Nun begannen die Schwierigkeiten, die gro? genug waren, wiederholt Verzogerungen herbeizufuhren. Zwischen den aus seinem Sand bestehenden Banken, die bei dem augenblicklichen Wasserstande schmaler waren, verlief die Fahrbahn ofters in scharfen Winkeln. Gleichzeitig bekamen die Falcas statt des Ruckenwindes jetzt den Wind von vorn, so da? die Segel eingezogen und dafur die Palancas benutzt werden mu?ten.

Da es nicht selten die Ueberwindung ziemlich starker Stromungen galt, mu?ten auch Alle, die mit an Bord waren, helfen, um die Fahrzeuge nicht stromabwarts wegtreiben zu lassen.

Die Uhren zeigten die zweite Stunde nachmittags, als die »Gallinetta« und die »Maripare«, die hintereinander fuhren, eine mit dem Flecken gleichnamige Insel erreichten. Diese bot einen ganz andern Anblick, als die benachbarten Ilanos, denn sie war mit Wald bestanden und zeigte auch einige cultivierte Landstrecken. Das ist eine Seltenheit an diesem Theil des Stromes, wo die Indianer kaum eine andre Beschaftigung kennen, als die Jagd, den Fischfang und das Einsammeln der Schildkroteneier, wobei letzteres eine gro?e Menge Arbeiter erfordert, wie der Sergeant Martial auch daruber denken mochte.

Da sich die Mannschaften durch die unter brennender Mittagssonne gehabte Anstrengung sehr erschopft fuhlten, beschlossen die Fuhrer, ihnen eine Stunde Rast zu gonnen, in der erst zu Mittag gegessen und dann ausgeruht werden sollte. La Urbana konnte deshalb doch noch gegen Abend erreicht werden. Sobald man die Insel umschiffte, mu?te sich dieser Flecken - oder dieses Dorf - schon den Blicken zeigen.

Es bildet die letzte Ansiedlung am mittleren Orinoco der erst zweihundert Kilometer stromaufwarts, an der Mundung des Meta, die Ortschaft Cariben folgt.

Die Falcas legten also an dem etwas steilen Ufer an und die Passagiere gingen ans Land, wo mehrere dicht belaubte Baume ihnen willkommenen Schutz vor der Sonne versprachen.

Zum Aerger des Sergeanten Martial begann sich allmahlich eine Art Vertraulichkeit zwischen den Insassen der beiden Piroguen zu entwickeln, wie das ja bei einer derartigen Reise nicht mehr als naturlich ist. Eine gegenseitige Absonderung ware doch die reine Thorheit gewesen. Herr Miguel verheimlichte weniger denn je sein Interesse fur den jungen Jean von Kermor, und dieser hatte ja gegen die einfachsten Gesetze der Hoflichkeit versto?en, wenn er solchen Theilnahmebezeugungen gegenuber unempfindlich geblieben ware. Der Sergeant Martial mu?te sich eben in das fugen, was er nicht andern konnte. Wenn er sich aber au?erlich milder gestimmt und nicht so widerhaarig zeigte, so unterlie? er es doch nicht, sich wegen seiner Dummheit und Schwache die schlimmsten Vorwurfe zu machen.

Wenn diese Insel stellenweise angebaut war, schien es ihr doch an jedem Wild zu fehlen. Nur einzelne Paare von Enten und Holztauben flogen uber ihr dahin Die Jager konnten also nicht daran denken, die Gewehre zu gebrauchen, um in die nachste Mahlzeit eine Abwechslung zu bringen. In la Urbana fanden sie ubrigens Alles, was fur die Verproviantierung der Falcas irgend erwunscht war.

Die Ruhestunden wurden also plaudernd verbracht, wahrend die Mannschaften sich durch ein Schlafchen im Schatten der Baume starkten.

Gegen drei Uhr gab Valdez das Zeichen zur Wiederabfahrt. Sofort stie?en die Piroguen vom Lande, doch wurde es nothig, sich bis zur Sudspitze der Insel mittelst der Espilla aufzuholen.

Von da aus war nur noch die andre Halfte des Stromes zu durchfahren.

Diese letzten Strecken wurden ohne jeden Zwischenfall zuruckgelegt, und vor Eintritt der Dunkelheit gingen die beiden Piroguen dicht vor la Urbana vor Anker.

Achtes Capitel

Eine Staubwolke am Horizont

Man konnte la Urbana die Hauptstadt des mittleren Orinoco nennen. Es ist der bedeutendste Flecken zwischen Caicara und San-Fernando de Atabapo, die jedes an den zwei vom Strome gebildeten Ecken liegen - das erste an der Stelle, wo er seine Richtung von Osten nach Westen in eine sudliche verwandelt das zweite da, wo er von dieser wieder in die ostwestliche ubergeht.

Naturlich bildete diese hydrographische Anordnung noch keine Bestatigung dafur, da? die Ansicht des Herrn Miguel vor der seiner beiden Collegen den Vorzug bezuglich des Verlaufes des eigentlichen Orinoco, wie er auf den Karten eingetragen ist, verdiene.

Nach weiteren sechshundert Kilometern sollten die Geographen ja erst an den dreifachen Zusammenflu? kommen, wo ihre Streitfrage - das hofften sie wenigstens - entschieden werden sollte.

Ein Cerro, ein niedriger Hugel, erhebt sich am rechten Ufer und tragt denselben Namen, wie die Ortschaft an seinem Fu?e. Zu jener Zeit zahlte la Urbana dreitausendfunfhundertachtzig Einwohner in wenig hundert Hauschen und Hutten, meist Mulatten und spanische oder indianische Mestizen. Sie sind nicht eigentlich Ackerbauer, und nur wenige beschaftigen sich mit der Aufzucht von Vieh. Au?er der Einerntung der Sarrapia und dem Sammeln der Schildkroteneier, was ja stets in sehr beschranktem Zeitraume stattfindet, huldigen sie nur dem

Fischfang und der Jagd, verrathen im Ganzen aber einen naturlichen Hang zur Tragheit. Sie leben ubrigens recht gut, und ihre unter den Bananen des Flusses verstreuten Hutten bieten einen Anblick frohlichen Gedeihens, wie er in diesen entlegenen Gebieten selten anzutreffen ist.

Die Herren Miguel, Felipe und Varinas, sowie der Sergeant Martial und Jean von Kermor beabsichtigten, nur eine Nacht in la Urbana zu bleiben. Gegen funf Uhr daselbst eingetroffen, genugte ihnen jedenfalls der Abend zur Erneuerung ihrer Vorrathe an Fleisch und Gemusen, denn la Urbana ist in der Lage, alles das in reichlichen Mengen zu liefern.

Wichtiger noch erschien es, den ersten Beamten des Ortes aufzusuchen, der sich beeilte, seine Dienste anzubieten und den Reisenden seine Wohnung zur Verfugung zu stellen.

Dieser Beamte war ein funfzigjahriger Mulatte, dessen Verwaltungsbezirk die benachbarten Ilanos umfa?t und dem auch die Strompolizei untersteht. Er hatte eine Mestizin zur Frau und ein halbes Dutzend Kinder von sechs bis zu achtzehn Jahren, Knaben und Madchen, die sich alle einer bluhenden Gesundheit erfreuten.

Als er erfuhr, da? Herr Miguel und seine beiden Collegen zu den hervorragendsten Personlichkeiten von Ciudad-Bolivar gehorten, bereitete er ihnen den besten Empfang und lud sie ein, den Abend in seinem Hause zuzubringen.

Die Einladung erstreckte sich auch auf die Fahrgaste der »Gallinetta«. Jean von Kermor nahm sie um so lieber an, weil er dadurch weitere Nachrichten uber seine beiden Landsleute, deren Schicksal ihm am Herzen lag, zu erlangen hoffen konnte.

Die Schiffer Valdez und Martos lie?en es sich angelegen sein, die Piroguen wieder mit Allem zu versorgen, und kauften Vorrathe an Zucker, Ignames und Maniocmehl, das durch Verreibung der betreffenden Fruchte zwischen Steinen hergestellt wird und meist, wenn nicht ganz ausschlie?lich, in dem mittleren Gebiete des Orinoco zur Brodbereitung dient.

Die beiden Falcas lagen am innern Rand einer kleinen, den Hafen bildenden Bucht, wo auch verschiedene Curiares und viele Fischerboote im Hafen befestigt waren.

Au?erdem sah man hier noch eine dritte Falca mit einem eingebornen Fischer.

Das war das Fahrzeug der beiden franzosischen Forscher, der Herren Jacques Helloch und Germain Paterne. Seit sechs Wochen erwarteten sie ihre Leute schon in la Urbana und waren, da sie keinerlei Nachricht erhalten hatten, wegen des Schicksals der Fremden naturlich nicht wenig beunruhigt.

Nachdem sie an Bord ihrer Falcas gespeist hatten, begaben sich die Passagiere nach der Wohnung des Beamten.

Dessen Familie hielt sich in dem Hauptsaale des Hauses auf, der nur mit einem Tische, einigen mit Hirschleder bezognen Stuhlen mobliert und mit verschiednen Jagdattributen geschmuckt war.

Mehrere »Notabeln« aus la Urbana, und neben ihnen noch ein Ansiedler aus der Umgebung, waren ebenfalls zu dieser Abendgesellschaft herangezogen worden. Der letztere war Jean von Kermor keineswegs unbekannt, Dank dem Bilde, das Chaffanjon in seinem Reiseberichte von ihm entworfen und bei dem der franzosische Reisende einen herzlichen Empfang und eine wohlthuende Gastfreundschaft genossen hatte. Er sagt uber ihn Folgendes:

»Herr Marchal, ein Venezuolaner in reiferen Jahren, hat sich vor etwa anderthalb Jahrzehnten in la Tigra, stromaufwarts von la Urbana, niedergelassen. Dieser Herr Marchal ist ein wirklich kluger Mann. Er hat sich von der

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