Flussigkeit ist bei den Eingebornen vielfach in Gebrauch. Humboldt hat sogar berichtet, da? die Otomaken (- Indianer) sich fruher den Nagel des Zeigefingers damit einrieben und schon durch einen kraftigen Handedruck einen Andern vergiften konnten.

War der Sergeant Martial nun von einem mit Curare vergifteten Pfeile getroffen worden, so mu?te sich das bald genug zeigen. Der Verwundete wurde dann zuerst die Stimme und darauf jede Beweglichkeit der Glieder, des Gesichts und des Brustkastens verlieren - ein Zustand, bei dem das klare Bewu?tsein bis zu dem nicht abwendbaren todlichen Ausgange bestehen bliebe.

Jetzt galt es also zu beobachten, ob sich solche Erscheinungen im Laufe der nachsten Stunden einstellten.

Der Sergeant mu?te Germain Paterne, der ihn verbunden hatte, wohl oder ubel seinen Dank aussprechen, obwohl er innerlich grollte bei dem Gedanken, da? nun erst recht vertrautere Beziehungen zwischen den beiden Piroguen entstehen wurden. Dann versank er in eine Art lethargischer Betaubung, die seine Reisegefahrten nicht wenig beunruhigte.

Da wendete sich der junge Mann an Germain Paterne.

»Erscheint Ihnen sein Zustand bedenklich oder nicht? fragte er.

- Daruber kann ich mir noch nicht schlussig werden, antwortete dieser. Es handelt sich ja eigentlich nur um eine unbedeutende Wunde, die sich wohl ganz von selbst wieder geschlossen hatte, wenn... ja, wenn sie nicht etwa von einem vergifteten Pfeile herruhrt. Zunachst hei?t es: abwarten; wir werden uns bald in dieser Hinsicht klar sein.

- Mein lieber Jean, mischte jetzt Jacques Helloch sich ein, hoffen Sie das Beste! Der Sergeant Martial wird wieder und wird auch bald genesen. Ware hier Curare mit im Spiel, so glaub' ich, wurde der Fall schon ganz anders aussehen.

- Das ist auch meine Meinung, bestatigte Germain Paterne. Sobald ich den Verband wechsle, werden wir wissen, woran wir sind, und Ihr Onkel. der Sergeant Martial, wollt' ich sagen.

- O, Gott schutze und erhalte ihn! flusterte der junge Mann, dem eine Thrane aus den Augen perlte.

- Ja, lieber Jean, sagte Jacques Helloch trostend, Gott wird ihn erhalten! Die Pflege, die Sie und wir ihm angedeihen lassen wird den alten Soldaten heilen. Ich wiederhole Ihnen, hoffen Sie das Beste!«

Damit druckte er Jean von Kermor die Hand, die in der seinen zitterte.

Die Herren Miguel, Felipe und Varinas erhielten, da die drei Falcas bei frischer Nordostbrise in gleicher Frontlinie dahinsegelten, bald Mittheilungen uber den Verletzten und hegten auch die Hoffnung, da? er wieder aufkommen werde.

Die Quivas benutzten allerdings haufig Curare zur Vergiftung ihrer Pfeile und der Bolzen ihrer Sarbacanes (Blaserohre), eine bestandige Gewohnheit war das aber immerhin nicht. Die Bereitung dieses Giftes kann nur durch »Specialisten« erfolgen - wenn diese Bezeichnung, wo es sich um wilde Eingeborne handelt, gestattet ist - und es ist nicht immer leicht, sich dieser »Praktiker« der Savannen zu bedienen. Es lag hier also die Wahrscheinlichkeit vor, da? die Sache keinen ubeln Ausgang nahme.

Sollte der Zustand des Sergeanten Martial aber wider Erwarten mehrtagige Ruhe und diese unter gunstigeren Umstanden erheischen, als sich solche an Bord der »Gallinetta« fanden, so war es leicht, beim Dorfe Atures, sechzig Kilometer oberhalb der Mundung des Meta, Aufenthalt zu nehmen.

Dort mu?ten die Reisenden so wie so eine Woche still liegen, bis ihre Piroguen, die sie verlassen mu?ten, die zahlreichen Stromschnellen in diesem Theile des Orinoco uberwunden hatten. Da der Wind noch immer gunstig blieb, durften sie wohl erwarten, das Dorf Atures im Laufe des nachsten Tages zu erreichen.

Die Segel wurden so eingestellt, da? sie die Kraft des Windes am vortheilhaftesten ausnutzten, und wenn dieser in gleicher Weise anhielt, mu?ten die Falcas gegen Abend die gro?ere Halfte des Weges zuruckgelegt haben.

Am Vormittage kamen Jacques Helloch und Germain Paterne noch drei- oder viermal, um den Zustand des Sergeanten Martial zu beobachten.

Die Athmung des Verwundeten war gut, sein Schlaf tief und ruhig.

Nachmittag gegen ein Uhr, als der Sergeant erwachte, erkannte er sogleich den jungen Mann und begru?te ihn mit freundlichem Lacheln. Als er freilich die beiden Franzosen neben ihm sah, konnte er nicht umhin, das Gesicht etwas zu verziehen.

»Haben Sie noch viel zu leiden? fragte ihn Germain Paterne.

- Ich. Herr Paterne, erwiderte der Sergeant Martial, als ob er sich durch eine solche Frage gekrankt fuhlte, nicht im mindesten! Pah, eine einfache Ri?wunde. eine Schramme! Denken Sie denn, ich hatte die Haut eines kleinen Madchens?. Morgen ist gar nichts mehr davon zu sehen, und ich konnte Sie bequem wieder auf der Schulter forttragen. Uebrigens mocht' ich aufstehen.

- Nein, Sie bleiben noch ruhig liegen, Sergeant, erklarte Jacques Helloch, das ist vom Arzte verordnet.

- Lieber Onkel, redete auch der junge Mann dem Verletzten zu, Du mu?t der Anordnung schon nachkommen, und binnen kurzem wirst Du den Herren hier fur Ihre freundliche Hilfe nur danken konnen.

- Schon gut, schon gut!« murmelte der Sergeant Martial knurrend, wie eine Dogge, die von einem Klaffer angebellt wird.

Germain Paterne legte nun einen frischen Verband an und erklarte bestimmt, da? keine Wundvergiftung vorliege. Im andern Falle hatte das Gift seine Wirkung bereits au?ern mussen. Korperlich, wenn auch nicht geistig, ware der Verletzte jetzt schon einer weitverbreiteten Lahmung verfallen gewesen.

»Na, Sergeant, die Sache geht ja nach Wunsch, versicherte Germain Paterne.

- Und in ein paar Tagen wird Alles voruber sein!« setzte Jacques Helloch hinzu.

Als Beide dann nach ihrer Bord an Bord mit der »Gallinetta« segelnden Pirogue zuruckgekehrt waren, machte der Sergeant Martial seinem verhaltenen Ingrimm Luft.

»Das hat mir blos noch gefehlt! brummte er. Nun haben wir sie gleich immer hier auf dem Halse. die beiden Franzosen.

- Ja, bester Onkel, antwortete Jean, um ihn zu beruhigen, da hattest Du Dich freilich nicht verwunden lassen durfen.

- Nein, alle Wetter, das ware nicht nothig gewesen. an der ganzen dummen Geschichte bin ich nur schuld. ich, ein Recrut von acht Tagen. ein Nichtsnutz. der nicht einmal seinen Wachdienst ordentlich zu thun wei?!«

Als die Dammerung anfing, die Ufer des Stromes zu verhullen, langten die Piroguen an der Barre von Vivoral an, wo sie fur die Nacht Schutz suchen sollten. Schon vernahm man von ferne das verschwommene Rauschen der Raudals von Atures.

Da noch immer ein Ueberfall durch Quivas zu befurchten war, wurden die scharfsten Vorsichtsma?regeln getroffen. Der Schiffer Valdez lie? seine Leute ihr Lager nicht aufsuchen, ohne vorher einige davon bezeichnet zu haben, die wahrend der ersten Nachtstunden wachen sollten. Dasselbe wurde von Martos und Parchal auf den beiden andern Falcas angeordnet. Au?erdem besichtigte man die Waffen, die Gewehre und die Revolver und lud sie von neuem.

Die Stille der Nacht wurde inde? durch keinen Alarm unterbrochen, und der Sergeant Martial konnte ungestort bis fruh schlafen. Beim Verbandwechsel am Morgen konnte Germain Paterne die Erklarung abgeben, da? die Wunde in der Heilung begriffen sei und nach wenigen Tagen vernarbt sein werde. Irgendwelche Folgen von Curare waren nicht mehr zu furchten.

Das Wetter blieb klar, die Brise frisch und gunstig. In der Ferne erhoben sich langs beider Ufer die Berge, die durch die Stromverengerung die Raudals von Atures erzeugen.

Hier theilte die Insel Vivoral den Strom in zwei Arme, durch die wuthende Stromschnellen herabbrausten. Gewohnlich, bei niedrigerem Wasserstande, starren Felsblocke in dem Bette hervor, und man kommt unmoglich hindurch, ohne Fracht und Gepack bis zum Ende der Insel uber Land hinschaffen zu lassen.

Dieses langwierige Verfahren war diesmal nicht nothig, und die Piroguen konnten, mittelst Espilla langs des Uferrandes hingetrieben, bis zur stromaufwarts weisenden Spitze der Insel gelangen. Hiermit waren mehrere Stunden gewonnen und die Segelfahrt konnte in gewohnter Weise fortgesetzt werden, als die Sonne am Horizont um wenige Grade uber den Cerros des Cataniapo am rechten Ufer aufgestiegen war.

Am Vormittage konnte man sich bequem langs des Steilufers am Fu?e der Cerros halten, und gegen Mittag legten die Falcas an dem kleinen Dorfe Puerto Real an. Ein etwas zu vornehmer Name fur einen Flu?hafen, um den nur wenige, kaum bewohnte Strohhutten verstreut sind.

Hier beginnt nun gewohnlich der Landtransport aller Frachtstucke der Fahrzeuge bis zu dem funf Kilometer

Вы читаете Der stolze Orinoco
Добавить отзыв
ВСЕ ОТЗЫВЫ О КНИГЕ В ИЗБРАННОЕ

0

Вы можете отметить интересные вам фрагменты текста, которые будут доступны по уникальной ссылке в адресной строке браузера.

Отметить Добавить цитату