pumpend, und der Atem, den ich einsog und ausatmete, war so warm wie etwas, das man unter der

Achsel getragen hat. Ich joggte den halben Weg zum parkenden Ford zuruck und ging den Rest des

Weges langsam, und mein Atem dampfte in der kalten Luft. Als ich zu Hause eintraf, erzahlte ich

Janice, dass John Coffey mir gesagt hatte, er sei bereit und wolle sterben. Sie nickte und wirkte

erleichtert. War sie das wirklich? Ich konnte es nicht sagen. Vor sechs Stunden, sogar vor drei, hatte

ich es gewusst aber nun wusste ich es nicht. Und das war gut. John hatte gesagt, dass er es leid war,

und jetzt konnte ich verstehen, warum. Was er hatte, hatte jeden erschopft. Jeder hatte sich nach

Ruhe und Frieden gesehnt.

Als Janice fragte, warum mein Gesicht so gerotet war und warum ich so verschwitzt roch, erzahlte ich

ihr, dass ich den Wagen auf dem Heimweg geparkt hatte und eine Weile gelaufen war, und zwar

schnell. Soviel erzahlte ich ihr - wie ich vielleicht schon gesagt habe (es sind jetzt zu viele Seiten, und

ich will nicht zuruckblattern, um mich zu vergewissern), belegen wir uns nicht in unserer Ehe -, aber

ich erzahlte ihr nicht, warum ich gelaufen war.

Und sie fragte nicht.

9

Es gab kein Gewitter in der Nacht in der John Coffey uber die Green Mile gehen musste. Es war der Jahreszeit entsprechend in dieser Gegend und in den drei?iger Jahren kalt, und der Schein von Millionen Sternen fiel auf die abgeernteten Felder, wo Frost auf Zaunpfosten glitzerte und wie Diamanten auf den vertrockneten Maiskolben des vergangenen Juli funkelte. Bei dieser Hinrichtung hatte Brutus Howell die Leitung - er wurde dem Todeskandidaten die Haube aufsetzen und Van Hay im Schaltraum das Kommando geben, wenn es soweit war. Bill Dodge war bei Van Hay. Und gegen elf Uhr zwanzig in der Nacht des zwanzigsten November gingen Dean, Harry und ich zu unserer einzigen belegten Zelle, in der John Coffey auf seiner Pritsche sa?, verschrankte Hande zwischen den Knien, ein kleiner Fleck von Hackbratenso?e auf dem Kragen seines blauen Hemdes. John Coffey schaute uns durch die Gitterstabe an und schien viel ruhiger, als wir uns fuhlten. Meine Hande waren kalt, und in meinen Schlafen pochte es. Zu wissen, dass er bereit war, war die eine Sache - sie ermoglichte uns wenigstens, unsere Arbeit zu tun -, aber es war eine andere Sache, zu wissen, dass wir ihn fur ein Verbrechen, das ein anderer begangen hatte, auf dem elektrischen Stuhl hinrichten wurden.

Ich hatte Hal Moores gegen sieben Uhr an diesem Abend zum letzten Mal gesehen. Er war in seinem Buro und knopfte seinen Mantel zu. Sein Gesicht war bleich, und seine Hande zitterten so sehr, dass er Probleme mit den Knopfen hatte. Ich wollte fast seine Hande zur Seite schieben und den Mantel fur ihn zuknopfen, wie man es bei einem kleinen Kind macht.

Die Ironie war, dass Melinda bei Jans und meinem Besuch am vergangenen Wochenende besser ausgesehen hatte, als Hal an diesem Abend aussah.

»Ich sehe mir diese Hinrichtung nicht an«, sagte er, »Curtis wird dort sein, und ich wei?, dass Coffey

bei Ihnen und Brutus in guten Handen sein wird.«

»Ja, Sir, wir werden unser Bestes tun«, sagte ich. »Gibt es neue Nachrichten uber Percy?« Kommt er

wieder zu Verstand? meinte ich naturlich. Sitzt er jetzt irgendwo in einem Zimmer und erzahlt

jemandem - hochstwahrscheinlich einem Arzt -, wie wir ihn in die Zwangsjacke steckten und in der

Gummizelle einsperrten wie jedes andere Problemkind ... jeden anderen Schei?er, in Percys Sprache?

Und wenn, wurde man ihm glauben? Aber laut Hal war Percys Zustand unverandert. Er sprach nicht

und war anscheinend uberhaupt nicht auf der Welt soweit das jemand beurteilen konnte. Er war noch

in Indianola - »wird beurteilt«, hatte Hal gesagt und verwirrt wegen der Formulierung gewirkt -, aber

wenn es keine Verbesserung gab, wurde er bald verlegt werden.

»Wie halt sich Coffey?« fragte Hal dann. Er hatte es endlich geschafft, den letzten Knopf seines

Mantels zuzufummeln.

Ich nickte. »Er halt sich prima, Hal.«

Er nickte ebenfalls und ging zur Tur. Er sah alt und krank aus. »Wie kann so viel Gutes und Boses

zusammen im selben Menschen sein? Wie kann der Mann, der meine Frau geheilt hat, derselbe Mann

sein, der diese kleinen Madchen totete? Verstehen Sie das?«

Ich sagte ihm, dass ich es nicht verstand, dass Gottes Wege geheimnisvoll waren, dass Gutes und

Boses in allen von uns ist, dass es uns nicht zusteht, nach dem Warum zu fragen, blabla, blablaba.

Das meiste, was ich sagte, hatte ich in der Kirche >Gelobt sei Jesus, der Herr ist der Allmachtige<

gehort. Hal nickte die ganze Zeit und wirkte begeistert. Er konnte es sich erlauben zu nicken, nicht

wahr? Ja. und auch, begeistert zu wirken. Sein Gesicht spiegelte eine tiefe Traurigkeit wider, ja, er

war betroffen, das habe ich nie bezweifelt -aber diesmal gab es keine Tranen, denn er hatte eine

Frau, zu der er heimkehren konnte, und es ging ihr prima. Dank John Coffey war sie gesund, und es

ging ihr gut und der Mann, der John Coffeys Hinrichtungsbefehl unterzeichnet hatte, konnte zu ihr

heimkehren. Er brauchte nicht mit anzusehen, was als nachstes geschah. Er wurde in dieser Nacht in

der Warme seiner Frau schlafen, wahrend John Coffey im Leichenschauhaus im Kellergescho? des

County Hospital liegen und in den freudlosen, stillen Stunden vor dem Morgengrauen kalt werden

wurde. Und ich hasste Hal deswegen. Nur ein bisschen, und ich wurde daruber hinwegkommen, aber

es war Hass, das muss ich sagen. Echter Hass.

Jetzt betrat ich die Zelle, gefolgt von Dean und Harry.

Beide waren blass und deprimiert »Bist du bereit John?« fragte ich.

Er nickte. »Ja, Boss. Ich schatze, ja.«

»Also gut. Ich muss meinen Spruch aufsagen, bevor wir gehen.«

»Sagen Sie nur, was Sie sagen mussen, Boss.«

»John Coffey, als Beamter des Strafvollzugs ...«

Ich sagte das Offizielle bis zum Ende, und als ich fertig war, trat Harry Terwilliger neben mich und

streckte John die Hand hin. John blickte uberrascht drein, dann lachelte er und schuttelte die Hand.

Dean, blasser denn je, gab ihm als nachster die Hand. »Du verdienst etwas Besseres, John«, sagte er

mit belegter Stimme. »Es tut mir leid.«

»Mit mir ist alles in Ordnung«, sagte John. »Dies ist der harte Teil. In einer kleinen Weile geht's mir

gut«

Er stand auf, und das St. Christophorus-Medaillon, das Melly ihm geschenkt hatte, rutschte aus

seinem Hemd.

»John, ich muss das haben«, sagte ich. »Ich kann es dir nach der ... spater wieder umhangen, wenn

du willst aber ich sollte es jetzt an mich nehmen.« Es war aus Silber, und wenn es an seinem Korper

lag, wenn Jack Van Hay den Saft anschaltete, konnte es an seiner Haut schmelzen. Und selbst wenn

das nicht geschah, konnte es elektroplattieren und eine Art verkohltes Foto von sich auf der Brust

hinterlassen. Ich hatte so was schon gesehen. Ich hatte fast alles wahrend meiner Jahre auf der Meile

gesehen. Mehr, als gut fur mich war. Das wusste ich jetzt.

Er streifte das Kettchen mit dem Medaillon uber den Kopf und gab es mir. Ich steckte es in meine

Tasche und forderte ihn auf, aus der Zelle zu treten. Es war nicht notig, seinen Kopf zu uberprufen

und festzustellen, ob der Kontakt gewahrleistet und die Induktion gut war; sein Schadel war glatt wie

meine Handflache.

»Wissen Sie, Boss, ich bin heute Nachmittag eingeschlafen und habe einen Traum gehabt«, sagte

John. »Ich traumte von Dels Maus.«

»Tatsachlich, John?« Ich ging rechts von ihm. Harry flankierte ihn links. Dean folgte dahinter, und

dann schritten wir uber die Green Mile. Fur mich war es das letzte Mal, an dem ich jemals einen

Haftling begleitete.

»Ja«, sagte er. »Ich traumte, ich kam zu diesem Ort, von dem Boss Howell sprach, zu diesem

Mouseville. Ich traumte, dass dort Kinder waren und wie sie uber die Tricks der Maus lachten! O

Mann!« Er lachte bei dem Gedanken daran, und dann wurde er wieder ernst. »Ich traumte, dass diese

beiden kleinen blonden Madchen dort waren. Sie lachten ebenfalls.

Ich nahm sie in die Arme, und da war kein Blut in ihren Haaren, und es ging ihnen prima. Wir alle

schauten Mr. Jingles zu, wie er die Spule rollte, und wir lachten und waren putzmunter.«

»So?« Ich dachte, ich konnte es nicht durchziehen, konnte es einfach nicht, es ging nicht. Ich glaubte,

ich musste schreien, oder mein Herz wurde vor Kummer zerspringen, und das wurde das Ende sein.

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