Was den Spanier, namens Jorres betrifft, der erst vor vierzehn Tagen im Orte eingetroffen war, so sachte dieser gerade Gelegenheit, nach Santa-Juana zu kommen, wo der Pater Esperante, wie er sagte, es nicht abschlagen wurde, ihn in den Dienst der Mission aufzunehmen. Da er nun gehort hatte, da? der Sohn des Oberst von Kermor und in welcher Absicht dieser sich auch nach Santa-Juana begeben wollte, bot sich Jorres sofort als Ruderer und Bootsgehilfe an. Valdez, dem ja noch ein Mann fehlte, ging auf das Anerbieten ein. Der Spanier schien recht geweckter Natur zu sein, obwohl seine harten Zuge und ein fast unheimlicher Glanz seiner Augen nicht gerade zu Gunsten des Mannes sprachen. Uebrigens sprach er nur das Nothigste und war jedenfalls nicht mittheilsamer Art.
Hier sei eingeschaltet, da? die Schiffer Valdez und Parchal den Strom schon bis zum Rio Mavaca, einem linksseitigen Nebenflusse, hinausgefahren waren, d. h. etwa bis dreihundertundfunfzig Kilometer unterhalb des Gebirgsstockes der Parima, von dem die ersten Wasseradern des gro?en Stromes entspringen.
Die Piroguen, die zur Vermittlung des Verkehrs auf dem obern Orinoco dienen, sind gewohnlich von leichterer Bauart, als die auf dem Mittellaufe. Die »Gallinetta« und die »Moriche« schienen inde? bei ihren an und fur sich beschrankten Abmessungen zu dieser Art Schifffahrt nicht ungeeignet. Sie waren auch sorgfaltig untersucht, am Boden frisch kalfatert und uberhaupt so gut wie moglich in Stand gesetzt worden. Im October hat die trockne Jahreszeit noch nicht den gro?ten Tiefstand des Stromes herbeigefuhrt; er hatte fur die beiden Falcas daher immer noch genug Wasser, und da die Reisenden sich auf diesen schon seit zwei Monaten sozusagen eingewohnt hatten, wurde sie Keiner gern gegen andre vertauscht haben.
Zur Zeit, als Chaffanjon seine beruhmt gewordene Reise ausfuhrte, gab es von Stromkarten nur die im ganzen wenig zuverlassige von Codazzi, deren vielfach falsche Angaben der franzosische Reisende erst berichtigen mu?te. So sollte denn jetzt die von Chaffanjon entworfene Karte bei dem zweiten Theile der Fahrt benutzt werden.
Der Wind, eine ziemlich steife Brise, war gunstig. Die beiden Piroguen mit ihren festgestellten Segeln glitten, fast in gleicher Linie, schnell dahin. Die Mannschaft, die auf den Vordertheilen in Gruppen zusammenstand, brauchte ihre Arme nicht anzustrengen. Es war schones Wetter mit leichten, von Westen heranziehenden Wolken am Himmel.
In San-Fernando waren die Falcas frisch verproviantiert worden, und zwar mit gedorrtem Fleisch, Gemusen, Cassavebrod, Conserven, Tabak, Tafia und Aguardiente, ferner mit Tauschartikeln, wie mit Messern, Aexten, Glaswaaren, Spiegeln, Stoffen, doch auch mit Kleidungsstucken, Decken und einem reichlichen Vorrath an Munition. Das war eine weise Vorsicht, denn weiter stromaufwarts wurde es, von den nothigsten Nahrungsmitteln abgesehen, gewi? sehr schwierig, sich derartige Gegenstande zu beschaffen. Was ubrigens die Ernahrung der Mannschaften betraf, durfte man erwarten, da? die Hammerle?buchse Jacques Helloch's und die Jagdflinte des Sergeanten Martial dazu genugende Beitrage liefern wurden. Auch auf ergiebigen Fischfang war jedenfalls zu rechnen, denn an den Mundungen der zahlreichen Rios, die sich in den Oberlauf des Stromes ergie?en, wimmelt es uberall von schmackhaften Wasserbewohnern.
Abends gegen funf Uhr legten die von der Brise getriebenen Piroguen an der au?ersten Spitze der Insel Mina fast gegenuber dem Mawa an. Hier wurde ein Wasserschweinsparchen erlegt, und so brauchte weder fur die Passagiere, noch fur die Mannschaften auf den vorhandenen Mundvorrath zuruckgegriffen zu werden.
Am nachsten Tage, am 4. October, ging die Fahrt unter ganz gleichen Verhaltnissen weiter. Nach Zurucklegung einer fast ganz geraden, zwanzig Kilometer langen Strecke des Orinoco, der die Indianer den Namen Canon Nube gegeben haben, ankerten die »Moriche« und die »Gallinetta« am Fu?e der merkwurdigen Felsen der Piedra Pintada.
Diese bilden den »Bemalten Stein«, dessen Inschriften Germain Paterne vergebens zu entziffern suchte, und die ubrigens auch zum Theil uberfluthet wurden. Die reichlichen Niederschlage der Regenzeit erhielten hier noch immer einen die normale Hohe ubersteigenden Wasserstand. Jenseits der Mundung des Cassiquiare trifft man noch auf eine andre »Piedra Pintada« mit ganz ahnlichen hieroglyphischen Zeichen - eine Erinnerung an uralte Indianerrassen - die der Zahn der Zeit verschont hat.
Die Reisenden auf dem Alto Orinoco bringen die Nacht mit Vorliebe auf dem Lande zu. Sobald da unter Baumen eine Art Lagerplatz hergestellt ist, bringen sie ihre Hangematten an niedrigeren Zweigen an und schlafen ruhig unter dem sternenbesaeten Himmel, wenn gerade Sterne flimmern, die dann aber am venezuolanischen Firmament immer schon sind. Die Passagiere hatten sich bisher freilich mit dem Obdach, das die Deckhauser boten, begnugt und hielten es nicht fur nothwendig, ihre Piroguen zu verlassen.
Wer unter freiem Himmel schlaft, ist hier ubrigens plotzlichen und heftigen, gerade in dieser Gegend haufigen Regenschauern ausgesetzt und auch noch andern Zufalligkeiten preisgegeben, die ebensowenig angenehmer Art sind.
Die beiden Schiffer Valdez und Parchal sprachen gerade an diesem Abend daruber.
»Wenn man dadurch von den Muskitos verschont bliebe, meinte der Erstere, dann ware ja ein Nachtlager am Lande vorzuziehen. Die Qualgeister sind am Ufer aber ebenso zudringlich, wie auf dem Strome.
- Au?erdem, erganzte Parchal seines Collegen Rede, wird man dort noch von Ameisen uberfallen, deren Bisse einen fieberhaften Zustand erzeugen konnen.
- Sind das nicht die, die man »Veinte y cuatro« nennt? fragte Jean, der sich durch flei?iges Studium seines Fuhrers vielseitig unterrichtet hatte.
- Ganz recht, bestatigte Valdez, und zu jenen gesellen sich noch die Chipitas, kleine Insecten, die man mit blo?em Auge kaum sehen kann und die einen vom Kopf bis zu den Fu?en zerstechen; ferner die Termiten, die so unertraglich sind, da? die Indianer vor ihnen nicht selten aus ihren Hutten entfliehen.
- Ohne von den Sandflohen zu reden, setzte Parchal hinzu, und von den Vampyren, die ihrem Opfer das Blut bis zum letzten Tropfen absaugen.
- Und die Schlangen nicht zu vergessen, vervollstandigte Germain Paterne diese Liste, die uber sechs Meter lange
Culebra mapanare und andre. Gegen sie sind mir die Muskitos doch noch lieber.
- Und ich mag weder von den einen, noch von den andern etwas wissen!« erklarte Jacques Helloch.
Dieser Ansicht schlossen sich Alle an. Das Nachtlager an Bord sollte also beibehalten werden, so lange kein Unwetter, wie etwa ein plotzlicher Chubasco, die Passagiere nothigte, am Ufer Schutz zu suchen.
Im Laufe des Nachmittags gelang es noch, die Mundung des Rio Ventuari, eines bedeutenden rechtsseitigen Nebenflusses, zu erreichen. Es war kaum um funf Uhr, und blieb also noch zwei Stunden lang tageshell. Auf Anrathen des Schiffers Valdez wurde jedoch schon hier Halt gemacht, denn oberhalb des Ventuari bietet das von Felsen durchsetzte Flu?bett der Schifffahrt ernste Schwierigkeiten, und es ware unklug gewesen, sich diesen bei Annaherung der Dunkelheit auszusetzen.
Das Abendessen wurde gemeinschaftlich verzehrt. Der Sergeant konnte jetzt, wo Jeans Geheimni? seinen beiden Landsleuten bekannt war, dagegen nichts mehr einwenden. Jacques Helloch und Germain Paterne bewahrten in ihrem Auftreten dem jungen Madchen gegenuber auch die au?erste Zuruckhaltung. Sie hatten sich, vorzuglich Jacques Helloch, ernste Selbstvorwurfe gemacht, wenn sie sich zu sehr aufgedrangt hatten. Bei dem Genannten war das nicht etwa die Folge von Verlegenheit, sondern die einer eigenthumlichen Empfindung, die sich in Gegenwart des Frauleins von Kermor seiner stets bemachtigte. Letzterer konnte das gar nicht entgehen, sie wollte aber darauf nicht besonders achten und benahm sich ebenso ungezwungen und offenherzig wie bisher. Wenn der Abend kam, lud sie die beiden jungen Manner ein, nach ihrer Pirogue heruberzukommen. Dann plauderte die kleine Gesellschaft von den Erlebnissen wahrend der Fahrt, von den Moglichkeiten, die ihnen die nachste Zeit noch bieten konnte, von den Aussichten auf endlichen Erfolg und von den Aufklarungen, die in der Mission von Santa-Juana jedenfalls zu erhalten sein wurden.
»Der Name ist schon von guter Vorbedeutung, bemerkte Jacques Helloch. Ja gewi?, von guter Vorbedeutung, weil er auch der Ihrige ist. Fraulein.
- Herr Jean, wenn ich bitten darf, Herr Jean! unterbrach ihn das junge Madchen, wahrend der Sergeant Martial die Brauen drohend zusammenzog.
- Jawohl, Herr Jean!« antwortete Jacques Helloch, nachdem er noch durch eine Handbewegung angedeutet hatte, da? ihn keiner von der Mannschaft der Falca habe horen konnen.
Am laufenden Abend drehte sich das Gesprach um den Nebenflu?, an dessen Mundung die Piroguen sich fur die Nacht festgelegt hatten.
Es ist das einer der bedeutendsten Zuflusse des Orinoco. An einer der starksten Biegungen seines ganzen hydrographischen Systems, einem fast spitzen, weit vorspringenden Winkel, fuhrt er diesem durch sieben, ein