bedeutungsvoll auf den riesigen Angeklagten, der hinter dem Tisch der Verteidigung sa?, den Blick niedergeschlagen hatte und nagelneue Straflingskleidung trug, die an sich schon wie eine Verdammung wirkte. Neben dem Hund fanden Klaus und Howie ein Stuck Wurst. Die Theorie - eine vernunftige, daran habe ich keinen Zweifel - besagte, dass Coffey zuerst den Hund mit der Wurst gekodert und ihm dann, als er zu fressen begonnen hatte, das Genick mit seinen machtigen Pranken gebrochen hatte.
Jenseits des Stalls erstreckte sich Dettericks Nordweide, auf der an diesem Tag keine Kuhe weiden wurden. Sie war nass vom Morgentau, und darin waren Spuren zu sehen, die offenbar nach Nordwesten fuhrten.
Selbst in seiner fast hysterischen Verfassung zogerte Klaus Detterick zuerst, der Spur zu folgen. Es war keine Furcht vor dem Mann oder den Mannern, die seine Tochter entfuhrt hatten, sondern die Besorgnis, dass er den Spuren in der falschen Richtung folgte, wahrend vielleicht jede Sekunde zahlte. Howie loste das Dilemma, indem er einen Fetzen gelben Baumwollstoff von einem Busch gleich hinter dem Rand des Hofes pfluckte. Man zeigte Klaus denselben Fetzen, als er auf der Zeugenbank sa?, und er begann zu heulen, als er ihn als ein Stuck von der Pyjamahose seiner Tochter Kathe identifizierte. Zwanzig Schritte jenseits davon hing auf einem Wacholderstrauch ein grunes Stoffstuck, das zu Coras Nachthemd passte, das sie getragen hatte, als sie ihrer Mutter den Gutenachtkuss gegeben hatte. Die Dettericks, Vater und Sohn, liefen los mit vorgereckten Waffen wie Soldaten, wenn sie umkampftes Gebiet unter heftigem Beschuss durchqueren. Wenn mich irgend etwas an den Ereignissen dieses Tages erstaunt, dann die Tatsache, dass der Junge, der verzweifelt hinter seinem Vater her hetzte (und oftmals kaum Anschluss halten konnte), nicht sturzte und Klaus Detterick aus Versehen eine Kugel in den Rucken schoss.
Das Farmhaus war ans Telefonnetz angeschlossen - ein anderes Anzeichen fur die Nachbarn, dass die Dettericks wohlhabend waren, wenigstens in bescheidenem Ma?e in miserablen Zeiten -, und Marjorie rief uber die Vermittlung so viele der Nachbarn an, die ebenfalls Telefon hatten, wie sie nur konnte. Sie erzahlte von der Katastrophe, die wie ein Blitz aus heiterem Himmel uber sie gekommen war. Sie wusste, dass jeder Anruf gro?ere Kreise ziehen wurde, als ob Kiesel in einen stillen Teich geworfen wurden. Dann hob sie den Horer ein letztes Mal ab und sprach die Worte, die fast ein Markenzeichen in den fruhen Telefonsystemen waren, jedenfalls im landlichen Suden: »Hallo, Vermittlung, sind Sie in der Leitung?«
Die Lady von der Vermittlung war es, aber einen Augenblick lang war sie sprachlos; die wackere Frau
war ganz aus dem Hauschen. Schlie?lich fand sie die Sprache wieder. »Ja, Ma'am, Mrs. Detterick, ich
bin es, o mein Gott, ich bete, dass Ihre kleinen Madchen wohlauf sind ...«
»Ja, danke«, sagte Marjorie. »Aber sagen Sie Gott, dass er bitte lange genug wartet, damit Sie mich
mit dem Sheriff s Office in Tefton verbinden konnen, ja?«
Der Sheriff des Trapingus County war ein alter Knabe mit Saufernase, einem Bauch wie eine
Waschtonne und mit wei?em Haar, das so dunn war, dass es wie der Flaum eines Pfeifenreinigers
aussah. Ich kannte ihn gut; er war oft in Cold Mountain gewesen, um zuzusehen, wie >seine Jungs<
ins Jenseits gingen. Zeugen der Hinrichtung sa?en auf den gleichen Klappstuhlen, auf denen Sie
vielleicht auch schon gesessen haben, bei Beerdigungen oder bei Kirchenfeiern oder Bingospielen auf
dem Land (wir mieteten sie in jenen Tagen bei einem Verleih), und jedes Mal, wenn Sheriff Homer
Cribus sich auf einen solchen Klappstuhl setzte, wartete ich auf ein Knacken, das ein
Zusammenkrachen ankundigen wurde. Ich befurchtete und wartete zugleich darauf, dass der
Klappstuhl zusammenbrechen wurde, aber dieser Tag kam niemals. Kurze Zeit danach - es kann nicht
langer als einen Sommer nach der Entfuhrung der Detterick - Madchen gewesen sein - erlitt der
Sheriff einen Herzanfall in seinem Buro, offenbar, wahrend er ein siebzehnjahriges schwarzes
Madchen namens Daphne Shurdeff vogelte.
Es gab viel Gerede daruber, denn er zeigte sich immer vor der Wahl mit seiner Frau und sechs Sohnen
- das war die Zeit, in der man >Baptist oder weg vom Fenster< war, wenn man fur ein offentliches
Amt kandidieren wollte. Aber die Leute lieben einen Scheinheiligen, wissen Sie - sie erkennen einen
der ihren darin und fuhlen sich immer gut, wenn jemand mit Hose runter, Fimmel rauf erwischt wird
und sie es nicht selbst sind.
Er war au?er scheinheilig auch unfahig und der Typ, der sich beim Streicheln der Katze irgendeiner
Lady fotografieren lie?, wenn ein anderer - zum Beispiel Deputy Rob McGee - seine Knochen riskiert
hatte, indem er auf den Baum geklettert war und die Pussycat der Lady heruntergeholt hatte.
McGee horte sich Marjorie Dettericks gestammelte Worte vielleicht zwei Minuten lang an, und dann
unterbrach er sie mit vier oder funf Fragen -schnell und knapp, wie ein trainierter Boxer kleine kurze
Geraden zum Gesicht tupft, die Art Treffer, die so fix und hart sind, dass Blut lauft, bevor der Gegner
etwas spurt.
Als sie die Fragen beantwortet hatte, sagte er: »Ich rufe Bobo Marchant. Der hat Hunde. Sie ruhren
sich nicht von der Stelle, Mrs. Detterick. Wenn Ihr Mann und Dir Sohn zuruckkehren, sollen sie sich
ebenfalls nicht vom Fleck ruhren.«
Ihr Mann und ihr Sohn waren unterdessen der Spur des Entfuhrers ungefahr drei Meilen nach
Nordwesten gefolgt, aber sie verloren die Fahrte, als sie aus dem freien Gelande in den Kiefernwald
fuhrte. Sie waren Farmer, keine Jager, wie ich schon sagte, und inzwischen wussten sie, dass sie
hinter einem Tier her waren. Unterwegs hatten sie das gelbe Oberteil von Kathes Pyjama gefunden
und ein weiteres Stuck von Coras Nachthemd. Beide Stucke waren blutgetrankt, und weder Klaus
noch Howie hatten es so eilig wie zu Beginn der Verfolgung; eine kalte Gewissheit musste in ihre
hei?en Hoffnungen gesickert und hinabgesunken sein wie kaltes Wasser, weil es schwerer ist.
Sie warfen einen Blick in den Wald, hielten Ausschau nach Anzeichen auf die Madchen, fanden keine,
warfen an einer anderen Stelle einen zweiten Blick in den Wald, ebenso ohne Resultat und dann einen
dritten. Diesmal fanden sie Blutspritzer auf den Nadeln einer Kiefer. Sie gingen ein Stuck in die
Richtung, in die das Blut zu weisen schien, und begannen die Prozedur mit dem Blickewerfen von
neuem.
Es war inzwischen neun Uhr, und hinter sich horten sie jetzt die Rufe von Mannern und das Bellen von
Hunden.
Rob McGee hatte eine Posse in der Zeit zusammengestellt, die Sheriff Cribus gebraucht hatte, um eine
erste Tasse Kaffee mit Brandy zu trinken, und eine Viertelstunde spater holten sie Klaus und Howie
Detterick ein, die verzweifelt den Waldrand absuchten. Bald zogen die Manner weiter, und Bobos
Hunde fuhrten sie an. McGee lie? Klaus und Howie mitkommen - sie waren nicht umgekehrt, wenn er
es befohlen hatte, ganz gleich, wie sehr sie das Ergebnis der Suche furchteten, und McGee musste
das erkannt haben -, aber er lie? sie ihre Waffen entladen. McGee behauptete, die anderen hatten das
ebenfalls getan, der Sicherheit wegen. Er sagte ihnen nicht (und keiner sonst klarte sie auf), dass die
Dettericks die einzigen waren, die ihre Munition dem Deputy hatten aushandigen mussen. Die
Dettericks waren aufgewuhlt und hatten nur den Wunsch, den Alptraum hinter sich zu bringen, und so
taten sie, was von ihnen verlangt wurde.
Als Rob McGee die Dettericks dazu brachte, ihre Waffen zu entladen und die Patronen abzuliefern,
rettete er vermutlich John Coffeys elendes Leben.
Die klaffenden Hunde zogen sie durch vielleicht zwei Meilen Kiefernwald, immer weiter nach
Nordwesten.
Dann gelangten sie an das Ufer des Trapingus River, der an dieser Stelle breit ist und langsam
sudostwarts durch niedrige, bewaldete Hugel flie?t, wo Familien namens Cray und Robinette und
Duplissey immer noch eigene Mandolinen herstellten und oftmals aus verfaulten Zahnen spuckten,
wahrend sie pflugten; es war tiefste Provinz, wo Manner am Sonntagmorgen Schlangen fingen und in
der Sonntagnacht Geschlechtsverkehr mit ihren Tochtern hatten. Ich kannte ihre Familien; die meisten
davon hatten Old Sparky von Zeit zu Zeit eine Mahlzeit geschickt.
Am anderen Ufer des Flusses konnten die Manner der Posse die Schienen einer Nebenlinie der Great
Southern Railroad sehen, auf denen sich die Junisonne spiegelte. Ungefahr anderthalb Meilen
flussabwarts zu ihrer Rechten fuhrte eine Bockbrucke uber den Fluss zum Kohlenrevier von West
Green.
Dort fanden sie einen gro?en zertrampelten Fleck im Gras zwischen niedrigen Buschen, und der Fleck
war so blutig, dass viele der Manner in den Wald zuruckliefen und ihr Fruhstuck von sich gaben. Sie