Es wurde auch beschlossen, weder Valdez oder Parchal, noch einen von den Schiffsleuten uber die letzten Vorgange und Enthullungen aufzuklaren, und man konnte es nur billigen, da? der Sergeant Martial Jeanne fur seinen Neffen Jean ausgegeben hatte in der Hoffnung, dadurch manche Schwierigkeiten eines solchen Zuges aus dem Wege zu raumen. Es war jedenfalls rathsam, von diesem klugen Verhalten nicht abzuweichen.
Nun male man sich die Verbluffung, die Niedergeschlagenheit und darauf den Ingrimm des alten Soldaten aus, als Jacques Helloch ihm eroffnete, da? er das Geheimni? durchschaut habe, da? er wisse, in Jean von Kermor Jeanne von Kermor vor sich zu haben! Doch nein, ein solcher Versuch ware mindestens nutzlos, denn man wurde das Richtige dabei doch nicht treffen.
Ebensowenig brauchen wir wohl die sehr naturliche Verlegenheit hervorzuheben, die sich des jungen Madchens bemachtigte, als Jacques Helloch und Germain Paterne zum erstenmale wieder vor ihr standen. Beide wollten ihr ihre Hochachtung, ihre Ergebenheit zu erkennen geben und sie ihrer Verschwiegenheit versichern. Ihr entschlossener Charakter, der der gewohnlichen Scheu ihres Geschlechtes uberlegen war, gewann in ihr aber sehr bald wieder die Oberhand.
»Fur Sie bleib' ich Jean... immer nur Jean, sagte sie, den beiden Landsleuten die Hande entgegenstreckend.
- Stets, mein Fraulein, antwortete Germain Paterne mit einer Verbeugung.
- Jawohl. Jean. mein lieber Jean. versicherte Jacques Helloch, und bis zu dem Tage, wo wir Fraulein Jeanne von Kermor den Armen ihres Vaters wieder zugefuhrt haben!«
Es versteht sich von selbst, da? jetzt Germain Paterne keinen weiteren Einspruch gegen die Reise erheben zu durfen glaubte, die bis zu den Quellen des Orinoco und vielleicht noch daruber hinaus ausgedehnt werden sollte.
Ihm personlich kam das ja ganz gelegen; er bekam dadurch vielfache Gelegenheit, seine Sammlungen zu bereichern, da? er die Pflanzenwelt des obern Orinoco durchforschte. Das gestattete ihm auch, seine Mission als Naturforscher besser zu erfullen, und der Minister der offentlichen Aufklarung hatte sicherlich keine Ursache gehabt, sich uber die Verlangerung der Reise mi?billigend zu au?ern.
Was Jeanne von Kermor anging, konnte diese nur herzlich dankbar dafur sein, da? die beiden jungen Manner ihre Bemuhungen mit den ihrigen vereinigen, sie bis zur Mission von Santa-Juana begleiten wollten und da? sie bereit waren, in ihrem Interesse allen Zufalligkeiten eines solchen Zuges die Stirn zu bieten, dadurch aber ihre Aussichten auf Erfolg zu vermehren. Ihr Herz flo? auch uber vor Erkenntlichkeit gegen den, der sie dem Tode entrissen hatte und wahrend der ganzen Reise an ihrer Seite bleiben wollte.
»Mein alter, lieber Freund, sagte sie zu dem Sergeanten Martial, Gottes Wille geschehe!. Er wei? ja, was er thut.
- Eh' ich ihm dafur danke, mocht' ich freilich erst das Ende abwarten,« begnugte sich der alte Soldat zu antworten.
Dann brummte er in seiner Ecke vor sich hin und schamte sich wie ein Onkel, der seinen Neffen verloren hat.
Jacques Helloch hielt es fur ganz selbstverstandlich, Germain Paterne zu erklaren:
»Du begreifst wohl, da? wir Fraulein von Kermor nicht verlassen konnten.
- Ich begreife Alles, lieber Jacques, sogar die Dinge, von denen Du schlankweg behauptest, da? ich sie nicht verstande. Einen jungen Mann hast Du zu retten geglaubt, und ein junges Madchen hast Du dem Tode entrissen; da liegt es ja auf der Hand, da? es uns rein unmoglich ist, eine so interessante Personlichkeit zu verlassen.
- Das hatt' ich auch einem Jean von Kermor gegenuber nicht gethan! versicherte Jacques Helloch. Nein, ich hatte nie zugegeben, da? er sich solchen Gefahren aussetzte, ohne da? ich sie mit ihm theilte. Es war meine Pflicht. unser Beider Pflicht, Germain, ihm bis zum Ziele behilflich zu sein.
- Sapperment!« rief Germain Paterne scheinbar in gro?tem Ernst.
Wir fugen hier ein, was Fraulein von Kermor ihren Landsleuten in kurzen Worten mitgetheilt hatte.
Der 1829 geborne, jetzt also im dreiundsechzigsten Jahre stehende Oberst von Kermor hatte 1859 eine Kreolin aus Martinique geheiratet. Die beiden ersten Kinder dieser Ehe waren schon in sehr zartem Alter verstorben. Jeanne hatte sie niemals kennen gelernt, und Herr und Frau von Kermor waren schon uber diesen Verlust untrostlich gewesen.
Herr von Kermor, ein ausgezeichneter Officier, verdankte seinem Muthe, seinen Kenntnissen und andern besondern Eigenschaften ein glanzendes, schnelles Avancement. Mit vierzig Jahren war er bereits Oberst. Der Soldat, spater Corporal und Sergeant Martial hatte sich mit Leib und Seele diesem Officier ergeben, der ihm auf dem Schlachtfelde von Solferino das Leben gerettet hatte. Beide kampften spater auch zusammen in dem unglucklichen Feldzug gegen die deutschen Heere.
Zwei bis drei Wochen vor der 1870 er Kriegserklarung hatten Familienverhaltnisse Frau von Kermor genothigt, nach Martinique zu reisen. Hier erblickte Jeanne das Licht der Welt. Trotz des Kummers, der ihn uber den Verlauf des Feldzuges bedruckte, freute sich der Oberst doch herzlich uber die Geburt dieses Kindes. Hatte ihn die Pflicht nicht zuruckgehalten, so ware er zu Gattin und Kind nach den Antillen geeilt, um beide nach Frankreich heimzuholen.
Unter den gegebenen Verhaltnissen wollte Frau von Kermor aber nicht warten, bis das Ende des Krieges ihrem Manne erlaubte, sie abzuholen. Es drangte sie, an seiner Seite zu weilen, und im Mai 1871 schiffte sie sich in Saint-Pierre-
Martinique auf einem nach Liverpool bestimmten englischen Packetboote, dem »Norton«, ein.
Frau von Kermor hatte noch eine Kreolin bei sich, die Amme ihres Tochterchens, das erst wenige Monate alt war. Sie wollte diese Frau in ihrem Dienst behalten, wenn sie in die Bretagne und nach Nantes, wo sie vor ihrer Abreise gewohnt hatte, zuruckgekehrt ware.
In der Nacht vom 23. zum 24. Mai wurde der »Norton« aber bei dichtem Nebel durch den Dampfer »Vigo« von Santander angefahren. In Folge dieses Zusammensto?es versank der »Norton« fast auf der Stelle mit allen Passagieren, bis auf funf, mit der ganzen Besatzung, bis auf zwei Mann, ohne da? das andre Schiff noch mehr Menschenleben hatte retten konnen.
Frau von Kermor hatte nicht Zeit gefunden, ihre Cabine zu verlassen, die an der Seite lag, wo der Zusammensto? erfolgte; die Amme kam ebenfalls ums Leben, obgleich es ihr gelungen war, mit dem Kinde das Deck zu erreichen.
Wie durch ein Wunder gehorte das Kind nicht zu den Opfern des Unfalls, dank dem hilfbereiten Muthe eines der zwei Matrosen vom »Norton«, denen es gelang, den »Vigo« zu erreichen.
Nach dem Versinken des »Norton« blieb der »Vigo«, der zwar am Bug beschadigt war, dessen Maschinen von der Collision aber nicht gelitten hatten, noch am Ort der Katastrophe liegen und lie? seine Boote aufs Meer. Alles bis zum hellen Tage fortgesetzte Suchen nach noch lebenden Verungluckten hatte leider keinen Erfolg, und das Schiff mu?te nun der nachstgelegenen Antilleninsel zusteuern, wo es acht Tage darauf eintraf.
Von hier aus wurden die wenigen Geretteten, die auf dem »Vigo« Zuflucht gefunden hatten, nach ihrem Bestimmungsorte befordert.
Unter den Passagieren dieses Dampfers befand sich eine spanische Familie, die aus Havanna stammende Familie Eridia, und diese erbot sich, die kleine Jeanne aufzunehmen. Ob das Kind jetzt in der Welt ganz allein dastand, konnte vorlaufig niemand wissen. Einer der geretteten Matrosen erklarte zwar, die Mutter des kleinen Madchens sei eine auf dem »Norton« eingeschiffte Franzosin gewesen, deren Name ihm aber unbekannt geblieben ware. Den Namen konnte man auch nur nachtraglich erfahren, wenn er bei dem Commissionar des englischen Dampfers vor dessen Abgang eingeschrieben ware. Das war aber nicht der Fall, wie es sich bei der uber den Zusammensto? der beiden Schiffe eingeleiteten Untersuchung herausstellte.
Von den Eridia's an Kindesstatt angenommen, folgte Jeanne diesen nach Havanna. Hier sorgten jene fur ihre Erziehung, nachdem sie sich vergeblich bemuht hatten, zu erkunden, wem und welcher Familie sie eigentlich angehorte. Man gab der Kleinen hier den Namen Juana. Von Natur gut veranlagt, lernte sie eifrig und entwickelte sich geistig recht vortheilhaft bis zu ihrem vierzehnten Jahre, wo sie die franzosische Sprache ebenso vollkommen wie die spanische beherrschte. Die Geschichte ihres Lebens war Juana nicht verheimlicht worden. In Folge dessen fuhlte sie sich immer nach Frankreich hingezogen, wo vielleicht ihr Vater lebte, der sie beweinte und sie wohl niemals zu sehen furchtete.
Leicht wird man sich den Schmerz vorstellen konnen, den der Oberst von Kermor bei dem doppelten Schlage empfand, welcher ihn seiner Gattin und seines Kindes beraubte, das er noch nicht einmal kannte. Im Kriegsgetummel des Jahres 1871 hatte er ja gar nicht erfahren, da? Frau von Kermor sich entschlossen hatte.