Martinique zu verlassen, um zu ihm zu kommen. Er wu?te also auch nicht, da? sie an Bord des »Norton« gegangen war. Und als er es erfuhr, ging ihm gleichzeitig die Nachricht von dem schrecklichen Schiffsunfalle zu. Vergeblich lie? er uberall Nachfragen anstellen. Sie ergaben nichts andres als die Gewi?heit, da? seine Gattin und sein Tochterchen mit der Mehrzahl der Passagiere und Mannschaften des Packetbootes zugrunde gegangen waren.

Die Trauer des Oberst von Kermor kannte keine Grenzen. Er verlor ja gleichzeitig die angebetete Lebensgefahrtin und ein Kind, das von ihm noch nicht den ersten Ku? bekommen hatte. Die Wirkung dieses zweifachen Unglucks auf ihn war so machtig, da? er den Verstand zu verlieren furchtete; er erkrankte auch so schwer, da? die Familie von Kermor ohne die sorgsame Pflege seines alten Soldaten, des Sergeanten Martial, vielleicht mit ihm ausgestorben ware.

Der Oberst uberstand zwar die Krankheit, seine Genesung zog sich aber sehr lange hin. Da er sich jedoch einmal entschlossen hatte, auf seinen Beruf, der der Ehrgeiz seines ganzen Lebens gewesen war und ihm noch eine glanzende Zukunft in Aussicht stellte, zu verzichten, erbat er sich 1873, als er nur vierundvierzig Jahre zahlte und in der Vollkraft des Lebens stand, seine endgiltige Entlassung.

Seit er diese erhalten hatte, lebte der Oberst von Kermor hochst zuruckgezogen in einem bescheidenen Landhause von Chantenay-sur-Loire, in der Nahe von Nantes. Er empfing keinen Freund mehr und hatte als einzigen Gesellschafter den Sergeanten Martial, der gleichzeitig mit ihm den Dienst im Heere aufgab. Er war nur noch ein unglucklicher Verlassener nach einem Schiffbruche an menschenleerer Kuste - nach einem Schiffbruche, der ihm alle irdischen Beziehungen geraubt hatte.

Zwei Jahre spater verschwand der Oberst von Kermor ganzlich. Eine Reise vorschutzend, verlie? er Nantes, und ohne Nachricht uber ihn erhalten zu konnen, wartete der Sergeant

Martial vergebens auf seine Ruckkehr. Zehntausend Francs Renten, die Halfte seines Vermogens, hatte er dem ergebenen Waffengefahrten zuruckgelassen, und dieser bekam sie von dem Notar der Familie punktlich ausgezahlt. Die andre Halfte hatte der Oberst von Kermor flussig gemacht und mitgenommen. wohin?. das sollte vorlaufig ein undurchdringliches Geheimni? bleiben.

Die Schenkungsurkunde zu Gunsten des Sergeanten Martial war von einem Schreiben folgenden Wortlautes begleitet:

»Ich sage hiermit ein letztes Lebewohl meinem braven Soldaten, mit dem ich, was mir noch gehort, theilen will. Er suche nicht, mich aufzufinden - es wurde verlorene Muhe sein. Ich bin todt fur ihn, fur meine Freunde, todt fur die Welt, so wie alle die Wesen, die ich auf Erden am innigsten geliebt habe.«

Weiter enthielt das Schreiben nichts.

Der Sergeant Martial wollte inde? nicht daran glauben, da? er seinen Oberst niemals wiedersehen sollte. Er veranla?te mehrfache Schritte, um zu entdecken, in welchem Lande, fern von Allen, die ihn gekannt und denen er ein Lebewohl fur immer gesagt hatte, er seine verzweifelte Existenz wohl begraben hatte.

Inzwischen wuchs das kleine Madchen in der Familie ihrer Adoptiveltern heran. Ein Dutzend Jahre verliefen, ehe es den Eridia's gelang. einige Aufklarung uber die Angehorigen des Kindes zu erhalten. Endlich erfuhren sie aber, da? eine Frau von Kermor, die sich damals unter den Passagieren an Bord des »Norton« befunden hatte, die Mutter Jeannes gewesen sei, und da? deren Gatte, der Oberst gleichen Namens, noch lebe.

Das Kind war jetzt zu einem Madchen von vierzehn Jahren geworden, das sich zu einer reizenden Erscheinung zu entwickeln versprach. Gut unterrichtet, ernsthaft und von lebhaftem Pflichtgefuhl beseelt, verrieth sie eine fur ihr Alter und Geschlecht ungewohnliche Willenskraft.

Die Eridia's glaubten sich nicht berechtigt, ihr die zuletzt erhaltenen Nachrichten zu verheimlichen, und von diesem Tage an schien es, als ob eine wirkliche Offenbarung uber sie gekommen ware. Sie hielt sich fur berufen, ihren Vater wiederzufinden. Dieser Glaube beherrschte alle ihre Gedanken, er nahm sie so sehr gefangen, da? er eine sichtbare Veranderung ihres ganzen Wesens hervorbrachte. So glucklich sie sich sonst auch fuhlte, so liebevoll sie in dem Hause, worin sie ihre Kindheit verbracht hatte, behandelt worden war, lebte sie doch nur noch in dem Gedanken, den Oberst von Kermor aufzusuchen. Bekannt war bisher nur, da? dieser sich in der Bretagne in die Nahe seiner Vaterstadt Nantes zuruckgezogen hatte. Nun schrieb man dahin, ob er auch jetzt noch daselbst weile. Wie niederschmetternd lautete fur das junge Madchen aber die Antwort, die sie belehrte, da? ihr Vater schon seit einer Reihe von Jahren spurlos verschwunden sei.

Da erbat sich Fraulein von Kermor von ihren Adoptiveltern die Erlaubni?, nach Europa zu reisen. Sie wollte nach Frankreich, nach Nantes gehen, dort werde es ihr gelingen, die angeblich verloren gegangenen Spuren ihres Vaters zu entdecken. Wo die Bemuhungen fremder Personen scheiterten, konnte ja eine Tochter, die sich mehr durch naturlichen Instinct leiten lie?, immer noch Erfolg haben.

Kurz, die Eridia's stimmten, wenn auch ohne einen Funken von Hoffnung, ihrer Abreise zu und verpflichteten sie nur, zuruckzukehren, wenn sich ihre Nachforschungen als vergeblich erwiesen. Fraulein von Kermor verlie? also Havanna und traf nach glucklicher Ueberfahrt in Nantes ein, wo sie nur den Sergeanten Martial fand, der uber das Schicksal seines Oberst noch ebenso im Unklaren war, wie fruher.

Nun male man sich die Gemuthsstimmung des alten Soldaten aus, als dieses Kind, das man bei dem Unfalle des »Norton« mit umgekommen glaubte, die Schwelle des Hauses in Chantenay uberschritt. Er wollte es erst nicht fur wahr halten und mu?te es schlie?lich doch glauben. Die Gesichtszuge Jeannes erinnerten ihn an die ihres Vaters, an seine Augen, an den ganzen Gesichtsausdruck, kurz, an Alles, was man an Aehnlichkeiten durch Bluterbschaft zu sehen gewohnt ist. So nahm er denn das junge Madchen gleich einem Engel auf, den ihm sein Oberst aus jener Welt geschickt habe.

Zu jener Zeit hatte er freilich schon jede Hoffnung aufgegeben, zu erfahren, nach welchem Lande sich der Oberst von Kermor in seiner verzweifelnden Trauer gefluchtet hatte.

Jeanne entschlo? sich sofort, das vaterliche Haus nicht gleich wieder zu verlassen. Das Vermogen, das der Sergeant erhalten hatte und das er ohne Bedenken bereit war, ihr wieder abzutreten, wollten Beide dazu verwenden, erneute Nachforschungen anzustellen.

Vergeblich bemuhte sich die Familie Eridia, Fraulein von Kermor zur Ruckkehr zu ihr zu bewegen; sie mu?te sich schlie?lich in die Trennung von ihrer Adoptivtochter fugen. Jeanne dankte ihren Wohlthatern fur Alles, was diese fur sie gethan hatten, und bewahrte die warmste Erkenntlichkeit fur die, die sie vor Ablauf einer langen Zeit voraussichtlich nicht wiedersehen sollte. Fur sie war aber der Oberst von Kermor noch am Leben, und das lie? sich vielleicht auch annehmen, da eine Nachricht von seinem Ableben weder dem Sergeanten Martial, noch einem seiner in der Bretagne zuruckgelassenen personlichen Freunde zugegangen war. Sie wollte ihn suchen, wollte ihn auf jeden Fall finden. Der Liebe des Vaters entsprach ganz die Liebe der Tochter, obgleich Beide einander noch niemals gesehen hatten. Es verknupfte sie das Band der Natur, ein so festes Band, da? nichts es sprengen konnte.

Das junge Madchen blieb mit dem Sergeanten Martial also in Chantenay. Letzterer horte, da? sie wenige Tage nach ihrer Geburt in Martinique auf den Namen Jeanne getauft worden war, und er setzte diesen Namen wieder an die Stelle dessen, den sie bei der Familie Eridia gefuhrt hatte. Jeanne lebte bei ihm, stets bemuht, die leisesten Anzeichen zu beachten, die es gestattet hatten, den Spuren des Oberst von Kermor nachzugehen.

An wen sollte sie sich aber wenden, um uber den Abwesenden die geringste Nachricht zu erhalten? Der Sergeant Martial hatte ja schon alle Mittel erschopft, in gleichem Sinne Erkundigungen einzuziehen. Und nun war der Oberst von Kermor obendrein ausgewandert, weil er in der Welt ganz allein dazustehen glaubte. Ach, wenn er hatte wissen konnen, da? seine aus dem Schiffbruche gerettete Tochter im Vaterhause auf ihn wartete!

Mehrere Jahre vergingen. Kein Lichtstrahl hatte das bisherige Dunkel unterbrochen. Ohne Zweifel hatte den Oberst von Kermor auch ein unergrundliches Geheimni? noch weiter verhullt, wenn es nicht unter folgenden Umstanden zu einer unerwarteten Offenbarung gekommen ware.

Der Leser erinnert sich des Briefes, der, vom Oberst unterzeichnet, 1879 in Nantes eingetroffen war. Dieser Brief kam aus San-Fernando de Atabapo in Venezuela, Sudamerika. An den Rechtsanwalt, einen Freund der Familie von Kermor gerichtet, bezog er sich nur auf eine rein personliche Angelegenheit, die dieser regeln sollte. Gleichzeitig empfahl ihm der Absender darin ernstlich, uber das Vorhandensein des Briefes unverbruchliches Stillschweigen zu bewahren. Der Anwalt schied bereits aus dem Leben, als Jeanne von Kermor sich noch in Martinique befand und als noch niemand wu?te, da? sie die Tochter des Oberst war. Erst sieben Jahre darauf wurde der Brief, damals schon dreizehn Jahre alt, unter den

Papieren des Verstorbenen gefunden. Da beeilten sich seine Erben, die die Geschichte Jeanne von Kermor's kannten und ebenso wu?ten, da? sie sich bei dem Sergeanten Martial aufhielt, wie da? sie Alles versucht hatte, auf ihren Vater bezugliche Schriftstucke zu entdecken - ihr von dem Briefe Kenntni? zu geben.

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