Delta bildende Arme eine ungeheure Wassermasse zu. Der Ventuari kommt aus den von Nordost bis Sudwest sich ausdehnenden Gebieten her, wird von den unerschopflichen Quellen der guyanesischen Anden gespeist und bewassert die Landstrecken, die in der Hauptsache von den Macos- und den Mariquitare-Indianern bevolkert sind. Sein Wasserzuflu? ist also weit machtiger als der der linksufrigen Nebenflusse, die sich nur langsam durch ebene Savannen winden.

Das veranla?te Germain Paterne, der dabei leicht mit den Schultern zuckte, zu der Bemerkung:

»Nun wahrlich, hier hatten die Herren Miguel, Felipe und Varinas ein wurdiges Streitobject! Der Ventuari machte ihrem Atabapo und ihrem Guaviare gewi? mit Erfolg den Rang streitig, und waren die Herren hier, so hatten wir zweifellos die Beweisgrunde, die sie mit dem Brustton der Ueberzeugung anzufuhren lieben, die ganze Nacht uber mit anzuhoren.

- Hochst wahrscheinlich, stimmte Jean ein, denn dieser Wasserlauf ist der bedeutendste der ganzen Gegend.

- Wahrhaftig, rief Germain Paterne, ich fuhle schon, da? der Damon der Hydrographie in mein armes Gehirn einzieht. Warum sollte denn der Ventuari nicht der eigentliche Orinoco sein?

- Wenn Du glaubst, da? ich mich auf eine Erorterung dieser Frage einlassen sollte. erwiderte Jacques Helloch.

- Und warum nicht? - Sie verdient das ebenso gut, wie die der Herren Felipe und Varinas.

- Sage lieber, sie verdient das ebenso wenig.

- Ja warum denn?

- Weil der Orinoco eben der Orinoco ist und bleibt!

- Eine hubsche Beweisfuhrung, Jacques!

- Ihre Anschauung, Herr Helloch, fragte Jean, deckt sich also mit der des Herrn Miguel?

- Vollstandig, lieber Jean.

- Armer Ventuari! stie? Germain Paterne lachend hervor. Ich sehe, da? Dir keine Aussichten bluhen und gebe Dich also auf!«

Die drei Tage des 4. 5. und 6. October erforderten von Seiten der Mannschaften eine ganz au?erordentliche Anstrengung, entweder beim Schleppen und Aufholen der Fahrzeuge oder bei der Handhabung der Pagaien und der Palancas. Nach der Piedra Pintada mu?ten die Piroguen sieben bis acht Kilometer weit durch ein Labyrinth von Inseln und Felsblocken bugsiert werden, was das Fortkommen sehr verlangsamte und erschwerte. Obgleich noch immer eine westliche Brise wehte, konnten die Segel durch diese Irrgange doch unmoglich benutzt werden. Au?erdem sturzte wiederholt ein gewaltiger

Regen herab, und die Passagiere mu?ten daher lange Stunden unter den Deckhausern aushalten.

Oberhalb jener Felsen folgten sogleich die Stromschnellen von San-Barbara, die die Piroguen aber ohne vorherige Entlastung uberwinden konnten. An dieser Stelle sah man nichts von den Ruinen eines alten, von Chaffanjon erwahnten Dorfes, ja es sah aus, als ob dieser Theil des linken Stromufers niemals von se?haften Indianern besiedelt gewesen ware.

Erst jenseits der Flu?enge von Cangreo konnte die Schifffahrt unter normalen Verhaltnissen wieder aufgenommen werden, was den Falcas gestattete, am Nachmittage des 6. October das Dorf Guachapana zu erreichen, wo sie ans Ufer gingen.

Wenn die Schiffer Valdez und Parchal schon hier Halt machten, so geschah es nur, um den Mannschaften einen halben Tag und eine Nacht zum grundlichen Ausruhen zu gonnen.

Guachapana besteht namlich einzig aus einem halben Dutzend langst verlassener Strohhutten. Das kommt daher, da? die den Platz umgebende Savanne geradezu verpestet ist von Termiten, deren Bauten bis zu zwei Meter hoch sind. Gegen einen solchen Ueberfall durch jene »Holzlause« giebt es keine andre Rettung, als ihnen den Platz zu uberlassen, und das hatten die Indianer auch gethan.

»Das offenbart, bemerkte Germain Paterne, die Macht des unendlich Kleinen. Nichts widersteht den winzigen Bestien, wenn sie zu Myriaden auftreten. Eine Bande Tiger oder Jaguare kann man schlie?lich zurucktreiben, man kann das Land von ihnen saubern, wandert wegen des Raubgesindels aber nicht aus.

- Wenigstens, wenn man kein Piaroa-Indianer ist, flocht Jean ein, denn nach dem, was ich gelesen habe.

- Ja, ja; doch ergreifen die Piaroas unter solchen Umstanden die Flucht mehr aus Aberglauben, als aus Furcht, setzte Germain Paterne hinzu, wahrend jene Ameisen, jene Termiten ein Land ganz unbewohnbar machen.«

Gegen funf Uhr gluckte es den Leuten von der »Moriche«, eine Schildkrote von der Terecaie genannten Art zu fangen. Dieser Chelonier diente zur Bereitung einer vortrefflichen Suppe und eines ebenso schmackhaften Fleischgerichts, das die Indianer als »Sancoco« zu bezeichnen pflegen. Au?erdem -und das erlaubte, an den mitgefuhrten Vorrathen der Falcas zu sparen - warteten am Saume der nahegelegenen Walder Affen, Wasser- und Bisamschweine nur auf einen Flintenschu?, um auf der Tafel der Passagiere zu erscheinen. Ananas und Bananen konnte man uberall pflucken. Ueber das Uferland flatterten gerauschvoll Schwarme von Wildenten, Hoccos (Baumhuhner) mit wei?lichem Bauche und schwarze wilde Huhner dahin. Das Wasser wimmelte von Fischen, die hier so zahlreich sind, da? die Indianer sie mit Pfeilen todten. Binnen einer Stunde hatten die Boote der Piroguen damit gefullt werden konnen.

Nahrungssorgen brauchen sich Reisende auf dem obern Orinoco also niemals zu machen.

Oberhalb Guachapanas betragt die Breite des Stromes uberall nicht mehr als funfhundert Meter. Trotzdem ist sein Bett haufig von Inseln unterbrochen, die dann »Chorros« erzeugen, heftige Stromschnellen, deren Wellen sich mit belastigendem Ungestum hinabwalzen. Die »Moriche« und die »Gallinetta« kamen an diesem Tage nicht weiter, als bis zur Insel Perro de Agua, wo sie aber auch erst mit einbrechender Nacht eintrafen.

Vierundzwanzig Stunden spater, nach einem sehr regnerischen Tage und haufigen Storungen durch Umspringen des Windes - wodurch es oberhalb der Insel Camucapi sich mittelst der Palancas fortzuarbeiten galt - erreichten die Reisenden die Lagune von Carida.

Fruher lag an dieser Stelle ein Dorf, das aber verlassen worden war, als ein Piaroa unter dem Zahne eines Tigers umgekommen war, wie das auch von Chaffanjon bestatigt wird. Der franzosische Reisende fand in diesem Dorfe ubrigens nur wenige Hutten, die damals ein Bare-Indianer bezogen hatte, der minder aberglaubisch und auch kein so lacherlicher Prahlhans war, wie seine Stammesverwandten. Dieser Bare legte einen Rancho an, den Jacques Helloch und seine Begleiter jetzt in gedeihlichstem Zustande fanden. Der Rancho umfa?te Felder mit Mais, Manioc, nebst Anpflanzungen von Bananen, Tabak und Ananas. Im Dienste des Indianers und seiner Frau standen wohl ein Dutzend Bauern, die in Carida mit jenen im besten Einvernehmen lebten.

Die Einladung des wackern Mannes, sein Anwesen zu besichtigen, konnte man nicht wohl abschlagen. Er kam an Bord der Piroguen, als diese kaum erst angelegt hatten. Als ihm ein Glaschen Aguardiente angeboten wurde, nahm er es nur unter der Bedingung an, da? die Fremden in seiner Hutte ein Glas Tafia trinken und Cigaretten von seinem »Tabori« rauchen wurden. Es hatte doch einen schlechten Eindruck gemacht, diese Einladung nicht anzunehmen, und die Passagiere versprachen deshalb, nach dem Mittagsmahle den Rancho aufzusuchen.

Da ereignete sich noch ein kleiner Zwischenfall, dem inde? niemand weder besondere Bedeutung beilegte, noch solche beilegen konnte.

Eben als er die »Gallinetta« wieder verlassen wollte, blieb der Blick des Bare auf einem von der Mannschaft haften, auf jenem Jorres, den der Schiffer in San-Fernando angeworben hatte.

Der Leser erinnert sich, da? der Spanier dort seine Dienste nur anbot, weil er sich nach der Mission von Santa-Juana begeben wollte.

Nachdem der Bare ihn mit einer gewissen Neugierde betrachtet hatte, sprach er den Mann direct an.

»Sagen Sie, guter Freund, hab ich Sie nicht schon irgendwo gesehen?«

Jorres runzelte ein wenig die Stirn.

»Hier wenigstens nicht, Indianer, antwortete er hastig, denn ich bin noch nie nach Euerm Rancho gekommen.

- Das ist merkwurdig! Bei Carida kommen doch nur wenige Fremde vorbei, und man vergi?t ihr Gesicht nicht so leicht, wenn man's auch nur ein einzigesmal gesehen hatte.

- Vielleicht haben Sie mich in San-Fernando getroffen, erwiderte der Spanier.

- Seit wie lange waren Sie da?

- Seit. seit drei Wochen.

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