Reisenden gegenuber einer Gruppe tonender Felsen, die in Venezuela weit beruhmt sind.
Hier erklang eine Reihenfolge deutlich horbarer musikalischer Tone, die zusammen eine wunderbare Harmonie bildeten. Da die Falcas eine neben der andern fuhren, konnten Alle den Sergeanten Martial vom Vordertheil der »Gallinetta« rufen horen: »Alle Wetter, wer ist denn der Capellmeister, der uns, mit diesem Standchen uberrascht?«
Es handelte sich hier freilich um kein Standchen, obgleich in weiter Umgebung spanische Sitten und Gebrauche ebenso herrschen, wie in Castilien oder Andalusien. Die Reisenden hatten eher glauben konnen, sich in Theben und in der Nahe der Memnonssaulen zu befinden.
Herr Miguel klarte die Andern bald uber die merkwurdige akustische Erscheinung auf, die ubrigens Venezuela keineswegs eigenthumlich ist.
»Zur Zeit des Sonnenaufgangs, sagte er, wurde die Musik, die wir jetzt vernehmen, noch weit deutlicher horbar gewesen sein, und das hat folgende Ursache: Die Felsen enthalten eine gro?e Menge seiner Glimmerblattchen, von denen die unter den Sonnenstrahlen ausgedehnte Luft aus den Gesteinsspalten entweicht, und dann die tonenden Blattchen zum Erzittern bringt.
- Man sieht, rief Jacques Helloch, da? die Sonne doch ein tuchtiger Capellmeister ist.
- Na, dem Leierkasten in unsrer Bretagne kommt die Geschichte doch nicht gleich, sagte der Sergeant Martial.
- Nein, gewi? nicht, stimmte ihm Germain Paterne zu. Eine naturliche Orgel ist fur das platte Land aber etwas Herrliches.
- Mag sein, brummte der Sergeant Martial, es horen ihr nur gar zu Viele zu!«
Zehntes Capitel
Nachdem sie das linke Ufer erreicht hatten, gelang es den drei Piroguen, auch uber das Raudal von Cariben hinauszukommen, ohne selbst einen Theil ihrer Ladung ausladen zu mussen, und gegen sechs Uhr legten sie eine nach der andern im Hintergrunde eines kleinen Hafens an.
Fruher hatten die Reisenden hier einen von einer thatigen Bevolkerung belebten Flecken mit regem Handelsverkehr, der noch im weiteren Aufbluhen zu sein schien, vorgefunden. Jetzt war derselbe aus den uns schon bekannten Ursachen verfallen, und Cariben bestand eigentlich nur noch aus funf Indianerhutten - wenigstens zur Zeit, als Chaffanjon mit dem General Oublion hierherkam.
Bei den wenigen Yaruros, die jene Hutten bewohnten, um Aufnahme nachzusuchen, ware ganz zwecklos gewesen. In dem so weit heruntergekommenen Orte war an eine Neubeschaffung von Nahrungsmitteln und andern Dingen gar nicht zu denken. Das war ubrigens in la Urbana ausreichend geschehen, und man hoffte an Proviant bis Atures genug Vorrath zu haben, zumal da die Jager unterwegs gewi? noch manches Stuck Wild fur die Kuche lieferten.
Am nachsten Tage, am 31. August, erfolgte die Abfahrt schon kurz vor Tagesanbruch, begunstigt von dem noch immer bestehenden Nordwind, den man sich fur die Fahrt nach Suden, in der Richtung, die der Orinoco von la Urbana bis San-
Fernando beibehalt, gar nicht besser wunschen konnte. Cariben liegt ziemlich in der Mitte zwischen jenen zwei Punkten.
Leider wehte der Nordwind aber nicht stetig, sondern mehr sto?weise, so da? nicht viel auf die Segel zu rechnen war, die einmal einige Minuten lang straff gespannt waren und dann wieder langere Zeit an den Masten schlaff herabhingen. Man mu?te also zu den Palancas und den Garapatos greifen, denn an dieser Stelle ist die durch den Zuflu? des Meta verstarkte Stromung machtig genug, ein Fahrzeug leicht zuruckzutreiben.
Der Orinoco zeigte sich hier ubrigens verhaltni?ma?ig belebt, da nicht wenige Boote der Eingebornen den Strom hinauf und hinunter fuhren. Keines davon schien aber die eine oder die andre Pirogue anlaufen zu wollen.
Diese Curiares waren von Quivas besetzt, welche sich mit Vorliebe in der Nahe des wichtigen Nebenflusses des Stromes aufhalten. Man hatte es ubrigens nicht zu bedauern, mit ihnen nicht in Verbindung getreten zu sein, denn gerade diese Indianer stehen - und zwar mit Recht - in gar schlechtem Rufe.
Gegen elf Uhr, als der Wind sich fast ganz gelegt hatte, lie?en Valdez und die beiden andern Schiffer die Segel einholen. Nun galt es, mittelst der Palaucas weiter vorwarts zu kommen, wobei die eine geringere Stromung aufweisenden Wasserwirbel langs des Ufers als Fahrweg gewahlt wurden.
An diesem ubrigens recht unfreundlichen und regnerischen Tage brachten die Piroguen nur eine geringe Strecke hinter sich; um funf Uhr nachmittags ankerten sie jedoch in der Mundung des Meta, hinter einem Vorsprung des rechten Ufers, wo sie in stillem Wasser lagen.
Der Himmel hatte sich spater am Abend wieder aufgeklart; es herrschte jetzt vollige Windstille. Durch eine freie Stelle in den Wolken am westlichen Horizont sandte die Sonne ihre letzten Strahlen auf die Fluthen des Meta, die sich in leuchtendem Rauschen mit denen des Orinoco zu mischen schienen.
Die Falcas legten sich Bord an Bord, die »Gallinetta« zwischen die beiden andern. Es sah aus, als bewohnten die drei Reisenden drei Zimmer ein und desselben Hauses und obendrein Zimmer, deren Thuren offen standen.
Es war schon erklarlich, da? Alle, nachdem sie bei schlechtem Wetter so viele Stunden in den Deckhausern zugebracht hatten, jetzt das Verlangen empfanden, die schone Abendluft zu athmen, auch zusammen zu speisen und miteinander wie Freunde an der namlichen Tafel ein wenig zu plaudern. So barbei?ig der Sergeant Martial auch sein mochte, jetzt durfte er es doch nicht wagen, sich uber dieses gesellige Beisammensein zu beklagen.
Zwischen den vier Franzosen und den drei Venezuolanern herrschte also das beste Einvernehmen. Jeder betheiligte sich an dem Gesprache, das von Jacques Helloch anfanglich auf ein Gebiet hinubergespielt wurde, wo die alten Gegner ins Handgemenge geriethen - auf das Gebiet der Geographie.
Er begann namlich, boshaft genug, eine kleine Streitigkeit zu entfesseln:
»Da waren wir nun an der Mundung des Meta, Herr Miguel.
- Ganz recht, Herr Helloch.
- Das ist doch einer der Nebenflusse des Orinoco?
- Ja, und zwar einer der bedeutendsten, da er ihm viertausend Cubikmeter Wasser in der Secunde zufuhrt.
- Kommt er nicht von den obern Cordilleren der columbischen Republik?
- Wie Sie sagen, antwortete jetzt Herr Felipe, der sehr wohl durchschaute, worauf diese Fragen hinausliefen.
- Nimmt er nicht auch eine gro?e Anzahl Nebenflusse in sich auf?
- Gewi?, sehr viele, bestatigte Herr Miguel. Die wichtigsten darunter sind die Upia und die Humadea, an deren Vereinigung er erst seinen Namen annimmt, ferner der Casanare, der den seinigen auf eine ungeheure Flache von Ilanos ubertragen hat.
- Mein lieber Jean, sagte da Jacques Helloch, wenn es mir gestattet ist, Sie so zu nennen.«
Der junge Mann errothete leicht, und der Sergeant Martial sprang auf, als wurde er von einer Feder emporgeschnellt.
»Was fehlt Ihnen denn, Herr Sergeant? fragte Herr Miguel.
- O, nichts, nichts,« antwortete der alte Soldat sich wieder niedersetzend
Jaques Helloch fuhr also in seiner Rede fort.
»Mein lieber Jean, ich glaube, wir werden nie wieder eine so passende Gelegenheit finden, uber den Meta zu sprechen, da dieser jetzt vor unsern Augen dahinstromt.
- Und Du kannst auch hinzusetzen, fiel Germain Paterne ein, da? wir nie wieder bessre Lehrmeister haben werden, uns uber ihn zu unterrichten.
- Sie thun uns viel Ehre an, meine Herren, erklarte Herr Varinas und doch wissen wir uber den Meta nicht so viel, wie Sie anzunehmen scheinen. Ja, wenn es sich um den Guaviare handelte.
- Oder um den Atabapo! fiel Herr Felipe ein.