- Dahin werden wir auch noch kommen, meine Herren, fuhr Jacques Helloch unbeirrt fort. Da ich aber voraussetze, da? Herr Miguel in der Hydrographie des Meta sehr bewandert ist, gestatte ich mir an ihn die Frage, ob dieser Nebenflu? des Orinoco nicht manchmal eine sehr gro?e Breite annimmt.
- Ja freilich. er erreicht stellenweise die Breite von zweitausend Metern, antwortete Herr Miguel.
- Und seine Tiefe?
- Jetzt, wo die Fahrstra?e mit Baken bezeichnet ist, konnen Fahrzeuge mit sechs Fu? Tiefgang in der Regenzeit bis zur Einmundung der Upia, und in der trocknen Jahreszeit noch den dritten Theil dieser Strecke hinausgelangen.
- Das beweist also, meinte Jacques Helloch, da? der Meta eine naturliche Verbindung zwischen dem Atlantischen Ocean und Columbien darstellt.
- Ganz recht, erwiderte Herr Miguel, ja einzelne Geographen haben sogar behauptet, da? der Meta den kurzesten Weg von Bogota nach Paris bilde.
- Ja, meine Herren, warum sollte der Meta dann nur ein Nebenflu? des Orinoco und nicht der Orinoco selbst sein? Und warum konnten die Herren Felipe und Varinas zu seinen Gunsten nicht ihre unzulanglich begrundeten Ansichten bezuglich des Guaviare und das Atabapo aufgeben?«
Darauf zielte der Franzose also hinaus!
Man wird sich leicht denken konnen, da? er kaum dazu kam, seine Rede zu vollenden, ohne da? die beiden Vertreter des Atabapo und des Guaviare dagegen mit Handbewegungen an Stelle von Worten Einspruch erhoben.
Jetzt platzten die Geister auf einander und es regnete Beweisgrunde fur die eine und die andre Ansicht uber den tollkuhnen jungen Mann, der die Frage uber den Lauf des Orinoco angezweifelt hatte. Nicht etwa, da? er sich dafur besonders interessierte, denn ihm schien die Wahrheit auf Seiten des Herrn Miguel und der meisten Geographen zu liegen, es machte ihm aber Vergnugen, die streitsuchtigen Bruder aneinander zu hetzen. Was er fur seine hingeworfene Ansicht ins Treffen gefuhrt hatte, war mindestens ebensoviel, wenn nicht mehr werth, als die Grunde der Herren Varinas und Felipe, denn bezuglich der geographischen Wichtigkeit ubertrifft der Meta zweifellos ebenso den Guaviare wie den Atabapo. Die beiden gelehrten Herren wollten aber einer dem andern nicht nachgeben, und die Verhandlung hatte sich gewi? bis weit in die Nacht hinein fortgesetzt, wenn Jean von Kermor ihr nicht dadurch eine andre Richtung gab, da? er an Herrn Miguel eine andre, nicht minder ernste Frage stellte.
Nach den Angaben seines Reisefuhrers machten sehr zu furchtende Indianer die Ufer des Meta unsicher. Er fragte deshalb, was Herr Miguel ihnen wohl daruber sagen konne.
»Das hat sicher fur uns mehr Interesse,« antwortete dieser, dem es ganz lieb war, das Thema des Gespraches gewechselt zu sehen.
Die beiden Collegen waren sich bereits, bildlich zu verstehen, »arg in die Haare gefahren«, was ja nichts Seltnes war, und wie mu?te das erst werden, wenn sie sich an der Vereinigungsstelle der drei Flusse befanden.
»Diese Quivas, fuhr Herr Miguel fort, sind allen Reisenden, die sich nach San-Fernando begeben, als ein sehr wilder Stamm bekannt. Man spricht sogar davon, da? eine Bande derselben uber den Strom gesetzt und nach den ostlichen Gebieten eingedrungen sei, wo sie Raubereien und Mordthaten ausuben.
- Ist der Anfuhrer der Bande jetzt nicht schon todt? fragte Jacques Helloch, der auch von den Unthaten des Raubgesindels gehort hatte.
- Ganz recht, antwortete Herr Miguel, schon seit etwa zwei Jahren.
- Und wer war das?
- Ein Neger namens Sarapia, den sich die Bande zum Anfuhrer gewahlt hatte und an dessen Stelle spater ein entwichner Strafling getreten ist.
- Und die Quivas aber, fragte Jacques weiter, die auf dem rechten Ufer zuruckblieben?.
- Die sind nicht weniger zu furchten, antwortete Herr Miguel. Die meisten der Boote, denen wir von Cariben aus begegnet sind, gehoren ihnen, und wir werden gut thun, so lange wir durch diese Gegend fahren, wo das jeder Schandthat fahige, noch sehr zahlreiche Raubgesindel haust, stets auf unsrer Hut zu sein.«
Da? diese Warnung berechtigt war, bewiesen die Ueberfalle, deren Opfer erst unlangst verschiedene Handler aus San-Fernando geworden waren. Der Prasident von Venezuela und der Congre? planten auch, wie man sagte, eine Expedition zur Vernichtung dieser Banden am Alto-Orinoco. Erst aus Columbia vertrieben, sollten die Quivas nun aus Venezuela verjagt werden, und wenn sie dabei nicht bis auf den letzten Mann ausgerottet wurden, wurde dann Brasilien zum Schauplatz ihrer verbrecherischen Thatigkeit werden. Grade weil ihnen jene Expedition drohte, uberfielen die Quivas viele Reisende mit desto grimmigerer Wuth, vorzuglich seitdem sie als Anfuhrer einen aus Cayenne entflohenen Strafling hatten. Die Insassen der drei Piroguen mu?ten also im Laufe der Fahrt hier jeden Augenblick ein wachsames Auge auf ihre Umgebung haben.
»Wir sind ja ziemlich zahlreich, wenigstens unter Einrechnung der Besatzmannschaft, auf die wir doch wohl zahlen konnen, erklarte Jacques Helloch, und an Waffen und Munition fehlt es uns auch nicht. Diese Nacht, lieber Jean, werden Sie ruhig in Ihrem Deckhause schlafen, wir werden schon uber Sie wachen.
- Das ist doch wohl meine Sache, warf der Sergeant Martial trocken ein.
- Nein, das geht uns Alle an, mein wackrer Sergeant, erwiderte Jacques Helloch, und es ist wichtig, da? Ihr Neffe nicht des in seinem Alter so nothigen Schlafes beraubt werde.
- Ich danke Ihnen, Herr Helloch, erwiderte der junge Mann lachelnd, es ist aber doch wohl richtiger, da? wir Alle abwechselnd Wache halten.
- Jeder eine bestimmte Zeit lang,« setzte der Sergeant Martial hinzu.
Was ihn selbst freilich anging, unterlie? er es, wenn die Stunde fur den jungen Mann herangekommen war, naturlich, diesen aus dem Schlafe zu wecken, um allein drau?en Wache zu stehen.
Dieser Verabredung entsprechend, wurde die Wache von acht bis elf Uhr den beiden Franzosen anvertraut; von elf bis zwei Uhr morgens sollte Herr Miguel mit seinen Collegen sie ablosen, dann fiel es Jean von Kermor und dem Sergant Martial zu, bis Tagesanbruch an deren Stelle zu treten.
Die Passagiere der »Gallinetta« und der »Maripare« streckten sich also auf ihren Estrillas aus, und andrerseits uberlie?en sich die Mannschaften einer nach den vorausgegangenen Anstrengungen wohlverdienten Ruhe.
Jacques Helloch und Germain Paterne bezogen ihren Posten auf dem Hintertheile der Pirogue. Von da aus konnten sie den Strom nach auf- und nach abwarts uberblicken und auch die Mundung des Meta beobachten. Vom Ufer selbst her war nichts zu furchten, denn langs desselben dehnte sich ein ganz unpassierbares Sumpfland aus.
Nebeneinander sitzend, plauderten die beiden Freunde von dem und jenem. Der eine rauchte von den Cigarren, mit denen er sich reichlich versehen hatte, denn Tabak bildet bei allen Uferbewohnern ein stets verwerthbares Tauschmittel. Der Wind hatte sich fast ganz gelegt, nur dann und wann strich ein Lufthauch uber die beiden Manner hin. Wenige Grade uber dem Horizont funkelte das Sudliche Kreuz am Himmel. Bei der allgemein herrschenden Stille mu?te das geringste Gerausch, das Durchschneiden des Wassers durch ein Boot, der vorsichtigste Ruderschlag schon von weitem her vernehmbar sein, und es genugte, das Uferland zu beobachten, um jeder irgendwie verdachtigen Annaherung entgegentreten zu konnen.
Dieser Aufgabe widmeten sich also die beiden jungen Leute, wahrend sie die Zeit vertraulich verplauderten.
Offenbar flo?te Jean von Kermor dem hubschen Jacques Helloch ein lebhaftes Interesse ein. Nicht ohne angstliche
Befurchtung sah er den jungen Mann seine gefahrliche Reise unternehmen. So hoch er dessen edelmuthigen Beweggrund auch schatzte, erschrak er doch vor den Gefahren, denen jener sich bei diesem Wagni? aussetzte, wenn er weit, weit - er wu?te nicht, wie weit - hinauszog.
Schon wiederholt hatte er sich mit Germain Paterne uber die Familie des Oberst von Kermor unterhalten, und dieser bemuhte sich, seine Erinnerungen an diese, von der er vor funfzehn Jahren manchmal reden gehort hatte, aufzufrischen.
»Wei?t Du, Germain, sagte am heutigen Abend Jacques Helloch, ich kann es mir gar nicht recht vorstellen, da? dieses Kind - denn es ist ja noch ein Kind - in die Gebiete des obern Orinoco vordringen will! Und unter wessen Fuhrung? Unter der des wackren Alten, der gewi? das beste Herz in sich tragt, der mir aber doch nicht der passende Fuhrer seines Neffen zu sein scheint, wenn Beiden gro?ere Schwierigkeiten begegnen sollten.