- Ja, ist er uberhaupt sein Onkel? unterbrach ihn Germain Paterne. Mir will's nicht ganz so scheinen.
- Ob der Sergeant Martial nun Jean von Kermor's Onkel ist oder nicht, fuhr Jacques Helloch fort, wurde ja wenig bedeuten, wenn er nur noch ein Mann in den Jahren vollster Kraft und an solche gefahrliche Fahrten gewohnt ware. Ich frage mich immer, wie er hat zustimmen konnen.
- Zustimmen, ja, das ist das richtige Wort, Jacques, fiel Germain Paterne ein, indem er die Asche aus seiner Pfeife klopfte. Ja wohl, zustimmen, denn es liegt auf der Hand, da? der junge Mann den Gedanken an diese Reise angeregt und da? er seinen Onkel dazu verfuhrt hat. Doch nein, der Brummbar ist sein Onkel gar nicht, denn ich glaube mich zu erinnern, da? der Oberst von Kermor, als er aus Nantes verschwand, gar kein Kind hatte.
- Als er Nantes wohin verlie??
- Daruber hat man nie etwas gehort.
- Au?er da? sein Sohn uns von dem letzten, in San-Fernando geschriebenen Briefe gesprochen hat. Wenn sie freilich auf eine so unzuverlassige Andeutung hin abgereist sind.
- Nun, sie hoffen ja in San-Fernando weitere Nachrichten erhalten zu konnen, der Oberst hat sich daselbst vor zwolf bis dreizehn Jahren doch bestimmt einmal aufgehalten.
- Das ist es eben, was mir Sorge macht, Germain. Erhalt der junge Mann in San-Fernando weitere Mittheilungen, so wird er wahrscheinlich noch weiter. sehr weit. entweder nach Columbien oder durch die Flu?gebiete des Atabapo oder des Guaviare, vielleicht auch bis nach den Quellen des Orinoco hinausgehen wollen. Ein solches Wagni? mu?te doch zu einem sichern Untergange fuhren.«
Da unterbrach Germain Paterne seinen Genossen und sagte halblaut:
»Horst Du nichts, Jacques?«
Dieser erhob sich, ging lautlos nach dem Vordertheil der Pirogue und lauschte, wahrend er die Wasserflache vom jenseitigen Ufer bis zur Mundung des Meta uberblickte.
»Ich sehe nichts, sagte er zu Germain, der ihm gefolgt war. Und doch. ja, setzte er nach nochmaligem scharfen Aufpassen hinzu, mir scheint ein Gerausch vom Wasser her zu kommen.
- Sollten wir nicht die Schiffsleute wecken?
- Warte noch!. Das scheint mir gar nicht das Gerausch von einem sich nahernden Boote zu sein. Vielleicht sind es nur die Fluthen des Meta und des Orinoco, die an ihrer Vereinigungsstelle einen gurgelnden Ton erzeugen.
- Achtung! Sieh da. da drau?en!« fugte Germain Paterne hinzu.
Er wies dabei nach einigen schwarzen Punkten hin, die sich wenige Schritte flu?abwarts von den Falcas bewegten.
Jacques Helloch ergriff das Gewehr, das am Deckhaus lehnte, und beugte sich uber den Bordrand hinaus.
»Ein Boot ist es nicht, sagte er, und doch, mir scheint, ich sehe.«
Er legte schon die Waffe an, als Germain Paterne ihn zuruckhielt.
»Schie?e nicht!. Schie?e nicht! raunte er ihm zu. Hier ist von keinen auf Raub ausziehenden Quivas die Rede!. Das sind nur ehrliche Amphibien, die an der Wasseroberflache Luft schnappen wollen.
- Amphibien?
- Ja, drei oder vier von den Lamantins und Toninos, die im Orinoco so haufig vorkommen!«
Germain Paterne tauschte sich hiermit nicht. Es handelte sich hier nur um einige Parchen von Lamantins (Wasserkuhen) und Toninos (Wasserschweinen), die sich in den gro?eren und kleineren Flussen Venezuelas aufhalten.
Die vollig harmlosen Amphibien naherten sich langsam den Piroguen, verschwanden aber, wahrscheinlich erschreckt, als sie fast heran waren.
Die beiden jungen Leute nahmen ihren Platz auf dem Hintertheile wieder ein, und dann ging das kurze Zeit unterbrochene Gesprach wieder weiter, nachdem Germain Paterne seine Pfeife nochmals in Brand gesetzt hatte.
»Du sagtest eben, begann Jacques Helloch, da? der Oberst von Kermor, wenn Du Dich recht erinnerst, keine weitere Familie gehabt habe.
- Das glaub' ich versichern zu konnen. Doch halt, da kommt mir etwas in den Sinn. Es schwebte einmal ein Proce?, der von einem Verwandten seiner Gattin angestrengt war, ein Proce?, den der Oberst beim Appellationsgericht in Rennes gewann, nachdem er ihn in unterer Instanz in Nantes verloren hatte. Ja, ja, dessen erinnre ich mich jetzt. Vier bis funf Jahre spater war Frau von Kermor, eine Kreolin von Martinique, auf der Ruckkehr von den franzosischen Colonien bei einem Schiffbruche umgekommen. und zwar mit ihrer einzigen Tochter. Das war ein harter Schlag fur den Oberst. Nach langer Krankheit, nach dem Verluste Aller, die seinem Herzen am theuersten waren - seiner Gattin und seines Kindes - und nun ohne weitere Familie, nahm er, wie ich Dir schon sagte, seinen Abschied. Kurze Zeit darauf verbreitete sich das Gerucht, da? er Frankreich verlassen habe. Niemals war dann etwas davon laut geworden, nach welchem Lande er sich gewendet haben mochte, bis der an einen seiner Freunde gerichtete Brief aus San-Fernando eintraf. Ja, so war es; ich wundre mich, da? ich mich nicht eher darauf besonnen habe. Wenn wir den Sergeanten Martial und den jungen Kermor daruber fragten, wurden sie das jedenfalls bestatigen.
- Die wollen wir nicht darum befragen, antwortete Jacques Helloch, das sind Privatangelegenheiten, und es ware von uns indiscret, sich da hineinmischen zu wollen.
- Du magst recht haben, Jacques, Du wirst aber zugeben, da? ich auch recht hatte mit der Behauptung, da? der Sergeant Martial der Onkel Jean von Kermor's nicht sein konne, da der Oberst von Kermor nach dem Ableben seiner Frau keine naheren Verwandten hatte.«
Mit gesenktem Kopfe und gekreuzten Armen dachte Jacques Helloch uber das nach, was sein Genosse ihm mitgetheilt hatte. Dieser konnte damit gar keinem Irrthum verfallen sein. Er wohnte ja in Rennes, als der Proce? des Oberst von Kermor am dortigen Appellationsgerichte verhandelt wurde, und die im Vorhergehenden erwahnten Thatsachen waren im Laufe des Processes an den Tag gekommen.
Da kam ihm ein Gedanke, der wohl unsern freundlichen Lesern auch schon aufgestiegen sein mochte.
»Wenn der Sergeant Martial kein Verwandter ist, sagte er, so kann Jean auch nicht der Sohn des Oberst von Kermor sein, da dieser nur eine Tochter hatte, die noch ganz klein bei dem Schiffbruche mit umgekommen war, der ihrer Mutter das Leben kostete.
- Das liegt auf der Hand, erklarte Germain Paterne, es ist unmoglich, da? der junge Mann der Sohn des Oberst ware.
- Und doch behauptet er das,« setzte Jacques Helloch hinzu.
Hier lag offenbar ein dunkler, ja ein geheimni?voller Punkt vor. Konnte man annehmen, da? der junge Mann selbst das Opfer einer Tauschung ware - einer Tauschung, die ihn in so ein gefahrvolles Unternehmen gesturzt hatte?. Nein, das gewi? nicht. Der Sergeant Martial und sein angeblicher Neffe mu?ten sich, bezuglich des Oberst von Kermor und der Bande, die Jean mit diesem verknupften, auf Grundlagen stutzen, die mit dem, was Germain Paterne wu?te, in Widerspruch standen.
Das Interesse Jacques Helloch's nahm ubrigens noch mehr zu, je mehr er sich hier einer unaufgeklarten Sache gegenuber sah.
Die beiden Freunde unterhielten sich uber dieses Thema bis zu dem Augenblicke wo die Herren Miguel und Felipe, die den hartkopfigen Vertreter des Guaviare schlafen lie?en, zur Uebernahme des Wachpostens erschienen.
»Sie haben nichts Verdachtiges bemerkt? fragte Herr Miguel, der auf dem Hintertheil der »Maripare« stand.
- Nicht das Geringste, Herr Miguel, antwortete Jacques Helloch. Strom und Ufer sind vollkommen ruhig.
- Und voraussichtlich wird Ihre Wache ebensowenig gestort werden, wie die unsre, fugte Germain Paterne hinzu.
- Dann also, gute Nacht, meine Herren!« erwiderte Herr Felipe, indem er ihnen von Bord zu Bord die Hande druckte.
Wenn Herr Miguel und sein College die wenigen Stunden, die sie jetzt vor sich hatten, gleichfalls verplauderten, so bezog sich ihr Gesprach doch gewi? nicht auf denselben Gegenstand, wie das der beiden Franzosen. Herr Felipe benutzte jedenfalls die Nichtanwesenheit des Herrn Varinas, um die Bedeutung der Argumente, die dieser fur seine Anschauungen betonte, in ihrer Leerheit zu zeigen, und Herr Miguel horte ihm