naturlich ein Scherz, Percy war glucklich, weil er seine Rolle so gut gespielt hatte, keineswegs in Bei?stimmung, aber Delacroix wusste das nicht. Er sprang entsetzt zuruck und stolperte uber Brutals gro?e Fu?e. Er sturzte schwer und schlug mit dem Hinterkopf auf das Linoleum. Mr. Jingles rettete sich rechtzeitig mit einem Sprung, um nicht zerquetscht zu werden, und flitzte fiepend uber die Green Mile zu Delacroix' Zelle.
Delacroix rappelte sich auf, bedachte den kichernden Percy mit einem einzigen hasserfullten Blick und eilte dann hinter seinem Liebling her, wobei er sich uber den Hinterkopf rieb. Brutal (der nicht wusste, dass Percy ganz aufgeregt war, weil er ausnahmsweise mal seinen Job richtig gemacht hatte) schaute Percy in stummer Verachtung an, folgte Del und nahm sein Schlusselbund vom Gurtel. Ich glaube, das nachste passierte, weil Percy tatsachlich zu einer Entschuldigung bereit war - ich wei?, es ist kaum zu glauben, aber er war an diesem Tag in au?erst gutmutiger Stimmung.
Wenn es stimmt, beweist es nur ein zynisches altes Sprichwort, das ich einmal aufgeschnappt habe,
etwas wie »keine gute Tat bleibt ungestraft«. Erinnern Sie sich, dass ich Ihnen erzahlt habe, wie Percy
vor Delacroix' Eintreffen die Maus zur Gummizelle gejagt hatte und dabei zu nahe an die Zelle des
Prasidenten geraten war? So etwas war gefahrlich, und deshalb war die Green Mile so breit - wenn
man sich genau in der Mitte hielt, konnte man von den Zellen aus nicht angepackt werden. Der
Prasident hatte Percy nichts getan, aber ich erinnere mich, dass ich dachte, Arien Bitterbuck hatte ihm
etwas tun konnen, wenn Percy zu nahe an seine Zelle herangeraten ware. Nur um ihm eine Lektion zu
erteilen.
Nun, der Prasident und der Chief waren fort, aber Wild Bill Wharton war da. Er war schlimmer, als der
Prasident oder der Chief es sich jemals hatten vorstellen konnen, und er hatte das kleine Spiel
beobachtet und auf eine Gelegenheit gehofft, um selbst mitzumischen. Diese Chance fiel ihm nun
sozusagen in den Scho? - dank Percy Wetmore.
»Hey, Del!« rief Percy lachend und ging hinter Brutal und Delacroix her, wobei er auf der Green Mile
zu nah an Whartons Seite geriet, ohne es zu bemerken. »Hey, du bloder Schei?er, ich habe es nicht
so gemeint! Sollte ein Spa? ...«
Wharton sprang wie der Blitz von seiner Pritsche und zu den Gitterstaben - nie in meiner Zeit als
Warter habe ich jemanden gesehen, der sich so schnell bewegen konnte, und das schlie?t einige
au?erst athletische junge Manner ein, mit denen Brutal und ich spater in der Jugendstrafanstalt zu tun
hatten. Er stie? die Arme durch die Gitterstabe und packte Percy, zuerst an den Schultern seiner
Uniformjacke und dann an der Kehle. Wharton riss ihn gegen die Zellentur. Percy quiekte wie ein
Schwein auf der Schlachtbank, und ich las in seinen Augen, dass er dachte, er musse sterben.
»Bist du su?«, flusterte Wharton. Er nahm eine Hand von Percys Kehle und strich uber sein Haar.
»Weich!« sagte er und lachte. »Wie bei einem Madchen. Ich glaube, ich wurde lieber deinen Arsch
ficken als die Pussy deiner Schwester.« Und er kusste Percy tatsachlich aufs Ohr.
Ich denke, Percy - der Delacroix mit dem Schlagstock verprugelt hatte, weil der ihn unabsichtlich vorn
an der Hose beruhrt hatte - Sie erinnern sich? - wusste genau, was mit ihm geschah. Ich bezweifle,
dass er es wissen wollte, aber ich denke, er wusste es. Alle Farbe war aus seinem Gesicht gewichen,
und die Pickel auf seinen Wangen prangten wie Muttermale. Seine Augen waren weit aufgerissen und
wassrig. Etwas Speichel sickerte aus einem Winkel seines zuckenden Mundes. All dies geschah sehr
schnell - es dauerte weniger als zehn Sekunden, schatze ich.
Harry und ich traten vor, die Schlagstocke erhoben. Dean zog seine Waffe. Aber bevor die Dinge
eskalieren konnten, lie? Wharton Percy los und trat zuruck Er hob die Hande in Schulterhohe und
grinste. »Ich habe ihn losgelassen. War nur ein Spielchen, und ich habe ihn losgelassen«, sagte er.
»Habe dem Jungen kein einziges Harchen auf dem Kopfchen gekrummt, also steckt mich nicht wieder
in diese gottverdammte Gummizelle.«
Percy Wetmore sauste auf die andere Seite der Green Mile und duckte sich gegen die verschlossene
Tur der leeren Zelle. Er atmete so schnell und laut, dass es fast wie Schluchzen klang. Er hatte seine
Lektion erhalten, dass er sich in der sicheren Mitte der Green Mile halten musste, fort von den
Zahnen, die bei?en, und den Klauen, die zuschnappen. Ich konnte mir vorstellen, dass es eine Lektion
war, die ihm langer in Erinnerung bleiben wurde als all die Ratschlage, mit denen wir ihn nach
unseren Proben uberhauft hatten. Sein Gesicht spiegelte blankes Entsetzen wider, und sein kostbares
Haar war zum ersten Mal, seit ich ihn kennen gelernt hatte, vollkommen verwuschelt und zerzaust. Er
wirkte wie jemand, der soeben ganz knapp einer Vergewaltigung entkommen war.
Einen Augenblick lang verharrten alle, und nur Percys schluchzendes Atmen war zu horen. Dann
wurde die Stille durch schrilles Gelachter unterbrochen, so plotzlich und irre, dass es furchterregend
war. Wharton, war mein erster Gedanke, doch er war es nicht. Es war Delacroix. Er stand an der
offenen Tur seiner Zelle und zeigte auf Percy. Die Maus sa? wieder auf seiner Schulter, und er wirkte
wie ein kleiner, aber boser Hexer, vervollstandigt durch das Teufelchen. »Sehen an, 'at in 'ose
gepisst!« johlte Delacroix. »Sehen, was gro?e Mann gemacht 'at! Schlagt andere Leute mit Knuppel,
mais oui, ein mauvais komme, aber wenn jemand beruhrt ihn, er pissen in die 'osen wie Baby!«
Er lachte und wies auf die Hose, und die ganze Angst und sein Hass auf Percy kamen bei diesem
hohnischen Gelachter heraus.
Percy starrte ihn an. Er war anscheinend nicht in der Lage, sich zu bewegen oder zu reden. Wharton
trat wieder an die Gitterstabe seiner Zelle und schaute auf den dunklen Fleck vorn auf Percys Hose -
er war klein, aber er war da, und es gab keinen Zweifel, was es war - und grinste.
»Jemand sollte dem harten Jungen Windeln kaufen«, sagte er, kehrte zu seiner Pritsche zuruck und
schuttelte sich vor Lachen.
Brutal ging zu Delacroix' Zelle, doch der Cajun war hineingesprungen und hatte sich auf seine Pritsche
geworfen, bevor Brutal dort war.
Ich legte eine Hand auf Percys Schulter. »Percy ...«, begann ich, aber weiter kam ich nicht. Er
erwachte zu neuem Leben und schuttelte meine Hand ab. Er blickte auf seine Hose hinab, sah den
Fleck, der sich ausbreitete, und lief dunkelrot an.
Er sah zu mir auf und schaute dann zu Harry und Dean. Ich erinnere mich, froh gewesen zu sein, dass
der alte TootToot weg war. Wenn er dabei gewesen ware, hatte sich die Geschichte an einem
einzigen Tag im ganzen Gefangnis herumgesprochen. Und man hatte sie voller Schadenfreude
jahrelang weitererzahlt - nicht zuletzt wegen Percys unglucklichem Nachnamen ...
»Wenn ihr jemandem davon erzahlt, seid ihr alle in einer Woche arbeitslos und konnt betteln gehen«,
zischte er wutend. Es war die Art Rederei, bei der ich unter anderen Umstanden den Wunsch gehabt
hatte, ihm eine zu scheuern, doch nun hatte ich nur Mitleid mit ihm. Ich nehme an, er sah dieses
Mitleid, und das machte es noch schlimmer fur ihn - als hatte er eine offene Wunde, in die Salz
gestreut wurde.
»Was hier passiert, bleibt unter uns«, versicherte Dean ruhig. »Du brauchst dir keine Sorgen zu
machen.«
Percy blickte uber die Schulter zu Delacroix' Zelle zuruck. Brutal schloss gerade die Tur ab, und aus
der Zelle konnten wir immer noch todlich klar Delacroix kichern horen. Percys Blick war dunkel wie
eine Gewitterwolke. Ich spielte mit dem Gedanken, ihm zu sagen, dass man im Leben erntet, was
man sat, aber dann kam ich zu dem Schluss, dass dies vielleicht nicht der richtige Zeitpunkt fur eine
Bibelstunde war.
»Und was den anbetrifft...«, begann Percy, aber er sprach nicht zu Ende. Statt dessen ging er mit
gesenktem Kopf davon, vermutlich, um im Vorratsraum eine trockene Hose zu suchen.
»Er ist so su?«, sagte Wharton mit vertraumter Stimme. Harry riet ihm, blo? die Schnauze zu halten,
weil er sonst in die Gummizelle wandern wurde. Wharton verschrankte die Arme vor der Brust, schloss
die Augen und tat, als wolle er schlafen.
9
Am Abend vor Delacroix' Hinrichtung war es warmer und schwuler als je zuvor - das Au?enthermometer des Verwaltungsburos zeigte achtundzwanzig Grad an, als ich um achtzehn Uhr den Dienst antrat. Achtundzwanzig Grad Ende Oktober, stellen Sie sich das vor, und Donner grollte im Westen, als hatten wir Juli. Ich hatte an diesem Nachmittag ein Mitglied meiner Kirchengemeinde in der Stadt getroffen, und der alte Knabe hatte mich allen Ernstes gefragt, ob dieses fur die Jahreszeit so ungewohnliche Wetter ein Anzeichen auf den Weltuntergang sein