sollte - das war jedenfalls der Plan. Weiteres Schmiergeld fur jemand, dachte ich insgeheim, aber wir

hatten die Wirtschaftskrise, und ich behielt meine Meinung fur mich - wie ich die Klappe uber Percy

hatte halten sollen, aber manchmal kann man sich einfach nicht zuruckhalten. Mit dem Mundwerk

handelt man sich meistens mehr Probleme ein als mit dem Schwanz. Die Autowerkstatt wurde

ubrigens nie realisiert - im nachsten Fruhjahr wurde das Gefangnis fast hundert Kilometer entfernt

nach Brighton verlegt. Wieder ein kleines Geschaft im Hinterzimmer, nehme ich an. Weiteres

Schmiergeld. Nichts fur mich.

Die Verwaltung war in ein neues Gebaude an der Ostseite des Hofs verlegt worden. Das Krankenrevier

zog um (welcher Bauernlackel die Idee gehabt hatte, ein Krankenrevier in den zweiten Stock zu

verlegen, war nur ein weiteres der Geheimnisse des Lebens).

In der Bucherei gab es noch einen Teil des Inventars - nicht, dass es jemals viel gegeben hatte -, aber

sonst war sie ausgeraumt. Das alte Gebaude war eine hei?e Holzbude, die sich zwischen den Blocks A

und B drangte. Deren Toiletten befanden sich hinten im Block, und in der ganzen Bucherei roch es

immer leicht nach Pisse, was vermutlich der einzige gute Grund fur den Umzug war. Die Bucherei war

ein L-formiger Bau und nicht viel gro?er als mein Buro. Ich hielt nach einem Ventilator Ausschau, aber

die waren alle schon abmontiert.

Es musste um die vierzig Grad Celsius gewesen sein, und ich spurte ein hei?es Pochen in meinem

Unterleib, als ich mich setzte. Wie bei einem entzundeten Zahn. Ich wei?, das ist absurd, wenn man

die Region bedenkt von der wir hier reden, aber ich finde keinen anderen Vergleich. Es wurde viel

schlimmer wahrend und nach dem Pinkeln, was ich getan hatte, bevor ich zur Bucherei gegangen war.

Nur ein anderer Typ war dort, ein durrer alter Kalfakter namens Gibbons. Er doste in einer Ecke mit einem Wildwestroman auf dem Scho? und der Mutze uber den Augen. Die Hitze storte ihn ebenso wenig wie das Achzen und Poltern und die gelegentlichen Fluche aus dem Krankenrevier uber der Bucherei (wo es mindestens zehn Grad hei?er sein musste; ich hoffte, Percy Wetmore genoss es). Ich storte Gibbons ebenfalls nicht, sondern ging zur kurzen Seite des L, wo die Zeitungen und Zeitschriften aufbewahrt wurden. Ich befurchtete, dass sie schon mitsamt den Ventilatoren abtransportiert worden waren, aber das waren sie nicht, und die Sache mit den Detterick-Zwillingen war leicht zu finden; sie hatte vom Tag nach dem Verbrechen im Juni an bis zum Prozess im Juli auf den Titelseiten gestanden. Damals fanden die Prozesse viel fruher statt.

Bald verga? ich die Hitze und das Poltern von oben und Old Gibbons' Schnarchen. Der Gedanke an diese neunjahrigen Madchen - an ihr blondes lockiges Haar und ihr liebes Zwillingslacheln - im Zusammenhang mit dem riesigen finsteren Coffey war unangenehm, aber unmoglich zu ignorieren. Angesichts seiner Gro?e konnte man sich leicht vorstellen, dass er sie tatsachlich verschlungen hatte wie ein Riese in einem Marchen.

Was er getan hatte, war sogar noch schlimmer, und es war Gluck fur ihn gewesen, dass er nicht gleich dort am Flussufer gelyncht worden war. Das hei?t, wenn man es als Gluck bezeichnen konnte, uber die Grune Meile zu gehen und sich auf Old Sparkys Scho? zu setzen.

4

Konig Baumwolle war im Suden siebzig Jahre vor all diesen Ereignissen entthront worden und wurde

nie wieder Konig sein, aber in jenen drei?iger Jahren lebte er wieder ein bisschen auf. Es gab keine

gro?en Baumwollplantagen mehr, aber vierzig oder funfzig gedeihende Farmen im sudlichen Teil

unseres Staates. Klaus Detterick besa? eine dieser Farmen. Nach dem Standard der 1950er Jahre

hatte man ihn nur eine Stufe uber bettelarm betrachtet, doch in den Drei?igern galt er als

wohlhabend, weil er seine Rechnung beim Kaufmann an den meisten Monatsenden in bar bezahlte

und dem Bankdirektor in die Augen schauen konnte, wenn sie sich zufallig auf der Stra?e begegneten.

Das Farmhaus war sauber und geraumig. Zusatzlich zur Baumwolle gab es Huhner und ein paar Kuhe.

Klaus Detterick und seine Frau hatten drei Kinder: Howard, der zwolf oder so war, und die Zwillinge

Cora und Kathe.

An einem warmen Abend Anfang Juni dieses Jahres baten die Madchen ihre Eltern, auf der Veranda

an der Seite des Hauses schlafen zu durfen, und sie erhielten die Erlaubnis. Dies war ein gro?es

Abenteuer fur sie. Ihre Mutter gab ihnen kurz vor neun Uhr den Gutenachtkuss, als das letzte Licht am

Himmel erloschen war. Sie sah die Madchen erst wieder, als sie in ihren Sargen lagen und der

Leichenbestatter den schlimmsten Schaden kaschiert hatte.

Landfamilien gingen in jenen Tagen fruh zu Bett - >wenn es dunkel unter dem Tisch wird<, pflegte

meine Mutter zu sagen - und schliefen tief und fest. Gewiss taten das Klaus, Marjorie und Howie

Detterick in der Nacht, in der die Zwillinge verschwanden. Klaus ware mit an Sicherheit grenzender

Wahrscheinlichkeit von Bowser, dem gro?en Halbblut-Collie der Familie, geweckt worden, wenn er

gebellt hatte, aber Bowser tat das nicht in dieser Nacht und niemals wieder.

Klaus stand beim ersten Tageslicht auf, um die Kuhe zu melken. Die Veranda befand sich an der Seite

des Hauses, dem Stall abgewandt und Klaus kam nicht in den Sinn, nach den Madchen zu schauen.

Dass Bowser sich nicht zu ihm gesellte, war nicht alarmierend. Der Hund fuhlte sich erhaben uber

Kuhe und Huhner, und fur gewohnlich versteckte er sich in seiner Hundehutte hinter dem Stall, wenn

die Arbeiten erledigt wurden, es sei denn, er wurde gerufen, aber das mussten schon energische Rufe

sein.

Marjorie kam ungefahr eine Viertelstunde nach ihrem Mann nach unten, nachdem Klaus seine Stiefel

angezogen hatte und zum Stall gestampft war. Sie machte Kaffee und briet Speck. Der Geruch von

Speck und Kaffee lockte Howie aus seinem Zimmer unter dem Dach herunter, aber nicht die Madchen

von der Veranda. Marjorie schickte Howie hinaus, um sie zu holen, wahrend sie Eier in das Fett des

Specks schlug. Klaus wurde die Madchen nach dem Fruhstuck frische Eier aus dem Huhnerstall holen

lassen.

Doch an diesem Morgen wurde im Haus der Dettericks nicht gefruhstuckt. Als Howie von der Veranda

zuruckkehrte, war er bleich, und seine zuvor schlafrigen Augen waren weit aufgerissen.

»Sie sind weg«, sagte er.

Marjorie eilte auf die Veranda, zuerst argerlich, dann beunruhigt. Sie sagte spater, sie habe, wenn sie uberhaupt etwas dachte, angenommen, dass die Madchen einen Spaziergang in der Morgendammerung gemacht hatten, um Blumen zu pflucken. Das oder etwas ahnlich Dummes, was so junge Madchen treiben. Ein Blick, und sie erkannte, warum Howie totenbleich war. Sie schrie nach Klaus - schrie gellend -, und Klaus eilte im Laufschritt zu ihr. Seine Arbeitsstiefel waren wei?, weil er bei dem schrecklichen Schrei einen halben Eimer Milch daruber verschuttet hatte. Er fand auf der Veranda etwas, bei dem die Beine der tapfersten Eltern weich geworden waren. Die Decken, in die sich die Madchen gehullt hatten, als die Nacht kalter geworden war, lagen in einer Ecke. Die Tur der Gitterwand um die Veranda war mit Gewalt aus der oberen Angel gerissen worden und hing schief in den Hof. Und auf den Brettern der Veranda und der Treppe jenseits der zerstorten Tur waren Blutflecken.

Marjorie flehte ihren Mann an, die Madchen nicht allein zu suchen und nicht ihren Sohn mitzunehmen, wenn er doch losziehen wollte, aber sie hatte sich den Atem sparen konnen. Er nahm die Schrotflinte, die er in der Abstellkammer hoch oben au?er Reichweite kleiner Hande aufbewahrte, und gab Howie den 22er, den er zu seinem Geburtstag im Juli hatte bekommen sollen. Dann zogen sie los, und keiner von beiden beachtete die schreiende, weinende Frau, die wissen wollte, was sie tun wurden, wenn sie auf eine Bande von Landstreichern oder eine Horde bosartiger Nigger stie?en, die von der Erziehungsanstalt druben in Laduc gefluchtet sein mochte.

Ich denke, in diesem Punkt hatten die Manner recht das Blut auf der Veranda war nicht mehr flussig, aber es war noch zah und eher rot als kastanienbraun, wie es wird, wenn es ganz getrocknet ist. Die Entfuhrung musste vor nicht allzu langer Zeit stattgefunden haben. Klaus musste sich gesagt haben, dass noch eine Chance fur die Madchen bestand, und er wollte sie nutzen. Keiner der beiden verstand etwas vom Spurenlesen - sie waren Sammler, keine Jager, Manner, die in den Waldern in der Saison mit auf die Jagd nach Rotwild gingen, weil man es von ihnen erwartete, nicht, weil sie es sich wunschten. Und rings um das Farmhaus gab es im Dreck Spuren, die sich alle in einem fur sie undeutbaren Gewirr uberlappten. Sie gingen um den Stall herum und sahen sofort, warum Bowser, ein schlechter Bei?er, aber guter Beller, keinen Alarm geschlagen hatte. Er hing halb in und halb aus der Hundehutte, die aus ubrig gebliebenen Stallbrettern gebaut worden war (es war sogar ein Schild mit der sorgfaltig gemalten Aufschrift Bowser uber der gewolbten Offnung der Hundehutte - ich sah ein Foto davon in einer der Zeitungen), und sein Genick war gebrochen. Es bedurfte gewaltiger Kraft, um einem so gro?en Tier das anzutun, sagte der Anklager spater vor der Jury bei John Coffeys Prozess, und dann schaute er lange und

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