Guterzug irgendwohin zu fahren - wenn sie von der Bockbrucke kommen, sind sie so langsam, dass

man aufspringen kann -, als er im Norden Larm horte.«

»Der Morder?« fragte Brutal. »Der Morder. Da hatte er sie vielleicht schon vergewaltigt, oder vielleicht

war es die Vergewaltigung, die Coffey horte. Jedenfalls war die blutige Stelle im Gras der Tatort; dort

schlug der Morder ihre Kopfe zusammen, lie? sie fallen und machte sich davon.«

»Nach Nordwesten«, sagte Brutal. »In die Richtung, in die die schlauen Hunde wollten.«

»Richtig. John Coffey kommt, vermutlich neugierig wegen des Larms, durch eine Gruppe Erlen, etwas

sudostlich der Stelle, wo die Madchen zuruckgelassen worden waren, und er findet ihre Leichen.

Eines der Madchen war vielleicht noch am Leben. Ich nehme an, dass moglicherweise beide noch

lebten, wenn auch nicht mehr lange. John Coffey hatte nicht gewusst, ob sie tot gewesen waren, das

ist sicher. Er wei? nur, dass er heilende Krafte in seinen Handen hat, und er versucht, sie bei Cora und

Kathe Detterick einzusetzen. Als es nicht gelang, brach er zusammen und heulte hysterisch.

Und so fanden sie ihn.«

»Warum blieb er nicht dort, wo er sie fand?« fragte Brutal. »Warum nahm er sie nicht mit nach Suden

zum Flussufer? Kannst du dir das erklaren?« »Ich wette, er blieb zuerst an Ort und Stelle«, sagte ich.

»Beim Prozess sprach man von einer breiten zertrampelten Stelle, an der alles Gras

plattgetreten war. Und John Coffey ist ein gro?er Mann.

«John Coffey ist ein verdammter Riese«, sagte Harry, sehr leise, damit meine Frau nicht sein

Kraftwort horte, wenn sie zufallig lauschte. «Vielleicht geriet er in Panik, als er sah, dass nicht gelang,

was gelingen sollte. Oder vielleicht ..kam er auf den Gedanken, dass der Morder noch in der Nahe

war, im Wald flussaufwarts, und ihn beobachtete. Coffey ist ein Hune, aber er ist nicht sehr mutig.

Harry, erinnerst du dich, dass er uns bat, nach der Schlafenszeit im Block eine Lampe anzulassen?«

»Ja. Ich erinnere mich, dass ich das angesichts seiner Gro?e lustig fand.« Harry wirkte betroffen und

nachdenklich.

»Nun, wenn er die kleinen Madchen nicht ermordet hat, wer dann?« fragte Dean.

Ich nickte. »Jemand anders. Ein Wei?er, schatze ich. Der Anklager machte eine gro?e Schau daraus,

wie stark jemand sein muss, der einen Hund wie den der Dettericks totet, aber ...«

»Das ist Unsinn«, sagte Brutus grollend. »Sogar ein zwolfjahriges Madchen kann einem gro?en Hund

das Genick brechen, wenn es den Hund uberrascht und wei?, wo es ihn packen muss. Wenn Coffey es

nicht getan hat, dann kann es verdammt fast jeder gewesen sein ... jeder Mann, meine ich. Wir

werden die Wahrheit vermutlich nie erfahren.«

»Es sei denn, er tut es wieder«, sagte ich. »Selbst dann wurden wir sie nicht erfahren, wenn er es

unten in Texas oder druben in Kalifornien tut«, wandte Harry ein.

Brutal lehnte sich zuruck, rieb sich mit den Handen uber die Augen wie ein mudes Kind und lie? sie

dann wieder auf den Scho? sinken.

»Dies ist ein Alptraum«, sagte er. »Wir haben einen Mann, der vielleicht unschuldig ist - der

vermutlich unschuldig ist -, und er geht uber die Green Mile, was so sicher ist, wie Gott gro?e Baume

und kleine Fische macht. Was sollen wir dagegen tun? Wenn wir mit diesem Schei? von heilenden

Handen anfangen, wird sich jeder einen Ast lachen, und Coffey landet trotzdem auf dem Grill.«

»Daruber konnen wir uns spater Sorgen machen«, sagte ich, weil ich nicht die geringste Ahnung

hatte, was ich ihm antworten konnte. »Jetzt lautet die Frage, was tun wir - oder tun wir nicht - mit

Melly. Ich wurde vorschlagen, wir denken noch ein paar Tage uber die Sache nach, aber ich glaube,

dass jeder Tag, an dem wir untatig bleiben, das Risiko erhoht, dass er ihr nicht mehr helfen kann.«

»Erinnerst du dich, wie er die Hande nach der Maus ausstreckte?« fragte Brutal. »>Gib ihn mir,

solange noch Zeit ist<, sagte er. Solange noch Zeit ist

»Ich erinnere mich.«

Brutal uberlegte und nickte dann. »Ich bin dabei. Ich fuhle mich auch schlecht wegen Del, aber

hauptsachlich will ich sehen, was passiert, wenn er sie beruhrt. Vermutlich geschieht gar nichts, aber

vielleicht...«

»Ich bezweifle hollisch, dass wir den schwarzen Riesen uberhaupt aus dem Block rausbekommen«,

sagte Harry. Dann seufzte er und nickte. »Aber was soll's? Ich mache mit«

»Ich auch«, sagte Dean. »Wer bleibt im Block, Paul? Ziehen wir Strohhalme?«

»Nein, Sir«, sagte ich. »Keine Strohhalme. Du bleibst«

»Einfach so? Den Teufel werde ich tun!« entgegnete Dean gekrankt und wutend. Er nahm seine Brille

ab und polierte sie heftig an seinem Hemd. »Was soll denn diese unfaire Regelung?«

»Diese Regelung berucksichtigt dass du jung genug bist um noch Kinder in der Schule zu haben«,

sagte Brutal. »Harry und ich sind Junggesellen. Paul ist verheiratet aber seine Kinder sind erwachsen

und stehen auf eigenen Fu?en. Wir planen hier ein verdammt verrucktes Ding. Ich nehme an, wir

werden fast mit Sicherheit geschnappt.« Er schaute mich nuchtern an. »Eines hast du nicht erwahnt

Paul. Wenn wir es schaffen, Coffey aus dem Knast zu holen, und seine heilenden Hande nicht wirken,

dann wird uns Hal Moores personlich einlochen.«

Er lie? mir eine Chance, etwas darauf zu erwidern, es vielleicht zu entkraften oder zu widerlegen, aber

das konnte ich nicht, und so hielt ich die Klappe. Brutal wandte sich an Dean und fuhr fort: »Versteh

mich nicht falsch, du kannst deinen Job ebenfalls verlieren, aber du hast wenigstens eine Chance, am

Knast vorbeizukommen, wenn es hart auf hart kommt. Percy wird denken, es war ein Streich; wenn

du am Wachpult bist, kannst du sagen, dass du auch an einen Jux gedacht hast und wir dir nie etwas

anderes gesagt haben.«

»Es gefallt mir trotzdem nicht«, sagte Dean, aber es war klar, dass er einverstanden war. Der

Gedanke an seine Kinder hatte ihn uberzeugt »Und es muss heute Nacht sein? Bist du sicher?«

»Wenn wir es tun, muss es heute Nacht sein«, sagte Harry.

»Denn wenn ich die Zeit habe, daruber nachzudenken, verliere ich hochstwahrscheinlich die Nerven.«

»Lass mich das mit dem Krankenrevier erledigen«, sagte Dean. »Soviel kann ich wenigstens tun, nicht

wahr?«

»Solange du das Erforderliche tun kannst, ohne geschnappt zu werden«, sagte Brutal.

Dean wirkte beleidigt, und ich klopfte ihm auf die Schulter. »So schnell wie moglich, nachdem du

deinen Dienst angetreten hast... in Ordnung?«

»Aber sicher.«

Meine Frau steckte den Kopf durch die Tur, als hatte ich ihr ein Stichwort gegeben. »Wer mochte

noch Eistee?« fragte sie heiter. »Wie steht es mit Ihnen, Brutus?«

»Nein, danke«, sagte er. »Was ich brauchte, ware ein guter Schluck Whisky, aber unter den

gegebenen Umstanden ist das vielleicht keine gute Idee.«

Janice schaute mich an; lachelnder Mund, besorgter Blick. »Wozu stiftest du diese Jungs an, Paul?«

Aber bevor ich mir auch nur eine Antwort uberlegen konnte, hob sie die Hand und sagte:

»Schon gut ich will es gar nicht wissen.«

3

Spater, als die anderen fort waren und ich mich fur die Arbeit anzog, ergriff sie mich am Arm, zog

mich herum und schaute mir forschend in die Augen. »Melinda?« fragte sie.

Ich nickte.

»Kannst du etwas fur sie tun, Paul? Wirklich etwas fur sie tun, oder ist alles ein Wunschtraum,

hervorgerufen von dem, was du gestern Nacht erlebt hast?«

Ich dachte an Coffeys Augen, an seine Hande und daran, wie hypnotisiert ich mich gefuhlt hatte, als

ich auf sein Drangen hin zu ihm gegangen war. Ich dachte daran, wie er die Hande nach Mr. Jingles'

gebrochenem, sterbendem Korper ausgestreckt hatte. Solange noch Zeit ist, hatte er gesagt. Und ich

sah vor meinem geistigen Auge die SCHwarzen wirbelnden Dinge, die wei? geworden und

verschwunden waren.

»Wir konnten vielleicht die einzige Chance sein, die sie noch hat«, sagte ich schlie?lich.

»Dann ergreife sie«, sagte meine Frau und knopfte meine neue Herbstjacke zu. Sie war seit meinem

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