An zehn, zwolf Stellen, hundert Schritt vor la Urbana, wurde das Gras gleichzeitig in Brand gesetzt. Bald hupften die Flammen dahin, als ob sie aus dem Erdboden aufschlugen. Ein dichter Rauch mischte sich mit der Staubwolke, die sich nach dem Strome zu hinabsenkte.

Das Heer der Schildkroten bewegte sich vorlaufig noch weiter, was gewi? so lange fortdauerte, bis die ersten die Feuerlinie beruhrten. Wie aber, wenn die ubrigen diese vorwarts und ins Feuer drangten, so da? die Flammen erloschen?

Es sollte jedoch anders kommen und das Mittel des Herrn Marchal sich bewahren.

Zunachst wurden die Raubthiere mit den Kugeln des Sergeanten Martial, des Herrn Miguel und seiner Freunde, sowie mit denen der Einwohner, die sich bewaffnet hatten, empfangen, wahrend die beiden Manner auf der sich fortschiebenden Masse ihre letzte Munition erschopften.

Von beiden Seiten angegriffen, brachen einige von den Raubthieren todt zusammen.

Erschreckt von den zungelnden Flammen, suchten andre nach Osten zu entfliehen, und es gelang ihnen auch, sich zu retten, indem sie den schon vorausgelaufenen Affen, die ein entsetzliches Geheul ausstie?en, folgten.

Da sah man die beiden Manner nach der Feuergrenze springen, ehe die ersten Reihen der langsam weiter kriechenden Schildkroten diese erreichten.

Eine Minute spater befanden sich Jacques Helloch und Germain Paterne - denn sie waren es - in Sicherheit neben Herrn Marchal, nachdem sie die Ruckseite des Cerro ein Stuck hinauf erklommen hatten.

Vor dem Flammengurtel, der sich einen halben Kilometer weit hinzog, zuruckprallend, wendete sich die gewaltige Masse nach links von der Ortschaft ab und verschwand, sich uber das Ufer hinunter walzend, in den Fluthen des Orinoco.

Neuntes Capitel

Drei Piroguen beieinander

In Folge dieser au?ergewohnlichen Invasion, die la Urbana vollstandig zu zerstoren gedroht hatte, erlitt die Abfahrt der Piroguen eine vierundzwanzigstundige Verzogerung. Wenn die beiden Franzosen die Absicht hatten, die Untersuchung des Verlaufes des Orinoco bis nach San-Fernando weiter fortzusetzen, erschien es am rathsamsten, vereint mit ihnen zu reisen. In diesem Fall mu?te man ihnen aber Zeit zur Erholung, sowie zur Vollendung mancher Vorbereitungen gewahren und die Abfahrt also bis zum nachsten Tage verschieben.

Die Herren Miguel, Felipe und Varinas stimmten in ihrer Weisheit mit diesem Vorgehen uberein. Man hatte sich wirklich erstaunt fragen mussen, warum der Onkel und der Neffe nicht auch hatten derselben Ansicht sein sollen. Jacques Helloch und Germain Paterne hatten ja ihre eigne Pirogue, konnten also niemand zur Last fallen, und wie der Sergeant Martial auch uber die Sache denken mochte, jedenfalls gewahrte es den drei Fahrzeugen mehr Sicherheit, wenn sie zusammen weiter fuhren.

»Vergi? au?erdem nicht, da? wir es mit Landsleuten zu thun haben, sagte Jean von Kermor.

- Ja, doch mit recht jungen Burschchen!« murmelte der Sergeant Martial, unwillig den Kopf schuttelnd.

Jedenfalls war es von Interesse, ihre Geschichte kennen zu lernen, und als sie gehort hatten, da? der Onkel und der Neffe

Franzosen, ja sogar Bretonen waren, beeilten sie sich, diese zu erzahlen.

Der sechsundzwanzigj ahrige Jacques Helloch stammte aus Brest. Nachdem er einige wissenschaftliche Aufgaben mit Erfolg gelost hatte, war er vom Minister des offentlichen Unterrichts mit einer Expedition durch die Nachbargebiete des Orinoco betraut worden und vor sechs Wochen am Delta des Stromes eingetroffen.

Der junge Mann geno? mit Recht den Namen eines verdienstvollen Forschers, der Kuhnheit mit Vorsicht vereinte und schon vielfache Proben von Ausdauer und Entschlossenheit abgelegt hatte. Sein schwarzes Haar, seine glanzenden Augen, sein lebhafter Teint und uber mittelgro?er Wuchs, seine kraftige Constitution und die naturliche Eleganz seiner Erscheinung nahmen auf den ersten Blick fur ihn ein. Er gefiel, ohne sich darum zu bemuhen, schon weil ihm jede Ziererei, jedes Bestreben, sich geltend zu machen, vollig fremd war.

Sein Begleiter, der im achtundzwanzigsten Jahre stehende Germain Paterne, den der Minister seiner wissenschaftlichen Mission angegliedert hatte, war ebenfalls Bretone. Er gehorte einer angesehenen Familie von Rennes an. Sein Vater, ein Appellationsgerichtsrath, seine Mutter und seine beiden Schwestern lebten noch, wahrend Jacques Helloch, der einzige Sohn seiner Eltern, diese schon verloren, von ihnen aber ein ansehnliches Vermogen geerbt hatte, das seinen jetzigen und zukunftigen Bedurfnissen zu genugen versprach.

Germain Paterne - nicht minder entschlossen als sein einstiger Schulkamerad, doch von anderm Charakter - ging, wohin Jacques Helloch ihn fuhrte, ohne je dagegen Einspruch zu erheben. Er war leidenschaftlicher Liebhaber der Naturgeschichte, vorzuglich der Botanik, und nicht weniger der Photographie. Er hatte wohl mitten im Kartatschenhagel eine

Aufnahme gemacht und dabei den Mund ebensowenig verzogen, wie sein Objectiv. Er war keine Schonheit, aber auch nicht ha?lich, und das kann man ja nicht wohl sein mit einem so intelligenten Ausdruck und einem unverwustlichen Humor, wie er beides besa?. Ein wenig kleiner als sein Gefahrte, erfreute er sich einer eisernen Gesundheit, einer Allem gewachsenen Constitution, war ein fur Ermudung unempfindlicher Fu?ganger mit einem jener Magen die Kieselsteine verdauen und nicht knurren, wenn das Essen einmal etwas knapp ist oder auf sich warten la?t. Als er horte, welche Mission Jacques Helloch ubertragen worden war, bot er sich sofort als »zweite Kraft« an. Einen besseren, nutzlicheren und verla?licheren Begleiter als diesen, hatte Jacques gar nicht finden konnen. Die Durchfuhrung der betreffenden Mission sollte so lange dauern, wie das nothig erschien. Eine bestimmte Frist war dafur nicht festgesetzt. Sie sollte sich nicht allein auf den Lauf des Orinoco, sondern auch auf dessen, auf den Karten nur luckenhaft angegebene Nebenflusse beziehen, und zwar vorzuglich im mittleren Theile des Stromes bis hinauf nach San-Fernando, das als au?erster, von den Forschern zu besuchender Punkt in Aussicht genommen war.

Hier ist nur noch mitzutheilen, unter welchen Umstanden die beiden jungen Gelehrten, nachdem sie den Orinoco von dessen vielfachen Mundungsarmen an bis nach Ciudad-Bolivar und von hier bis la Urbana besucht hatten, auch das Gebiet im Osten des Stromes hatten durchforschen wollen. Ihre Piroguen und das meiste Gepack in la Urbana zurucklassend, trug der eine seine Instrumente nebst einem Hammerle?-Repetiergewehr mit Greener-Auswerfer, der andre seine machtige Botanisiertrommel und eine nicht minder vorzugliche Waffe aus der namlichen Fabrik, ohne von zwei Revolvern zu sprechen, die in Ledertaschen staken.

Von la Urbana aus hatten sich Jacques Helloch und Germain Paterne nach den bisher wenig besuchten Bergen der Sierra Matapey gewendet. Eine Anzahl Yaruros zum Tragen leichter Gerathschaften begleitete sie. Dreihundert Kilometer weit befanden sie sich von den Ufern des Orinoco, als sie den au?ersten ins Auge gefa?ten Punkt ihrer etwas uber drei Wochen dauernden Expedition erreicht hatten. Nachdem sie den Lauf des Snapure im Suden erforscht, und den des Rio Tortuga oder Rio Chaffanjon im Norden untersucht, viele orographische und hydrographische Aufnahmen gemacht und eine Menge Pflanzen gesammelt hatten, die spater das Herbarium des Botanikers bereichern sollten, hatten sie, nun vor vierzehn Tagen, den Ruckweg angetreten.

Da wurden sie von sehr ernsten und unerwarteten Ereignissen bedroht.

Zunachst sahen sich die beiden jungen Manner von einem Theile der Bravos-Indianer, die im Innern jenes Gebietes hausen, hinterlistig angegriffen. Als sie sich, nicht ohne Gefahr, dieser Ueberfalle erwehrt hatten, mu?ten sie mit ihrer Bedeckung bis zum Fu?e der Sierra Matapey zuruckkehren, wo der Fuhrer und seine Leute sie verratherischerweise verlie?en. Aller Lagergerathe beraubt und nur noch im Besitze ihrer Instrumente und Waffen, wahrend sie sich noch sehr weit von la Urbana befanden, beschlossen sie, sich sofort nach dieser Ortschaft zu begeben und sich die tagliche Nahrung durch Jagd zu erwerben, wahrend sie die Nacht uber, abwechselnd der eine schlafend und der andre wachend, unter Baumen lagen.

Vor jetzt achtundvierzig Stunden hatte sie nun in Folge des Erdbebens, das eine weite Strecke erschutterte, jene kaum glaubliche Massenauswanderung von Schildkroten auf ihrer Lagerstatte uberrascht. Der sich vorschiebenden Masse konnten sie nicht vorauseilen, weil diese nicht wenige Raubthiere vor sich her trieb.

Es blieb ihnen also nichts andres ubrig, als sich von den Chelidoniern, den wandelnden Panzern, die sich nach dem rechten Orinocouser hin bewegten, selbst mit forttragen zu lassen - fur sie der beste und forderlichste Ausweg. Bisher hatten ihnen hierin nur die Affen nachgeahmt; einige Lieues von dem Strome entfernt folgten - das war am heutigen Tage gewesen - auch die Raubtiere dem Beispiele jener Vierhander. Damit wurde die Sachlage

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