fanden auch den Rest von Coras Nachthemd auf dieser blutigen Stelle, und Howie, der sich bis zu

diesem Zeitpunkt bewundernswert gehalten hatte, prallte zuruck gegen seinen Vater und wurde fast

ohnmachtig.

Und hier hatten Bobo Marchants Hunde die erste und einzige Meinungsverschiedenheit an diesem

Tag. Es waren insgesamt sechs, zwei Bluthunde, zwei Schaferhunde und zwei terrierartige

Bastardhunde.

Die Bastardhunde wollten nach Nordwesten, am Trapingus River entlang flussaufwarts, und der Rest

wollte in die andere Richtung, nach Sudosten. Alle verhedderten sich in ihren Leinen, und obwohl uber

diesen Teil nichts in den Zeitungen stand, kann ich mir die wilden Fluche vorstellen, die Bobo auf sie

niederprasseln lie?, wahrend er seine Hande benutzte - sie waren zweifellos seine gro?e Starke -, um

die Leinen zu entwirren. Ich habe ein paar Hundefuhrer gekannt in meinem Leben, und nach meiner

Erfahrung entsprechen sie Bemerkenswerterweise alle einem bestimmten Typus.

Bobo stoppte sie an kurzen Leinen und hielt ihnen das Stuck von Cora Dettericks Nachthemd unter die

Nasen, um sie daran zu erinnern, was sie an einem Tag hier drau?en taten, an dem es gegen Mittag

um die vierzig Grad Celsius hei? sein wurde und die Mucken bereits in Schwarmen um die Kopfe der

Possebeteiligten schwirrten. Die Hunde schnuffelten noch einmal, stimmten mit Gebell ab, welche

Richtung sie wahlen sollten, und dann zogen sie alle flussabwarts.

Zehn Minuten spater blieben die Manner plotzlich stehen, denn sie horten auf einmal mehr als nur das

Klaffen der Hunde. Es war mehr ein Heulen als ein Bellen, ein Gerausch, das kein Hund jemals von

sich gegeben hatte, nicht einmal in gro?ter Not vor dem Sterben. Es waren Laute, die keiner der

Manner jemals von irgend etwas gehort hatte, aber es war ihnen allen sofort klar, dass sie von einem

Menschen stammten. Das sagten sie jedenfalls, und ich glaubte ihnen. Ich glaube, ich hatte es

ebenfalls erkannt. Ich habe Menschen auf ihrem Weg zu dem elektrischen Stuhl so schreien gehort.

Nicht viele - die meisten verschlie?en sich und gehen entweder still oder scherzen, als ware es ein

Klassenausflug -, aber ich habe ein paar erlebt. Fur gewohnlich diejenigen, die glauben, dass die Holle

ein realer Ort ist und wissen, dass sie am Ende der Grunen Meile auf sie wartet.

Bobo nahm seine Hunde wieder an die kurze Leine. Sie waren wertvoll, und er wollte sie nicht an den

Psychopathen verlieren, der heulend und sabbernd dort am Flussufer hockte. Die anderen Manner

luden ihre Waffen durch und packten sie fester. Dieses Heulen hatte sie alle erschauern lassen, und

der Schwei? unter ihren Achseln und auf dem Rucken fuhlte sich an wie Eiswasser.

Wenn Manner so erschauern, brauchen sie einen Fuhrer, um den Weg fortzusetzen, und Deputy

McGee ubernahm diese Rolle. Er trat an die Spitze und ging forsch (ich wette, er fuhlte sich in diesem

Augenblick jedoch ganz anders) zu einer Gruppe Erlen, die zur Rechten aus dem Wald ragte, und der

Rest folgte ihm nervos mit funf Schritten Abstand. McGee verharrte nur einmal, und zwar, um dem

gro?ten der Manner - Sam Hollis - einen Wink zu geben, nahe bei Klaus Detterick zu bleiben.

Auf der anderen Seite der Erlen gab es eine Lichtung bis zum Waldrand zur Rechten. Links war der

lange, sanft abfallende Hang des Flussufers. Alle stoppten auf der Stelle, wie vom Blitz getroffen. Ich

nehme an, sie hatten viel dafur gegeben, nicht sehen zu mussen, was da vor ihnen war, und keiner

von ihnen wurde es jemals vergessen, es war die Art Alptraum, die jenseits der Vorgange von gutem

und normalem Leben liegt -Abendgottesdienste, Spaziergange auf dem Land, ehrliche Arbeit, Kusse

der Liebe im Bett. Jeder Mensch hat einen Totenschadel in sich, und ich sage Ihnen, dass ein

Totenkopf in den Leben aller Menschen ist. Sie sahen es an diesem Tag, diese Manner - sie sahen,

was manchmal hinter dem Lacheln grinst.

Auf dem Flussufer sa? in einer verwaschenen, blutbefleckten Latzhose der gro?te Mann, den sie

jemals gesehen hatten - John Coffey. Seine gewaltigen Plattfu?e waren nackt. Er trug ein verblichenes

rotes Kopftuch, wie es Frauen vom Land tragen, wenn sie zur Kirche gehen. Mucken schwirrten in

einer dunklen Wolke um ihn herum.

In jedem Arm hielt er die Leiche eines nackten Madchens. Ihr blondes Haar, einst lockig und leicht

und seidig, klebte jetzt verfilzt und blutig an ihren Kopfen.

Der Mann, der sie hielt, heulte den Himmel an wie ein mondsuchtiges Kalb, Tranen rannen uber seine

dunkelbraunen Wangen, und sein Gesicht war vor Schmerz und Trauer verzerrt. Er atmete sto?weise,

seine Brust hob sich, bis sich die Trager der Latzhose spannten, und dann stie? er die angestaute Luft

aus, um wieder lang gezogen zu heulen. Sehr oft liest man in der Zeitung: >Der Morder zeigte keine

Reue<, aber das war hier nicht der Fall. Es zerriss John Coffey fast was er angerichtet hatte - aber er

wurde leben. Die Madchen nicht. Sie waren auf schwerwiegendere Art und Weise zerrissen worden.

Keiner wusste spater zu sagen, wie lange sie dort standen und auf den heulenden Mann starrten, der

seinerseits uber den Fluss hinweg zu einem Zug auf der anderen Seite schaute, der auf die Brucke zu

fuhr, die das Wasser uberspannte. Es war, als ob sie eine Stunde lang oder ewig hinschauten und sich

der Zug trotzdem nicht weiterbewegte. Er schien auf der Stelle zu treten wie ein Kind bei einem

Wutanfall, und die Sonne verschwand nicht hinter einer Wolke, und der grauenvolle Anblick wurde

nicht vor ihren Augen ausgeloscht.

Er war dort vor ihnen, so real wie ein Hundebiss. Der schwarze Mann wiegte sich auf und ab, und

Cora und Kathe schaukelten mit ihm vor und zuruck wie Puppen in den Armen eines Riesen, Die

Muskeln der blutbefleckten gewaltigen Arme des Mannes spannten sich, entspannten sich, spannten

sich, entspannten sich, spannten sich, entspannten sich.

Es war Klaus Detterick, der die makabre Idylle zerstorte.

Schreiend warf er sich auf das Monster, das seine Tochter vergewaltigt und ermordet hatte. Sam

Hollis kannte seinen Job und versuchte sein Bestes, doch er schaffte es nicht. Er war gut einen Kopf

gro?er als Klaus und mindestens siebzig Pfund schwerer, aber Klaus schuttelte scheinbar muhelos

seine Arme ab, mit denen er ihn festhalten wollte.

Klaus flog formlich auf Coffey zu und versetzte ihm noch im Flug einen Tritt an den Kopf. Sein

Arbeitsstiefel, bedeckt mit verschutteter Milch, die in der Warme bereits sauer geworden war, traf

Coffeys linke Schlafe, doch Coffey schien uberhaupt nichts zu spuren. Er sa? nur da, stie? ein

klagendes Heulen aus, wiegte sich vor und zuruck und schaute uber den Fluss. Ich stelle mir vor, dass

er fast wie ein Bild aus einem Bibeldruck wirkte, der getreue Anhanger des Kreuzes, der durch einen

Kiefernwald zum Gelobten Land schaut - wenn nicht die Leichen auf seinen Armen gewesen waren.

Vier Manner mussten den hysterischen Farmer von John Coffey zuruckrei?en, und er versetzte Coffey

ich wei? nicht wie viele harte Schlage, bis sie es schlie?lich geschafft hatten, ihn zu bandigen. Coffey

war es anscheinend gleichgultig, ob er angegriffen wurde oder nicht; er schaute einfach weiter uber

den Fluss hinweg und wehklagte.

Detterick verlor alle Energie, als er schlie?lich von Coffey weggezerrt wurde, als ob eine sonderbare

elektrisierende Stromung durch den riesigen schwarzen Mann hindurchgelaufen ware (ich neige dazu,

in elektrischen Metaphern zu denken; verzeihen Sie mir), und als Dettericks Kontakt mit dieser

Energiequelle schlie?lich unterbrochen wurde, erschlaffe er wie ein Mann, der einen Stromschlag

abbekommen hatte, sank am Flussufer auf die Knie, schlug die Hande vors Gesicht und schluchzte.

Howie kniete sich neben ihn, und sie umarmten sich, Stirn an Stirn.

Zwei Manner passten eine Weile auf sie auf, wahrend der Rest einen waffenstarrenden Ring um den

auf und ab schaukelnden, wehklagenden Schwarzen bildete. Er nahm anscheinend immer noch nicht

wahr, dass au?er ihm jemand da war. McGee schritt naher zu ihm, trat unsicher von einem Fu? auf

den anderen und ging dann in die Hocke.

»Mister«, sagte er mit ruhiger Stimme, und Coffey verstummte sofort McGee schaute in Augen, die

vom Heulen blutunterlaufen waren. Diese Augen weinten und blickten dennoch irgendwie

teilnahmslos, distanziert und gelassen. Ich fand bei Coffeys Einlieferung, es waren die sonderbarsten

Augen, die ich jemals gesehen hatte, und McGee hatte damals vor mir dasselbe empfunden.

»Wie die Augen eines Tiers, das noch nie einen Menschen gesehen hat«, sagte er einem Reporter

kurz vor dem Prozess.

»Mister, horst du mich?« fragte McGee.

Langsam nickte Coffey. Immer noch hielt er seine entsetzlichen Puppen auf den Armen. Ihr Kinn war

auf die Brust gesunken, so dass ihr Gesicht nicht zu sehen war, eine der wenigen Barmherzigkeiten,

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