weiter oben gelegenen Dorfe Atures. Die Guaharibos erspahten auch eifrig die Gelegenheit, einige Piaster zu verdienen. Als man mit ihnen handelseins geworden war, nahmen sie die Gepackstucke auf den Rucken, die Passagiere aber folgten ihnen und uberlie?en den Schiffsleuten die schwere Aufgabe, ihre Piroguen am Zugseile uber die Stromschnellen hinwegzuschaffen.

Das Raudal hier bildet einen schluchtartigen Gang von zehn Kilometer Lange, der aus den terrassenformig abfallenden Uferfelsen ausgebrochen zu sein scheint. Die starke Neigung seines Grundes vermehrt neben der Beschranktheit des Bettes das Herabtosen der Fluthen nur noch weiter, und au?erdem hat ihnen die Natur keinen freien Durchflu? gewahrt. Das nach Humboldt's Ausspruch »treppenformige« Bett des Stromes ist von quer verlaufenden Erhohungen unterbrochen, die den Stromschnellen fast den Charakter von Wasserfallen verleihen. Ueberall tauchen darin mit Grun bedeckte Klippen auf, Felsblocke, die fast Kugelgestalt aufweisen und sich nur unter Aufhebung der Gesetze des Gleichgewichts an ihrer Stelle halten zu konnen scheinen. Der Niveauunterschied des Wassers vor und nach diesem Hinderni? betragt volle neun Meter. Ueber die von einer Stufe zur andern brodelnden Falle, zwischen den da und dort verstreuten Felsblocken hindurch und uber die Untiefen, die gelegentlich auch ihre Stelle wechseln, mussen also die Fahrzeuge aufgeholt werden.

Es giebt hier einen wirklichen Schleppzug auf granitnem Leinpfade, und wenn die Arbeit nicht durch die Witterungsverhaltnisse unterstutzt wird, erfordert sie viele Zeit und gro?e Anstrengung.

Naturlich macht es sich dabei in erster Linie nothig, die Fahrzeuge moglichst zu entlasten. Die Randals hier konnte sonst niemand passieren, ohne sich dem Verlust seiner gesammten Ladung auszusetzen. Es ist schon uberraschend genug, da? die Fahrzeuge leer uber diese gefahrlichen Stellen hinwegkommen, und sicherlich wurden die meisten sinken oder zerstort werden, wenn die Schiffsleute, die hier »zu

Hause« sind, sie nicht mit erstaunlicher Gewandtheit durch die schaumenden Wirbel zu leiten verstanden.

Die drei Piroguen wurden also entladen und gleichzeitig die Verhandlungen mit den Guaharibos wegen des Ueberlandtransportes der Colli bis zum Dorfe Atures fortgefuhrt. Die Entlohnung, die diese verlangen, wird gewohnlich mit Stoffen, allerlei Kurzwaaren, Cigarren, Branntwein und dergleichen bezahlt. Sie nehmen aber ebenso gern baare Zahlung in Piastern an, und im vorliegenden Falle schienen sie mit dem gewahrten Preise recht zufrieden zu sein.

Es versteht sich von selbst, da? Passagiere ihr Reisegepack diesen Indianern niemals allein uberlassen, um es erst im Dorfe Atures wieder in Empfang zu nehmen. Die Guaharibos verdienen ein so weit gehendes Vertrauen keineswegs, und es empfiehlt sich immer, ihre Ehrlichkeit nicht erst auf die Probe zu stellen. Deshalb marschieren sie also, wie auch im vorliegenden Falle, meist zugleich mit den Reisenden am Ufer dahin.

Da die Entfernung von Puerto Real bis zum Dorfe Atures nur funf Kilometer betragt, hatte die Strecke binnen wenigen Stunden zuruckgelegt werden konnen, selbst mit dem umfanglichen Material, mit den Gerathen, Decken, Reisesacken, Kleidern, Waffen, der Munition, den Beobachtungsinstrumenten Jacques Helloch's, den Herbarien und photographischen Apparaten Germain Paterne's. Das Alles machte keine eigentlichen Schwierigkeiten; es fragte sich aber, ob der Sergeant Martial werde die Wegstrecke zu Fu? zurucklegen konnen, oder ob er nicht etwa auf einer Tragbahre bis zum Dorfe geschafft werden mu?te.

Doch nein, der alte Soldat war ja kein kleines Madchen, wie er wiederholt aussprach, und ein Verband an der Schulter hinderte ihn noch lange nicht, einen Fu? vor den andern zu setzen. Schmerzen verursachte ihm seine Verletzung gar nicht mehr, und als Jacques Helloch ihm den Arm anbot, antwortete er:

»Ich danke sehr, Herr Helloch, ich werde schon mit Schritt halten und brauche niemand zur Hilfe«

Ein Blick des jungen Mannes auf Jacques Helloch belehrte diesen, da? es besser sei, dem Sergeanten Martial nicht zu widersprechen, auch nicht dadurch, da? man ihm andre Gefalligkeiten anbot.

Die kleine Gesellschaft verabschiedete sich also von den Schiffsleuten, die die Falcas durch die Wirbel der Stromschnellen bugsieren sollten. Die Schiffer Valdez, Martos und Parchal versicherten, da? sie sich der gro?ten Eile beflei?igen wurden, und auf ihr Wort war wohl zu bauen.

So verlie?en die Passagiere Puerto Real gegen elfeinhalb Uhr morgens.

Es war nicht nothig, zu scharf auszuschreiten, wenn der Sergeant Martial sich auch dazu bereit erklart hatte. Da Jacques Helloch und seine Gefahrten schon gefruhstuckt hatten, konnten sie gemachlich bis zum Dorfe Atures wandern und trafen dann noch immer zur Zeit des Mittagessens ein.

Die Stra?e, oder vielmehr der Fu?pfad, verlief am rechten Ufer des Stromes, was ein Uebersetzen des letzteren ersparte, da das Dorf auf dem gleichen Ufer lag. Zur Linken erhob sich der schroffe Abhang der Cerros, deren Kette sich bis oberhalb der Raudals fortsetzt. Zuweilen war der Weg so schmal, da? nur eine Person darauf Platz hatte und die kleine Truppe hintereinander marschieren mu?te.

Die Guaharibos gingen einige Schritte den Uebrigen voran. Nach ihnen kam Herr Miguel und seine beiden Collegen und darauf Jacques Helloch, Jean von Kermor und der Sergeant Martal. Germain Paterne bildete den Nachtrab.

Wenn die Breite des Pfades es gestattete, ging man auch zu Zweien oder Dreien nebeneinander, und dann marschierten der junge Mann, der Sergeant Martial und Jacques Helloch miteinander hin.

Offenbar waren Jacques Helloch und Jean ein Paar Freunde geworden, und wer hatte das, au?er wenn er ein alter Querkopf war, mit scheelen Augen ansehen konnen?

Bisweilen blieb Germain Paterne, der seine kostbare Botanisiertrommel auf dem Rucken trug, stehen, wenn eine Pflanze sein besondres Interesse erregte. Die Andern kamen ihm dann ein Stuck voraus und riefen ihm oft laut genug zu, sich mehr zu beeilen, was ihn aber nicht hinderte, seiner Lieblingsbeschaftigung weiter nachzugehen.

An Ausubung der Jagd war unter vorliegenden Umstanden kaum zu denken, wenn sich nicht etwa die Moglichkeit bot, in einzelnen Schluchten der Cerros ein Stuck hinaufklimmen zu konnen.

Das war thatsachlich einmal der Fall. zur gro?en Befriedigung des Herrn Miguel, doch zum gro?en Nachtheil eines Heulaffen, des ersten, der von ihm erlegt wurde.

»Alle Achtung, Herr Miguel, und meinen aufrichtigen Gluckwunsch! rief Jacques Helloch, als einer der Guaharibos das geschossne Thier geholt hatte.

- Ich danke Ihnen, Herr Helloch, und verspreche gleichzeitig, da? das Fell dieses Affen bei meiner Ruckkehr einen Platz im naturhistorischen Museum finden und mit der Aufschrift: »Erlegt von Herrn Miguel, Mitglied der geographischen Gesellschaft von Ciudad-Bolivar« versehen werden wird.

- Das ist auch nicht mehr als Recht, meinte Felipe.

- Armes Thier! rief Jean, als er den Affen, der mit der Schu?wunde im Herzen auf der Erde lag, betrachtete.

- Arm. aber vortrefflich zum Verspeisen. sagt man, erwiderte Germain Paterne.

- Gewi?, mein Herr, versicherte Varinas, und heute Abend, wenn wir in Atures sind, werden Sie sich selbst davon uberzeugen konnen; dieser Affe wird das beste Gericht unsrer Mahlzeit bilden.

- Grenzt das bei seiner Menschenahnlichkeit nicht bald an Anthropophagie? fragte Jacques Helloch scherzend.

- O, Herr Helloch! antwortete Jean. Zwischen einem Affen und einem Menschen.

- Ist der Unterschied gar nicht allzu gro?! Nicht wahr, Sergeant?

- Ganz recht, Beide verstehen sich auf Grimassen!« antwortete Martial, der dafur gleichzeitig den Beweis lieferte.

Reichlich vertreten war hier auch das Federwild, wie Enten, Holztauben, nebst verschiedenen Wasservogeln, vorzuglich Pavas, einer Art Huhner von gro?er Flugel spannweite. Doch wenn es auch leicht gewesen ware, davon viele zu erlegen, so hatte man sie doch nicht erlangen konnen, da sie in den Stromwirbel gefallen waren.

Er bietet wirklich einen merkwurdigen Anblick, dieser Orinoco, wenn seine schaumenden Fluthen sich durch das Raudal von Atures, vielleicht das langste und ungangbarste seines ganzen Verlaufs, hinabsturzen. Man vergegenwartige sich nur das betaubende Donnern der Katarakte, die Wasserstaubwolken uber ihnen, die fortgerissenen Baumstamme, die die Stromung vom Ufer weggeschwemmt hat und die da und dort an die Felsblocke anprallen, sowie das stellenweise uberhangende Ufer, das jeden Augenblick herabzubrechen und den engen Fu?pfad ganz zu versperren droht. Es erscheint wirklich wunderbar, wie die Piroguen hier durchkommen konnten, ohne sich die Seiten- oder Grundplanken abzurei?en. Die Passagiere der »Gallinetta«, der »Moriche« und der »Maripare« konnten auch nur dann erst uber das Schicksal ihrer Fahrzeuge beruhigt sein, wenn diese in den Hafen von Atures einliefen.

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