, und Delacroix

streckte die Hand zu Coffeys Zelle hin. John Coffey hielt einen gewaltigen Finger durch die Gitterstabe,

und die Maus reckte sich ihm entgegen und leckte die Fingerspitze wie ein Hund. Nicht zu glauben,

aber ich sah es mit eigenen Augen.

»Los, los, Del, trodle nicht herum«, sagte Brutal. »Diese Leute verzichten auf ein gutes Abendessen

daheim, um deine Maus in Aktion zu erleben.« Das stimmte naturlich nicht - Anderson war ohnehin

jeden Abend bis zwanzig Uhr da, und die Warter, die er angeschleppt hatte, um ihnen Delacroix'

»Show« zu zeigen, wurden bis dreiundzwanzig oder vierundzwanzig Uhr da sein, je nachdem, wann

ihre Schicht endete. Der Politiker aus der Hauptstadt wurde sich hochstwahrscheinlich als ein

Hausmeister oder Pfortner mit geborgter Krawatte entpuppen. Aber Delacroix konnte das nicht

wissen.

»Ich bin bereit«, verkundete Delacroix mit der Schlichtheit eines gro?en Stars, der es irgendwie

geschafft hat, bescheiden und bodenstandig zu bleiben. »Gehen wir.« Und als Brutal ihn uber die

Green Mile fuhrte - Mr. Jingles hockte auf der Schulter des kleinen Mannes -, begann Delacroix wieder

einmal zu trompeten: »Messieurs et mes-dames! Bienvenue au cirque de mousie!« Obwohl er tief in

seine Phantasiewelt versunken war, machte er einen weiten Bogen um Percy und bedachte ihn mit

einem misstrauischen Blick.

Harry und Dean stoppten vor der leeren Zelle gegenuber von Wharton (dieser Held hatte sich immer

noch nicht geruhrt).

Sie beobachteten, wie Brutal die Tur zum Hof aufschloss und Delacroix zu seinem Gala-Auftritt vor den

hohen Tieren der Strafvollzugsanstalt Cold Mountain hinausfuhrte. Wir warteten, bis die Tur wieder

abgeschlossen war, und dann schaute ich zu meinem Buro. Der dunne Schatten fiel , immer noch auf

den Boden, und ich war froh, dass Delacroix zu aufgeregt gewesen war, um ihn zu sehen. »Komm

raus«, rief ich. »Und beeilt euch, Leute. Ich mochte zwei Proben durchziehen, und wir haben nicht viel

Der alte TootToot kam mit glanzenden Augen und quietschvergnugt wie immer, wenn er den

Zeit«

Todeskandidaten mimte, aus meinem Buro, ging zu Delacroix' Zelle und schlenderte durch die offene Tur. »Ich setze mich«, sagte er. »Ich setze mich, setze mich.«

Dies ist der wahre Zirkus, dachte ich und schloss kurz die Augen. Dies ist der wahre Zirkus, genau hier, und wir sind alle nur ein Haufen dressierter Mause. Dann verbannte ich den Gedanken aus meinem Kopf, und wir begannen mit der Probe fur die Hinrichtung.

8

Die erste Probe ging gut, und auch die zweite klappte. Percy machte seine Sache besser, als ich es in meinen wildesten Traumen zu hoffen gewagt hatte. Das bedeutete noch nicht, dass alles klappen wurde, wenn wirklich die Zeit fur Delacroix' letzten Spaziergang uber die Green Mile kam, aber es war ein gro?er Schritt in die richtige Richtung. Ich hatte den Eindruck, dass alles gut verlaufen war, weil Percy endlich etwas getan hatte, was ihm Spa? machte. Ich empfand tiefe Verachtung bei dieser Erkenntnis und verdrangte sie. Was machte es schon? Er wurde Delacroix die Kappe aufsetzen und ihn braten lassen, und dann wurden wir alle beide los sein. Wenn das kein Happy End war, was dann? Und, wie Direktor Moores gesagt hatte, Delacroix' Eier wurden so oder so gebraten, ganz gleich, wer letzte Hand anlegte.

Immerhin hatte sich Percy vorteilhaft in seiner neuen Rolle gezeigt, und er wusste es. Wir alle wussten es. Was mich anbetraf, so war ich zu erleichtert, um mich uber den Widerling aufzuregen, jedenfalls im Moment. Es sah aus, als ob alles in Ordnung gehen wurde. Es erleichterte mich ebenfalls, dass Percy tatsachlich mal zuhorte, als wir ihm einiges vorschlugen, was seinen Auftritt sogar noch verbessern konnte oder zumindest die Moglichkeit verringerte, dass etwas schiefging. Wenn Sie die Wahrheit wissen wollen, wir waren ziemlich begeistert - sogar Dean, der Abstand von Percy hielt ... sowohl korperlich als auch geistig, wenn er das konnte.

Ich nehme an, unsere Begeisterung war verstandlich - fur die meisten Manner ist nichts schmeichelhafter als ein junger Mensch, der wirklich auf ihren Rat hort, und wir waren in dieser Hinsicht nicht anders. Daher fiel keinem von uns auf, dass Wild Bill Wharton nicht mehr zur Decke starrte. Das schlie?t mich ein, aber ich wei?, dass er nicht mehr an die Decke starrte. Er starrte zu uns, als wir dort beim Wachpult standen, quatschten und Percy Ratschlage gaben. Ratschlage! Und er tat so, als horte er auf uns! Das ist zum Brullen, wenn man bedenkt, wie sich die Dinge entwickelten. Das Gerausch eines Schlussels im Schloss der Hoftur beendete unsere kleine Manoverkritik nach den Proben. Dean warf Percy einen warnenden Blick zu. »Kein Wort und keinen falschen Blick«, sagte er. »Wir mochten nicht, dass er wei?, was wir getan haben. Das ist nicht gut fur sie. Das regt sie auf.« Percy nickte und hielt den Zeigefinger auf die Lippen - eine verschworerische Geste des Schweigens, die lustig sein sollte, es jedoch nicht war. Die Tur zum Hof wurde geoffnet, und Delacroix kam herein, begleitet von Brutal, der die Zigarrenkiste mit der bunten Rolle darin trug, wie der Assistent des Magiers bei einer Varieteshow nach dem Ende des Auftritts die Requisiten des Meisters tragt Mr. Jingles hockte auf Delacroix' Schulter.

Und Delacroix selbst? Ich sage Ihnen - Jenny Lind hatte nicht glucklicher nach einem Auftritt im Wei?en Haus sein konnen. »Sie 'aben Mr. Jingles geliebt!« rief Delacroix. »Sie 'aben gelacht und gejubelt und geklatscht in die 'ande!«

»Na prima«, sagte Percy. Er sprach in einem milden und gutigen Tonfall, der gar nicht zu dem Percy passte, den wir kannten. »Geh in deine Zelle, Alter.«

Delacroix schaute ihn gespielt argwohnisch an, und schon kam wieder der alte Percy zum Vorschein. Er fletschte die Zahne, knurrte wie ein gereizter Hund und tat, als wollte er Delacroix anspringen und bei?en. Es war

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