zu steigen, wie die Blatter zusammenzuharken, die wahrend des letzten Gewitters gefallen waren. Sie
horten naturlich den Truck - Harry Terwilligers gottverdammten Farmall, dessen Motor brullte und
durch einen Auspuff furzte, der nicht durch einen Auspufftopf gedampft wurde. Holle, das
Ehepaar Moores schlief in diesen Nachten vermutlich ohnehin nicht so gut.
Ein Licht weiter vorn im Haus ging an (in der Kuche), dann im Wohnzimmer, dann im Flur, dann auf
der Veranda. Ich beobachtete diese vorwarts marschierenden Lichter, wie ein Mann, der vor einer
Betonmauer steht und seine letzte Zigarette raucht das Nahen des Erschie?ungskommandos
beobachten mag. Aber ich wollte mir selbst da noch nicht eingestehen, dass es zu spat war, bis das
abgehackte Tuckern des Motors verstummte, Turen klappten und Kies knirschte, als Harry und Brutal
ausstiegen. John stand auf und zog mich mit hoch. Im schwachen Licht wirkte sein Gesicht lebhaft
und eifrig. Warum auch nicht? Ich erinnere mich, dass ich das dachte. Warum sollte er nicht eifrig
aussehen? Er war ein Idiot. Brutal und Harry standen Schulter an Schulter hinter dem Truck - wie
Jungen in einem Gewitter, und ich sah, dass beide so angstlich, verwirrt und nervos aussahen, wie ich
mich fuhlte. Dadurch fuhlte ich mich noch schlimmer.
John stieg vom Truck. Fur ihn war das mehr ein Schritt als ein Sprung. Ich folgte ihm, steifbeinig und
unglucklich. Ich ware auf den kalten Kies gefallen, wenn Coffey mich nicht am Arm gepackt hatte.
»Dies ist ein Fehler«, sagte Brutal. Seine Augen waren sehr gro? und spiegelten Angst wider.
»Allmachtiger, Paul, was haben wir uns dabei gedacht?«
»Zu spat jetzt«, sagte ich. Ich stie? Coffey an der Hufte an, und er ging gehorsam zu Harry und blieb
neben ihm stehen. Dann schnappte ich mir Brutal am Ellenbogen, als waren wir ein Paar, das sich
verabredet hatte, und wir gingen zur Veranda, auf der jetzt die Lampe brannte.
»Uberlass mir das Reden. Verstanden?«
»Ja«, sagte Brutal. »Das ist im Augenblick das einzige, was ich verstehe.« Ich blickte uber die
Schulter. »Harry, bleib mit ihm beim Truck bis ich dich rufe. Ich will nicht, dass Moores ihn sieht,
bevor ich fertig bin.« Ich wurde jedoch niemals fertig werden. Das wusste ich jetzt.
Brutal und ich hatten gerade den Fu? der Veranda erreicht, als die Tur so hart aufgerissen wurde,
dass der Turklopfer aus Messing gegen die Platte schlug. Dort stand Hal Moores in blauer Pyjamahose
und einem TShirt. Sein graues Haar stand wirr vom Kopf ab. Er war ein Mann, der sich in seiner
Laufbahn Tausende Feinde gemacht hatte, und das wusste er. In seiner rechten Hand hielt er den
Revolver, der immer uber dem Kamin hing und dessen abnorm langer Lauf jetzt nicht ganz auf den
Boden zeigte. Es war die Art Waffe, die als Ned Buntline Special bekannt ist. Sie hatte seinem
Gro?vater gehort, und jetzt (ich sah es, und mir rutschte wieder etwas in die Hose) war sie voll
gespannt.
»Wer, zur Holle, ist das um halb drei am Morgen?« fragte er. Ich horte keinerlei Furcht in seiner
Stimme. Und sein Zittern hatte aufgehort - jedenfalls vorubergehend. Die Hand mit der Waffe war
vollig ruhig. »Antwortet, oder ...« Er hob die Waffe an.
»Stop, Direktor!« Brutal hob die Hande mit den Handflachen nach vorn zu dem Mann mit der Waffe
hin. Ich hatte seine Stimme noch niemals so gehort wie in diesem Augenblick; es war, als ob das
Zittern von Moores' Handen irgendwie einen Weg in Brutus Howells Kehle gefunden hatte.
»Wir sind es! Paul und ich und ... Wir sind es!«
Er trat auf die erste Stufe der Verandatreppe, damit der Lichtschein auf sein Gesicht fallen konnte. Ich
folgte ihm. Hal Moores blickte zwischen uns hin und her, und seine wutende Entschlossenheit ging in
Verwirrung uber. »Was macht ihr denn hier?« fragte er. »Es ist nicht nur mitten in der Nacht, sondern
ihr Jungs habt auch Dienst. Ich wei? das, ich habe den Dienstplan in meinem Arbeitszimmer
aufgehangt. Also was, im Namen Gottes ... O verdammt ist etwas passiert? Ein Aufruhr?« Er schaute
zwischen uns hin und her, und sein Blick wurde scharfer.
»Wer sonst noch ist dort bei diesem Lastwagen?«
und ich brachte kein Wort heraus. Auf dem Weg zur Arbeit an diesem Nachmittag hatte ich mir
sorgfaltig zurechtgelegt, was ich hier sagen wurde, und hatte gedacht, dass es nicht zu verruckt
klang. Nicht normal - nichts bei dieser Sache war normal -, aber vielleicht nahe genug an der
Normalitat, dass er uns ins Haus lie? und uns eine Chance gab. Dass er
jetzt waren alle meine sorgfaltig geubten Worte in der Verwirrung verloren gegangen.
Gedanken und Bilder wirbelten durch meinen Kopf wie Sand in einer Sandhose - der brennende Del,
die sterbende Maus, Toot, der auf Old Sparkys Scho? ruckte und schrie, dass er ein gerosteter
Truthahn sei. Ich glaube, dass es Gutes auf der Welt gibt, dass auf die eine oder andere Weise alles
von einem liebenden Gott kommt Aber ich glaube, es gibt ebenso eine andere Kraft, die genauso real
wie der Gott ist,
unsere anstandigen Impulse zu ruinieren. Nicht Satan, ich meine nicht Satan (obwohl ich glaube, dass
der ebenfalls real ist), sondern eine Art Damon der Zwietracht, ein zu Streichen aufgelegtes und
blodes Ding, das schadenfroh lacht, wenn sich ein alter Mann selbst in Brand steckt bei dem Versuch,
seine Pfeife anzuzunden, oder wenn ein geliebtes Baby das erste Weihnachtsspielzeug in den Mund
steckt und daran erstickt. Ich habe viele Jahre daruber nachgedacht, auf dem ganzen Weg von Gold
Mountain nach Georgia Pines, und ich glaube, diese Kraft war aktiv am Werk bei uns an diesem
Morgen, waberte uberall wie Nebel herum und versuchte, John Coffey von Melinda Moores
fernzuhalten.
»Direktor ... Hal ... ich ...« Nichts, was ich versuchte, ergab irgendeinen Sinn. Er hob wieder die Waffe
und zielte zwischen mir und Brutal hindurch, ohne zuzuhoren. Seine blutunterlaufenen Augen waren
jetzt weit aufgerissen. Und da kam Harry Terwilliger, mehr oder weniger gezogen von unserem
gro?en Jungen, der sein breites, damliches, entzuckendes Lacheln zeigte.
»Coffey«, keuchte Moores. »John Coffey.« Er holte Luft und brullte mit einer Stimme, die quakend,
jedoch fest klang: »Halt! Stehenbleiben, oder ich schie?e!«
Irgendwo hinter ihm ertonte eine schwache und zittrige Frauenstimme: »Hal? Was machst du da
drau?en? Mit wem sprichst du, du verdammter Arschficker?«
Er blickte kurz in ihre Richtung, und seine Miene spiegelte Besturzung und Verzweiflung
wider. Er war nur kurz abgelenkt, wie ich schon sagte, aber es hatte lange genug fur mich sein sollen,
um ihm die langlaufige Waffe aus der Hand zu rei?en. Aber ich konnte meine Hande nicht heben. Es
war, als waren schwere Gewichte daran gebunden. Mein Kopf schien voller atmospharischer
Storungen zu sein wie ein Radio, das wahrend eines Gewitters sendet Die einzigen Gefuhle, an die ich
mich erinnere, waren Furcht und so etwas wie Mitleid mit Hal, dem die Worte seiner Frau peinlich
waren.
Harry und John Coffey erreichten den Fu? der Veranda. Moores wandte den Kopf vom Klang der
Stimme seiner Frau fort und hob wieder den Revolver. Er sagte spater, dass er fest entschlossen
gewesen war, Coffey zu erschie?en; er argwohnte, dass wir alle Geiseln waren und der Kopf, der
hinter unserer Entfuhrung steckte, beim Truck in der Dunkelheit lauerte. Er verstand nicht warum man
uns zu seinem Haus gebracht hatte, aber Rache war anscheinend die wahrscheinlichste Moglichkeit.
Bevor er schie?en konnte, trat Harry Terwilliger vor Coffey und schirmte das meiste von seinem
Korper ab.
Coffey hatte ihn nicht dazu aufgefordert; Harry tat es aus eigenem Antrieb.
»Nein, Direktor Moores!« sagte er. »Es ist alles in Ordnung! Keiner ist bewaffnet, keinem wird etwas
passieren, wir sind hier, um zu helfen!«
»Helfen?« Moores' buschige Brauen zogen sich zusammen. Seine Augen gluhten vor
den Blick nicht von dem gespannten Hammer des Buntline nehmen.
Wie als Antwort ertonte wieder die zitternde alte Frauenstimme, quengelig und bestimmt und ohne