ausgelacht hatte.
Die Erinnerung milderte nicht viel von meinem schlechten Gefuhl. Vielleicht hatte sie das, wenn ich mehr von Percys Naturell gehabt hatte.
»Streck die Arme aus, Baby«, sagte Brutal, »oder ich ziehe dir die Ohren lang.« Harry hatte bereits den jungen Mr. Wetmore losgelassen. Percy schluchzte wie ein kleines Kind, und die Tranen rannen jetzt uber seine Wangen. Er streckte die Arme aus wie ein Schlafwandler in einer Filmkomodie. Im Nu hatte ich seine Arme in den Armeln der Zwangsjacke. Ich hatte sie kaum uber seine Schultern gezogen, da lie? Brutal Percys Ohren los und schnappte sich die Riemen, die von den Armeln der Zwangsjacke hingen. Er riss Percys Arme zusammen, so dass sie fest auf seiner Brust gekreuzt waren. Harry schnappte sich unterdessen die Riemen am Rucken. Nachdem Percy nachgegeben und die Arme ausgestreckt hatte, war die ganze Sache binnen weniger als zehn Sekunden erledigt
»Okay, Percy-Boy«, sagte Brutal. »Vorwarts marsch!«
Percy ruhrte sich nicht von der Stelle. Er schaute Brutal an, dann blickte er entsetzt mit tranenfeuchten Augen zu mir. Er sagte jetzt nichts von seinen Beziehungen oder dass wir bis nach South Carolina wandern mussten, um eine kostenlose Mahlzeit zu bekommen; das war langst vorbei. »Bitte«, krachzte er heiser und tranenreich, »sperr mich nicht mit ihm ein, Paul.« Jetzt verstand ich, warum er in Panik war, warum er sich so heftig gewehrt hatte. Er dachte, wir wurden ihn zu Wild Bill Wharton in die Zelle stecken; dass seine Strafe fur den trockenen Schwamm bei Delacroix' Hinrichtung eine trockene Vergewaltigung durch den Psychopathen sein wurde. Bei diesem Gedanken empfand ich kein Mitleid mit Percy, sondern Abscheu, und ich wurde in meinem Entschluss bestarkt Er traute uns das zu, was er an unserer Stelle getan hatte. »Du kommst nicht zu Wharton«, sagte ich, »sondern in die Gummizelle. Du wirst drei oder vier Stunden darin verbringen, ganz allein im Dunkeln, und uber das nachdenken, was du Del angetan hast. Es ist vermutlich zu spat fur dich, irgendwelche Lektionen zu lernen, wie Leute behandelt werden sollen - Brutal denkt das jedenfalls -, aber ich bin Optimist. Und jetzt los.« Er setzte sich in Bewegung, murmelte vor sich hin, dass wir das bereuen wurden, sehr bereuen, aber insgesamt wirkte er erleichtert und beruhigt.
Als wir ihn auf den Gang fuhrten, schaute uns Dean mit weit aufgerissenen Augen so uberrascht und voller taufrischer Unschuld an, dass ich hatte lachen konnen, wenn die Sache nicht so ernst gewesen ware. Ich hatte schon bessere Schauspieler in Theatern in der tiefsten Provinz gesehen. »Sagt mal, meint ihr nicht, dass der Streich weit genug gegangen ist?« fragte Dean. »Du haltst die Klappe, wenn du wei?t was gut fur dich ist«, grollte Brutal. Das war der Text den wir beim Mittagessen abgesprochen hatten, und so klang es auch fur mich, nach eingeubtem Text aber wenn Percys Angst und Verwirrung gro? genug waren, dann konnten diese Worte Dean Stanton im Notfall den Job retten. Ich bezweifelte, dass der Notfall eintreten wurde, aber moglich war alles. Jedes Mal, wenn mir Zweifel kamen, damals oder seither, dann denke ich einfach daran, was John Coffey mit Delacroix' sterbender Maus bewirkt hatte.
Wir fuhrten Percy uber die Green Mile. Er stolperte und keuchte, er werde aufs Gesicht fallen, wenn wir nicht langsamer gingen. Wharton lag auf seiner Pritsche, aber wir gingen zu schnell daran vorbei, und ich konnte nicht sehen, ob er wach war oder schlief. John Coffey stand an der Tur seiner Zelle und beobachtete. »Du bist ein boser Mann und verdienst es, in diese dunkle Gummizelle zu kommen«, sagte er zu Percy, aber ich glaube nicht, dass Percy ihn horte.
Wir gingen in die Gummizelle. Percys Wangen waren rot und nass von Tranen, seine Augen rollten in den Hohlen, und die Locken, die er standig zu kammen pflegte, hingen wirr vor seiner Stirn.
Harry nahm Percys Waffe mit einer Hand und seinen geliebten Hickory-Schlagstock mit der anderen.
»Bekommst du zuruck, keine Sorge«, sagte Harry. Er klang ein bisschen verlegen.
»Ich wunsche, ich konnte das gleiche von deinem Job sagen«, erwiderte Percy. »Von all euren Jobs.
Das konnt ihr mir nicht antun! Das
Er war offenbar bereit, in dieser Art noch eine Weile weiterzumachen, aber wir hatten keine Zeit, uns
sein Gelaber anzuhoren. In meiner Tasche war eine Rolle Isolierband, der Vorfahr des Klebebands,
das die Leute heutzutage benutzen, in den Drei?igern. Percy sah, dass ich die Rolle
Isolierband aus der Tasche zog, und wich zuruck. Brutal packte ihn von hinten und umarmte ihn, bis
ich Isolierband uber Percys Mund geklebt hatte. Ich wand es um seinen ganzen Kopf herum, um
sicherzugehen. Er wurde ein paar Haare weniger haben, wenn das Isolierband abgezogen wurde, und
seine Lippen wurden dabei ladiert werden, aber das juckte mich nicht mehr.
Ich hasste Percy Wetmore.
Wir traten zuruck, weg von ihm. Er stand in der Mitte der Gummizelle unter der eingefassten
Gluhbirne, trug die Zwangsjacke, atmete durch geblahte Nasenflugel und stie? gedampfte Laute wie
andere Haftling, den wir je in diese Zelle gesperrt hatten.
»Je ruhiger du bist, desto eher kommst du raus«, sagte ich. »Denk daran, Percy.«
»Und wenn du dich einsam fuhlst, denk an Olive Oyl«, riet Harry. »Llck-uck-uck-uck.«
Dann gingen wir hinaus. Ich zog die Tur zu, und Brutal schloss sie ab. Dean stand ein Stuck entfernt
auf der Meile, gerade au?erhalb von Coffeys Zelle. Er hatte bereits den Hauptschlussel im oberen
Schloss der Zellentur. Wir vier schauten uns an, und keiner sagte etwas. Es war nicht notig. Wir
hatten die Maschinerie in Gang gesetzt; wir konnten nur hoffen, dass der Zug den Kurs nahm, den wir
geplant hatten, anstatt irgendwo unterwegs aus den Schienen zu springen.
»Willst du immer noch die Spazierfahrt mitmachen, John?« fragte Brutal.
»Ja, Sir«, sagte Coffey. »Das will ich.«
»Gut«, sagte Dean. Er schloss das obere Schloss auf, zog den Schlussel heraus und schob ihn in das
zweite Schloss.
»Mussen wir dich anketten, John?« fragte ich.
Coffey schien daruber nachzudenken. »Konnen Sie, wenn Sie wollen«, sagte er schlie?lich. »Muss
aber nicht sein.«
Ich nickte Brutal zu, der die Zellentur offnete, und wandte mich dann Harry zu, der mehr oder weniger
Percys .45er auf Coffey gerichtet hielt, als der schwarze Riese aus seiner Zelle trat.
»Gib Dean die Waffe«, sagte ich.
Harry blinzelte, als hatte ihn jemand aus dem Dosen geweckt.
Er sah, dass er Percys .45er und den Schlagstock immer noch in den Handen hielt und ubergab sie
Dean. Coffey ragte unterdessen auf dem Gang auf und rieb mit seinem kahlen Schadel fast uber eine
der Deckenlampen, die mit einem Drahtkafig umgeben waren. Als er dort stand, die Hande vor sich
gehalten, die Schultern gekrummt dachte ich wieder wie bei seiner Ankunft, dass er wie ein riesiger
gefangener Bar wirkte.
»Schlie? Percys Spielzeuge im Wachpult ein, bis wir zuruckkommen«, sagte ich.
»Das werde ich tun«, sagte Dean zu mir und ignorierte Harry.
»Und wenn jemand auftaucht - vermutlich wird sich niemand blicken lassen, aber im Falle eines Falles
-, was sagst du dann?«
»Dass Coffey gegen Mitternacht durchdrehte«, sagte Dean. Er wirkte so konzentriert wie ein Student
bei einem Examen. »Wir mussten ihm die Zwangsjacke verpassen und ihn in die Gummizelle sperren.
Wenn dort Gerausche ertonen, wird jeder denken, dass sie von ihm stammen.« Er wies auf Coffey.
»Und was sagst du uber uns?« fragte Brutal.
»Paul ist druben in der Verwaltung, beschaftigt sich mit Dels Akte und geht die Zeugenliste durch«,
sagte Dean. »Das ist diesmal besonders wichtig, weil die Hinrichtung so katastrophal war. Er sagte, er
wird vermutlich den Rest der Schicht dort sein. Du und Harry und Percy, ihr seid druben in der
Wascherei und wascht eure Kleidung.«
Nun, >die Kleidung waschen< sagten die Eingeweihten. In einigen Nachten gab es Wurfelspiele in der
Wascherei; in anderen wurde Blackjack oder Poker gespielt. Was auch immer gezockt wurde, man
sagte, die Warter, die daran teilnahmen, waschen ihre Kleidung<. Es gab fur gewohnlich
geschmuggelten oder schwarzgebrannten Alkohol bei diesen Zusammenkunften, und gelegentlich