Immerhin war nicht zu bezweifeln, da? die Knalle von Feuerwaffen, von Revolvern oder Gewehren herruhrten. Bald stieg auch wirklicher Dampf uber die mehr gelblich gefarbten Sandwolken auf.

Uebrigens vernahm man noch neue Schusse, und in so weiter Ferne sie auch fielen, genugte doch die leichte Brise, den Schall davon bis zu der Ortschaft zu tragen.

»Ich bin der Ansicht, meine Herren, sagte da Herr Miguel, da? wir uns bemuhen sollten, zu sehen, was nach jener Seite hin vorgeht.

- Und Leuten Hilfe bringen, die deren vielleicht nothwendig bedurfen, setzte Herr Varinas hinzu.

- Wer wei?, meinte Jean von Kermor, ob das nicht meine Landsleute sind.

- Dann mu?ten sie es gerade mit einer ganzen Armee zu thun haben, erwiderte der alte Herr. Nur Tausende von Menschen konnten eine derartige Staubwolke aufwirbeln. Doch, Sie haben recht, Herr Miguel, wir wollen uns nach der Ebene hinunter begeben.

- Aber wohl bewaffnet!« ermahnte Herr Miguel.

Das empfahl sich gewi?, falls die Ahnung Jeans von Kermor diesen nicht betrog, wenn es die beiden Franzosen waren, die sich gegen den Angriff von Indianern der Umgegend mit Gewehrschussen vertheidigten.

In wenigen Augenblicken hatten die einen ihre Wohnung, die andern ihre Pirogue erreicht. Der Beamte, mehrere Ortsbewohner, die drei Geographen, der Sergeant Martial und sein Neffe begaben sich, mit dem Revolver im Gurtel und dem Gewehr uber der Schulter, um den Fu? des Cerro von la Urbana herum, in der Richtung nach den Ilanos hinaus.

Auch Herr Marchal schlo? sich ihnen an, da er ungeduldig war, zu erfahren, was drau?en vorging.

Die kleine Gesellschaft schritt tuchtig darauf los, und da sich die Staubwolke ihnen entgegenwalzte, mu?ten die drei oder vier Kilometer, die sie jetzt noch davon trennten, bald genug zuruckgelegt sein.

Auch in dieser Entfernung hatte man ubrigens, wenn der dichte Staub nicht gewesen ware, menschliche Gestalten erkennen konnen. Vorlaufig sah man nur das Aufblitzen der sich von Zeit zu Zeit wiederholenden Schusse, die immer deutlicher horbar wurden.

Auch das dumpfe, rhythmische Gerausch nahm mehr und mehr zu, je mehr sich eine niedrige Masse, die jetzt noch nicht sichtbar war, naherte.

In der Entfernung von einem Kilometer blieb Herr Miguel, der zur Seite des Beamten voraus marschierte und das Gewehr schu?fertig hatte, plotzlich stehen. Ein Ausruf gro?ten Erstaunens entfuhr seinen Lippen.

Wahrlich, wenn je ein Sterblicher Gelegenheit fand, seine Neugierde befriedigt zu sehen, wenn je einer von seiner

Unglaubigkeit curiert wurde, so war es der Sergeant Martial. Der alte Soldat hatte an das Vorkommen vieler Tausende Chelidonier nicht glauben wollen, die zur Legezeit die Ebenen am Orinoco, zwischen der Mundung des Auraca und den Sandbanken von Cariben, buchstablich bedecken.

»Schildkroten!. Das sind Schildkroten!« rief Herr Miguel und tauschte sich damit nicht.

In der That, Schildkroten, wohl hunderttausend, vielleicht noch mehr, kamen auf das rechte Ufer des Stromes zu. Doch warum dieser au?ergewohnliche Auszug, der ihren Gewohnheiten widersprach, da jetzt ja nicht die Zeit des Eierlegens war?

Herr Marchal beantwortete die Frage in vollig einleuchtender Weise.

»Ich glaube, die Thiere sind durch die Erdsto?e erschreckt worden. Durch die Fluthen des Tortuga oder Suapure, die aus ihrem Bette getreten sein werden, vertrieben, suchen sie jetzt, einem unwiderstehlichen Selbsterhaltungstriebe folgend, Schutz im Orinoco oder noch uber diesen hinaus.«

Das war eine recht naturliche und selbst die einzig zulassige Erklarung. Die Sierra Matapey mu?te allen Anzeichen nach von heftigen Erdsto?en durchschuttert worden sein. Eine ahnliche Massenwanderung der Thiere war unter gleichen Umstanden bereits, au?er im Februar und im Marz, wo sie regelma?ig stattfindet, beobachtet worden, und die Uferbewohner konnten daruber eigentlich nicht so sehr erstaunt sein, wenn es sie auch in gewisser Hinsicht etwas beunruhigen mu?te.

Lie? sich nun an dem Massenzuge der Schildkroten nicht mehr deuteln, so blieb noch die Frage, woher die Schusse ruhrten, ubrig. Wer mochte sich gegen die Chelidonier zu wehren haben, und was konnten Gewehrkugeln gegen deren undurchdringlichen Panzer ausrichten?

Bald darauf konnte man das durch einzelne Risse in der Staubwolke erkennen.

Hier bewegten sich Myriaden von Schildkroten, eine an die andre gedrangt, vorwarts. Das Ganze erschien wie eine ungeheure Flache glanzender Schuppen, die, mehrere Quadratkilometer bedeckend, langsam wogend dahinglitt.

Auf dieser lebenden Flache sprang eine Anzahl andrer Thiere umher, die sich, um nicht zermalmt zu werden, darauf hatten fluchten mussen.

Ueberrascht durch die Ueberfluthung der Ilanos, liefen und sprangen darauf eine Menge Heulaffen umher, die die Sache »sehr spa?haft« zu finden schienen - so druckte sich wenigstens der Sergeant Martial aus. Ferner bemerkte man mehrere Paare von Raubthieren, die in Venezuela heimisch sind, namlich Jaguare, Pumas, Tiger, Ocelote, die alle hier nicht minder gefahrlich waren, als wenn sie frei im Walde oder auf der Ebene umherstreiften.

Gegen diese Bestien vertheidigten sich zwei Manner mit Gewehr- und Revolverschussen.

Schon lagen einige getroffen auf den Ruckenschildern, deren auf- und abwogende Bewegungen es Menschen fast unmoglich machten, sich darauf zu halten, wahrend die Vierfu?ler und die Affen sich darum wenig kummerten.

Wer mochten die beiden Manner sein? Weder Herr Marchal noch der Beamte konnten sie, der Entfernung wegen, erkennen. Schon aus ihrer Tracht ging aber hervor, da? es weder Yaruros noch Mapoyos, noch uberhaupt Indianer waren, wie sie im Gebiete des mittleren Orinoco vorkommen.

Vielleicht handelte es sich hier also doch um die beiden Franzosen, die nach den Ebenen im Osten hinausgezogen waren, und deren Ruckkehr man schon so lange erwartete, vielleicht sollte Jean von Kermor - der ja gleich daran gedacht hatte - die Freude zutheil werden, seine Landsleute wiederzufinden.

Die Herren Marchal, Miguel, Felipe und Varinas, der Beamte und die ihn begleitenden Manner aus dem Orte waren stehen geblieben; es schien ihnen nicht rathsam, noch weiter vorzudringen. Von den ersten Reihen der Schildkroten nicht nur aufgehalten, sondern auch zum Ruckzuge genothigt, hatten sie zu den beiden Fremdlingen, die von den Raubthieren umschwarmt waren, doch nicht gelangen konnen.

Jean bestand zwar darauf, ihnen zu Hilfe zu eilen, da er gar nicht mehr daran zweifelte, da? die Beiden die halbverschollenen franzosischen Naturforscher seien.

»Es ist aber unmoglich, erklarte Herr Marchal, unmoglich und nutzlos obendrein! Wir wurden uns gro?en Gefahren aussetzen, ohne ihnen Hilfe bringen zu konnen. Besser ist es, man la?t die Schildkroten ungestort bis zum Strome ziehen, wo sie sich von selbst zerstreuen werden.

- Gewi?, bestatigte der Beamte, doch wir sind von einer andern schweren Gefahr bedroht.

- Von welcher denn?

- Wenn diese Abertausende von Schildkroten auf ihrem Zuge nach la Urbana eindringen, wenn sie nicht bald nach dem Strome zu ablenken, so ist es um unsern Ort geschehen!«

Leider lie? sich gar nichts thun, eine solche Katastrophe abzuwenden. Nachdem sie um den Fu? des Cerro gezogen war, walzte sich die langsame, unwiderstehliche Lawine auf la Urbana zu, wovon sie jetzt nur noch zweihundert Meter entfernt war. In der Ortschaft wurde dann Alles zertrummert und vernichtet werden. »Es wachst kein Grashalm wieder, wo die Turken vorubergezogen sind«, hat man fruher oft gesagt -es ware auch kein Haus, keine Hutte, kein Baum oder Strauch unversehrt geblieben, wo sich diese Unmasse riesiger Schildkroten voruberschob.

»Macht Feuer!. Zundet Feuer an!« rief Herr Marchal.

Feuer. ja, das war die einzige Schranke, die man dieser Ueberfluthung entgegenstellen konnte.

Schon horte man laute Schreckensschreie von den Bewohnern des Ortes, die die drohende Gefahr erkannten.

Herr Marchal war verstanden worden, und Alle beeilten sich, seiner Aufforderung nachzukommen.

Vor der Ortschaft lagen ausgedehnte Wiesenflachen mit dichtem Grase, das der zweitagige Sonnenbrand stark getrocknet hatte, und auf denen einige Goyaven und andre Baume mit fruchtebeladnen Zweigen aufragten.

Man durfte nicht zogern, diese zu opfern, und man zogerte damit auch nicht.

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