konnte. Ich hatte ihm erklart, ich sei mir sicher, dass es nicht so ware, aber es schoss mir durch den Kopf, dass es fur Eduard Delacroix der Weltuntergang war. O ja, das war es.

Bill Dodge stand in der Tur zum Gefangnishof, trank Kaffee und rauchte eine Zigarette. Er wandte den Kopf, sah mich und sagte: »Sieh an, Paul Edgecombe, fett wie das Leben und doppelt so hasslich.«

»Wie war der Tag, Billy?« »Nichts Besonderes.« »Delacroix?«

»Prima. Er versteht anscheinend, dass er morgen dran ist, und doch habe ich das Gefuhl, dass er es nicht begreift. Du wei?t, wie die meisten sich auffuhren, wenn das Ende schlie?lich naht.« Ich nickte. »Wharton?«

Bill lachte. »Welch ein Witzbold. Dagegen klingt Jack Benny wie ein Quaker. Er hat Rolfe Wettermark erzahlt, dass er Erdbeermarmelade aus der Pussy seiner Frau geschleckt hat.«

»Was hat Rolfe gesagt?«

»Dass Wharton ja gar nicht verheiratet ist. Er meinte, Wharton musse an seine Mutter gedacht haben.« Ich lachte. Das war wirklich lustig, auf billige Weise. Und es war gut, lachen zu konnen, ohne das Gefuhl zu haben, jemand zunde Streichholzer tief in meinem Unterleib an. Bill lachte mit mir, kippte den Rest seines Kaffees in den Hof, der leer war, abgesehen von ein paar herumschlurfenden Kalfaktoren, von denen die meisten schon ungefahr tausend Jahre dort zu sein schienen.

Donner grollte irgendwo in der Ferne, und Blitze zuckten am dunklen Himmel. Bill blickte nervos auf, und sein Lachen verstummte.

»Das Wetter stinkt mir«, sagte er. »Ich habe so ein komisches Gefuhl, dass was passieren wird. W a s Schlimmes.«

Damit hatte er recht Das Schlimme passierte gegen Viertel vor zehn an diesem Abend. A l s Percy Mr. Jingles totete.

IQ

Zuerst hatte es den Anschein, dass es trotz der schwulen Hitze eine ziemlich ruhige Nacht wer­den wurde - John Coffey war wie ublich still und in sich zuruckgezogen, Wild Bill gab sich als Mild Bill, und Delacroix war prima gelaunt fur einen Mann, der in etwas mehr als vierundzwanzig Stun­den ein Rendezvous mit Old Sparky hatte.

Er verstand tatsachlich, was ihm widerfahren wurde, wenigstens das Wesentliche; er hatte Tacos als Henkersmahlzeit bestellt (>mindestens vier<) und mir spezielle Anweisungen fur die Kuche gegeben. »Sagen Sie ihnen, sie sollen mir diese scharfe Sauce machen, so dass Flammen aus die Mund schie?en, wenn man >allo< sagt - sie sollen das grune Zeug nehmen, nicht das milde. Das Grune ist so scharf, dass ich nicht komme von Klo die nachste Tag, aber diesmal keine Probleme, n'est cepas?«

Die meisten sorgen sich mit einer Art schwachsinniger Wildheit um ihre unsterblichen Seelen, doch Delacroix zeigte wenig Interesse, als ich ihn fragte, welchen seelischen Beistand er in seinen letzten Stunden haben wollte. Wenn >diese komische Typ< Schuster gut genug fur Chief Bitterbuck gewesen war, sagte sich Del, dann wurde er auch gut genug fur ihn sein. Nein, was ihn beschaftigte - ich wette, Sie haben es bereits erraten -, das war die Sorge, was nach seinem Tod aus Mr. Jingles werden wurde. Ich war es gewohnt lange Stunden mit den zum Tode Verurteilten vor ihrem letzten Marsch zu verbringen, aber dies war das erste Mal, dass ich diese langen Stunden damit verbrachte, uber das Schicksal einer Maus zu grubeln.

Del erwog ein Szenario nach dem anderen, ging geduldig die Moglichkeiten durch. Und wahrend er laut dachte und fur seinen Liebling, die Maus, die Zukunft plante, als ware sie ein Kind, das er aufs College schicken musste, warf er die bunte Holzrolle gegen die Wand. Jedes Mal, wenn er das tat, sprang Mr. Jingles hinterher, holte die ehemalige Garnspule ein und rollte sie zuruck zu Dels Fu?. Nach einer Weile ging mir das auf die Nerven - erst das Klacken der holzernen Rolle gegen die Wand, dann das Schaben von Mr. Jingles' Pfoten. Obwohl es ein niedlicher Trick war, verlor er nach etwa anderthalb Stunden allmahlich den Reiz. Aber Mr. Jingles wurde anscheinend niemals mude. Er legte dann und wann eine Pause ein, um sich mit einem Schluck Wasser aus dem Unterteller zu erfrischen, den ihm Delacroix eigens fur diesen Zweck hingestellt hatte, oder um ein Stuck von einem pinkfarbenen Pfefferminzbonbon zu knabbern, und dann machte er weiter. Manchmal lag es mir auf der Zunge, Delacroix zu sagen, dass er ihm mal eine Pause gonnen sollte, aber jedes Mal erinnerte ich mich daran, dass er nur noch diese Nacht und den morgigen Tag hatte, um mit Mr. Jingles zu spielen, und so hielt ich den Mund. Gegen Ende wurde es jedoch wirklich schwierig, ihn gewahren zu lassen - Sie wissen, wie das ist, wenn man immer wieder die gleichen Gerausche horen muss. Nach einer Weile geht es einem auf die Nerven. Ich wollte es ihm schlie?lich doch sagen, doch dann veranlasste mich irgend etwas, uber die Schulter und aus der Zellentur zu schauen. John Coffey stand an der Tur seiner Zelle gegenuber und schuttelte den Kopf: links, rechts und zuruck zur Mitte. Als hatte er meine Gedanken gelesen und mir sagen wollen, dass ich es mir noch einmal uberlegen sollte.

Ich sagte, ich wurde dafur sorgen, dass Mr. Jingles zu Delacroix' Tante kame, zu der Lady, die ihm die gro?e Tute Pfefferminzbonbons geschickt hatte. Die bunte Garnspule konnte ebenfalls zur Tante, sogar sein >Haus< - wir wurden sammeln und dafur sorgen, dass Toot auf seinen Anspruch auf die Zigarrenkiste verzichtete. Nein, sagte Delacroix nach einigem Uberlegen (er warf dabei mindestens funfmal die Rolle gegen die Wand, und Mr. Jingles rollte sie entweder mit der Nase oder schob sie mit seinen Pfoten zuruck), das gehe nicht Tante Hermine sei zu alt, sie wurde Mr. Jingles' lebhafte Art nicht verstehen. Und angenommen, Mr. Jingles uberlebte sie? Was wurde dann mit ihm geschehen? Nein, nein, Tante Hermine kam einfach nicht in Frage.

»Nun, wie ware es, wenn einer von uns Mr. Jingles ubernimmt?« fragte ich. Einer von uns War­tern? Wir wurden ihn gleich hier in Block E behalten. Nein, sagte Delacroix, er danke mir freundlich fur den Gedanken, certainement, aber Mr. Jingles sei eine Maus, die sich nach Freiheit sehne. Er, Eduard Delacroix, wisse das, weil Mr. Jingles - Sie haben es erraten - ihm diese Information ins Ohr geflustert habe.

»Also gut«, sagte ich, »dann wird ihn einer von uns mit nach Hause nehmen, Del. Vielleicht Dean. Er hat einen kleinen Sohn, der ein Mauschen einfach lieben wird.« Delacroix wurde bleich vor Entsetzen bei diesem Gedanken. Ein kleines Kind verantwortlich fur ein nagendes Genie wie Mr. Jingles?

Wie, im Namen von le bon Dieu, konnte man von einem kleinen Jungen erwarten, dass er die Dressur

regelma?ig trainierte, geschweige denn ihm neue Tricks beibrachte? Und angenommen, das Kind

verlor das Interesse und verga?, ihn zwei oder drei Tage hintereinander zu futtern? Delacroix, der

sechs Menschen bei lebendigem Leibe gerostet hatte, um sein ursprungliches Verbrechen zu

vertuschen, erschauerte mit dem gleichen Abscheu, den ein radikaler Tierschutzer bei dem Gedanken

an Tierversuche empfindet.

Also gut, ich erklarte mich bereit, ihn zu mir zu nehmen (ich verspreche ihnen alles, erinnern Sie sich?

In ihren letzten achtundvierzig Stunden verspreche ich ihnen alles). Na, wie ware das?

»Nein, Sir, Boss Edgecombe«, lehnte Del in entschuldigendem Tonfall ab. Er warf wieder die Rolle. Sie

flog gegen die Wand, prallte ab, drehte sich; dann war Mr. Jingles bei ihr und schob sie mit der Nase

zuruck zu Delacroix. »Vielen Dank, merci beaucoup - aber Sie wohnen drau?en in die Wald, und Mr.

Jingles, er 'at Angst, dass Ja foret zu leben. Ich wei?, weil...«

»Ich denke, ich kann erraten, woher du das wei?t, Del«, unterbrach ich ihn.

Delacroix nickte und lachelte. »Aber wir werden diese Problem losen, bestimmt!« Er warf die Rolle.

Mr. Jingles flitzte hinterher. Ich versuchte, nicht zusammenzuzucken.

Am Ende war es Brutal, der die Lage rettete. Er war beim Wachpult gewesen und hatte Dean und

Harry beim Cribbage zugeschaut. Percy war ebenfalls da, und Brutal war es schlie?lich leid zu

versuchen, eine Unterhaltung mit ihm anzufangen und nur verdrossenes Grunzen als Antwort zu

bekommen. So schlenderte er zu mir - ich sa? au?erhalb von Delacroix' Zelle auf einem Stuhl -,

verschrankte die Arme und horte uns zu.

»Wie ware es mit Mouseville?« fragte Brutal in die nachdenkliche Stille, die entstanden war, nachdem

Del sich geweigert hatte, seinen Mr. Jingles in mein altes Spukhaus im Wald zu lassen. Brutal au?erte

die Bemerkung lassig, als wollte er betonen, dass es nur so eine Idee war.

»Mouseville?« fragte Delacroix und blickte Brutal in einer Mischung aus Uberraschung und Interesse

an. »Was ist Mouseville?«

»Das ist diese Touristenattraktion in Florida«, sagte Brutal. »Tallahassee, glaube ich. Stimmt das,

Paul? Tallahassee?«

»Klar«, erwiderte ich ohne das geringste Zogern und dachte: Gott segne Brutus Howell. »Tallahassee.

Rechts ab von der Kreuzung vor der Hunde-Universitat« Brutals Mund zuckte ein wenig bei meiner

Wegbeschreibung, und ich dachte schon, er wurde alles mit seinem Gelachter verderben, aber er

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